In der Champions League der Frauen kam es in der bisherigen Gruppenphase zu vielen Szenen, in denen sich die beteiligten Teams den VAR gewünscht hätten. Doch den gibt es erst ab der K.-o.-Phase. Warum das so ist – und was für und gegen eine Einführung spricht.

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Emma Hayes fiel es sichtlich schwer, sich zu beherrschen. Äußerlich gelang es der erfolgreichen Trainerin des FC Chelsea gut, innerlich brodelte es. Einen Teil davon ließ sie kurz darauf raus. Ihr Team sei "um einen 3:1-Sieg gebracht worden", erklärte die 47-Jährige. "Zwei gigantische Entscheidungen" der Schiedsrichterin, die sie als "peinlich" beschrieb, hätten Chelsea den Sieg weggenommen.

Was war passiert? Am ersten Spieltag der Gruppenphase trat der FC Chelsea bei Real Madrid an. Trotz eines frühen Rückstands erarbeiteten sich die Blues Chance um Chance, gingen durch Tore von Niamh Charles (41.) und Sam Kerr (74.) hochverdient in Führung.

Doch kurz darauf veränderten zwei Szenen alles. Zunächst entschied Frida Nielsen nach einem Foul von Jessie Fleming auf Elfmeter, obwohl dieses knapp außerhalb des Strafraums geschah. Vermutlich hätten Hayes und Co. darüber hinwegsehen können, doch in der Nachspielzeit wurde der vermeintliche 3:2-Siegtreffer von Charles aberkannt.

Abseits will die Spielleitung erkannt haben. Die Außenspielerin startete beim Zuspiel allerdings deutlich aus einer nicht-strafbaren Position. Einzige Erklärung für diese Fehlentscheidung: Sam Kerr stand leicht im Abseits, hatte mit der Szene aber nichts zu tun.

Reaktionen auf diese Partie gab es im gesamten Weltfußball. Caroline Graham Hansen vom FC Barcelona erklärte, dass der VAR in der Champions League "von Minute eins an, wenn die Gruppenphase startete", eingesetzt werden sollte. Doch warum ist das nicht längst der Fall?

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Uefa gibt Statement ab: "Erhebliche Herausforderungen"

Der Europäische Fußballverband erklärte: "Die Einführung von Video-Schiedsrichtern (VAR) in europäischen Wettbewerben bringt erhebliche technische, betriebliche und logistische Herausforderungen mit sich." Man habe deshalb einen "schrittweisen Plan zur Einführung des VAR in den meisten Spielen entwickelt".

So soll die Technik beispielsweise bei der Endrunde der Women's Nations League im kommenden Frühjahr eingeführt werden. Man werde zudem "kontinuierlich die Möglichkeit prüfen, den VAR in Wettbewerben oder Wettbewerbsphasen einzuführen, wo dies bisher noch nicht der Fall war".

Über die exakten Kosten für die Einführung des VAR auf allen Ebenen der Champions League machte die Uefa bisher keine Angaben.

Das spricht gegen die Einführung des VAR

2018 rechnete der "kicker" für die Männer-Bundesliga aus, dass eine Saison mit 34 Spieltagen rund 900.000 Euro an zusätzlichen Personalkosten für die Videoassistenten kostet. Hinzu gekommen wären 2,53 Millionen Euro an Technik- und 294.000 Euro an Glasfaserkosten. Die Gesamtsumme hätte man auf die 18 Bundesligaklubs umgelegt.

Diese Summen lassen sich nur schwer auf die Champions League der Frauen umrechnen. Doch klar ist, dass nicht alle Klubs in diesem Wettbewerb den Luxus haben, in Stadien mit der bereits vorhandenen Infrastruktur zu spielen. Finanziell ist es für Klubs wie den FC Chelsea ebenfalls einfacher, die Einführung entsprechender Technik zu fordern, als für kleinere Vereine aus Ligen, in denen der Fußball der Frauen weniger stark gefördert wird.

Und dann ist da noch die rein emotionale Debatte, die der VAR seit Einführung mit sich gebracht hat: Wie viel nimmt die Technik von der Attraktivität des Spiels weg? Vor allem im Männerfußball wurde über Jahre intensiv darüber diskutiert. Nach vielen Jahren der Tests und Debatten lässt sich zumindest festhalten, dass der einst überschwänglich formulierte Anspruch, das Spiel damit fairer zu machen, bestenfalls bei sehr klaren Situationen funktioniert.

Die Erfahrung aber hat gezeigt, dass auch mit dem Videoassistenten fragwürdige Entscheidungen getroffen werden, die von Fans, Beobachterinnen und Beobachtern nur schwer nachzuvollziehen sind. Graubereiche wie die Handspielregel bleiben auch dann grau, wenn sich jemand die Szene zwei Minuten lang an einem Monitor ansieht. Versuche, den Einsatz des VAR zu regulieren oder gar zu verkürzen, funktionierten nicht so ganz. Was ist beispielsweise eine klare Fehlentscheidung?

Die Unzufriedenheit über Fehler wurde mit dem Hilfsmittel gefühlt noch größer – weil das Verständnis womöglich eher gegeben ist, wenn es keine Möglichkeit gibt, sich die Szene erneut anzusehen.

Champions League: Kein Sport für die Fans

All die Regel- und Formatänderungen der letzten Jahre haben aber ohnehin eindrucksvoll gezeigt, dass der Spitzenfußball nicht vorrangig für Fans, sondern für die Maximierung von Einnahmen auf vielen Ebenen gespielt wird. Bei Szenen wie im Duell zwischen Real Madrid und dem FC Chelsea geht es in der Champions League der Frauen um sehr viel Geld.

In der Saison 2022/23 gab es für jeden Sieg in der Gruppenphase 50.000 Euro, für jedes Unentschieden 17.000 Euro. Allein für das Erreichen des Viertelfinals erhielten die acht Klubs jeweils 160.000 Euro, für den ersten Tabellenplatz in der Gruppe gab es zusätzliche 20.000 Euro. Im Fußball der Frauen, wo die Topspielerinnen meist noch für Summen im sechsstelligen Bereich wechseln, ist das viel Geld.

Zwar hat die Uefa mit Solidaritätszahlungen dafür gesorgt, dass auch kleinere Nationalverbände am großen Geld der Champions League mitverdienen. Doch grundsätzlich ist das Konzept nach wie vor so ausgerichtet, dass die Reichen tendenziell reicher werden und die Schere in Zukunft massiv weiter auseinandergehen wird.

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Das spricht für die Einführung des VAR

Doch gerade weil es um so viel Geld geht, wollen die Verantwortlichen schnellstmöglich flächendeckend den Einsatz von Technik sehen. Und bei allen emotionalen Gründen gegen den VAR hat dieser in den letzten Jahren auch oft genug gezeigt, dass es Situationen gibt, in denen er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit für eine richtige Entscheidung sorgt.

Wenn es um Abseitspositionen oder die Frage nach der genauen Stelle des Foulspiels geht, ist in den allermeisten Fällen Verlass auf die Technik. Ebenso verhält es sich bei derart klaren Hand- oder Foulspielen, die selbst in den sozialen Netzwerken keinen Raum mehr für Diskussionen lassen. Über die richtigen Korrekturen wird jedoch nur selten gesprochen.

Letztendlich wird es an der Uefa liegen, inwiefern sie bereit sind, die notwendigen Veränderungen im Fußball der Frauen entweder finanziell selbst mitzutragen oder ob sie die Einführung einfach durchdrücken und weniger finanzstarke Klubs damit unter Druck setzen.

Klar ist: Der VAR wird eher früher als später auch in der Gruppenphase der Champions League eingesetzt. Auch dem Verband ist nicht entgangen, wie viele streitbare Situationen es allein in dieser noch kurzen Saison bereits gegeben hat. Auch der FC Bayern München profitierte davon, als Jovana Damnjanovic im ersten Spiel gegen die AS Roma aus einer Abseitsposition traf. Solche Tore wird es mit dem VAR bestenfalls nicht mehr, schlimmstenfalls seltener geben.

Doch wenn der Einsatz von Technik im Fußball in den vergangenen Jahren eines gezeigt hat: Empörte Reaktionen wie jene von Emma Hayes in Madrid und hitzige Debatten um Entscheidungen von Schiedsrichtern und Schiedsrichterinnen wird es weiterhin geben.

Verwendete Quellen:

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