Das Halteverbot gilt nicht für ihn. Die Freundin ist sein Ein und Alles – aber ihre Freunde, die taugen ja gar nichts ... Fast jeder kennt mindestens einen Menschen, der sich anderen gegenüber extrem egoistisch und abwertend verhält. Ist dieser Mensch dann auch noch der direkte Vorgesetzte oder gar der Lebenspartner, kann das Leben zur Hölle werden. Es kann gut sein, dass man einem Narzissten begegnet ist.

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Ein bisschen Narzissmus steckt in uns allen. "Den Selbstwert betreffend" heißt Narzissmus übersetzt, und ein stabiler Selbstwert ist wichtig, damit wir uns gut fühlen. In übersteigerter Form kann Narzissmus allerdings krankhaft werden – und für das Umfeld zur Qual.

Wie wird ein Mensch überhaupt zu einem "Mensch mit narzisstischen Strukturen", wie es in der Psychologie heißt? An welchen typischen Anzeichen erkenne ich einen Narzissten? Und was, wenn ich in meiner eigenen Beziehung einen Narzissten erkenne?

Die Ursache der narzisstischen Störung liegt in der Kindheit

Narzissten als Partner schleichen sich oft unbemerkt ins Leben. Egal ob als Mann oder als Frau, denn beide Geschlechter können krankhaften Narzissmus aufweisen. Die Ursache davon ist ein verletztes Selbstwertgefühl, das in der Kindheit entstanden ist – oft durch narzisstisch veranlagte Eltern.

"Meist sind Kinder von narzisstischen Strukturen betroffen, die eine besondere Begabung haben oder denen man eine besondere Begabung unterstellt", sagt Bärbel Wardetzki, Psychologin und Psychotherapeutin aus München.

"Sie müssen eine bestimmte Rolle erfüllen, damit sich die Eltern wertvoll fühlen. Das Kind wird also durch das eigene narzisstische Defizit der Eltern ausgebeutet." Dabei sind die Eltern unfähig, das Kind so anzunehmen und zu lieben, wie es ist.

Narzissten tragen oft eine Maske

Um den Eltern gerecht zu werden und um das Verlangen nach Liebe zu stillen, reagiert das Kind zukünftig so, wie es erwünscht ist und überspielt seine wahren Gefühle.

Die Fassade, die der Narzisst im Kindesalter aufbauen musste, um dem Bild seiner Eltern zu entsprechen, behält er auch im Erwachsenenalter. Denn: Er ist sich sicher, dass auch der Rest der Welt ihn so sehen möchte.
Menschen mit narzisstischen Strukturen haben zum Beispiel folgende Eigenschaften:

  • großer Leistungsanspruch
  • ständige Unzufriedenheit mit dem Körper (bei Frauen) und der Suche nach dem perfekten Aussehen
  • Macht, Geld, Einfluss spielen eine wichtige Rolle
  • Egoismus, Selbstverliebtheit
  • Intelligenz, Attraktivität, "Menschenfänger"
  • Kritisierend und abwertend gegenüber anderen
  • Unstillbarer Hunger nach Anerkennung und Bewunderung
  • Große Angst, beschämt zu werden
  • Mut, Ideenreichtum

Der Umgang mit Narzissten ist schwierig

"Menschen mit narzisstischen Strukturen sind sehr egozentrisch", weiß Expertin Wardetzki. "Die anderen Menschen sind hauptsächlich dazu da, um sie zu bestätigen. Das Interesse am anderen ist sehr gering, außer, wenn sie etwas von ihm brauchen."

Aber wehe dem, der nichts Nützliches beizutragen hat: "Das sind dann Versager – oder, auf politischer Ebene, die Bösen, die einen zerstören wollen."

Als Gegenüber lebe man deshalb ständig in der Angst, etwas falsch zu machen. "Ein normaler Dialog ist fast nicht möglich, weil solche Menschen gleich alles auf sich beziehen und sehr entwertend sein können."

Narzissten im Arbeitsleben oder Freundeskreis: Gehen oder bleiben?

Fühlen Sie sich als Leibeigener des narzisstischen Chefs oder nutzt Ihr bester Freund Sie bis zur Erschöpfung aus, weil seine Belange vorrangig sind, rät Psychologin Wardetzki zum radikalen Schnitt.

"Wenn ich das Gefühl habe, ich werde entwertet, sobald ich nur den Mund aufmache, kann mich das auf Dauer krank machen und dann gehe ich lieber vorher, denn: Ich habe es verdient, Wertschätzung zu erfahren."

Ein Vorgesetzter müsse aber nicht immer die negative Seite seiner narzisstischen Struktur zeigen, so Wardetzki. "Er kann auch nur unglaublich kreativ sein und tolle Ideen haben, und dann macht es sogar Spaß, mit solchen Menschen zusammenzuarbeiten."

Meist zeige sich die negative Seite erst in persönlichen Beziehungen, in der Emotionen eine große Rolle spielen und die der Narzisst hinter seiner Fassade versteckt.

Der Narzisst als Partner: Verhaltensweisen

Werden Sie aufmerksam, wenn Sie folgende Verhaltensweisen gehäuft bemerken: Ihr Partner/Ihre Partnerin ...

  • ... beschäftigt sich übermäßig mit Geld, Macht und körperlicher Schönheit
  • ... trifft sich meist mit Personen, die ihn entweder gut darstellen (Promis, wichtige Persönlichkeiten) oder die ihn bedingungslos bewundern
  • ... glaubt, immer im Recht zu sein und kann sich niemals entschuldigen
  • ... benutzt andere, um seine Ziele zu erreichen
  • ... übertreibt mit seinen Talenten und will nicht kritisch hinterfragt werden
  • ... spürt eine große und übertriebene Wut, wenn andere ihn kritisieren
  • ... kann keine Empathie, Wertschätzung oder echte Liebe zeigen

Beachten Sie Ihre eigenen Bedürfnisse und lassen Sie keine Entwertung zu

Aufmerksam auf diese Verhaltensweisen wird meist das Gegenüber, nicht die narzisstische Persönlichkeit selbst. Die Erkenntnis, womöglich mit einem krankhaften Narzissten zusammenzuleben, ist allein schon sehr hilfreich: So könne man "narzisstischen Spielchen" wie Abwertung, Unterdrückung und Ausnutzung rechtzeitig umgehen, erklärt die Psychologin. Ich-Botschaften sind bei der Kommunikation mit einem Narzissten hilfreich, da sie ihn nicht direkt angreifen.

"Man kann dem Partner eine klare Beziehung anbieten und sagen: Ich möchte weiterhin eine Beziehung mit dir, aber ich lasse mich nicht kleinmachen und entwerten." Die eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse sollten unbedingt verfolgt werden.

"Meist trauen sich Partner von Menschen mit narzisstischen Strukturen gar nicht, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen, weil sie nie gelernt haben, dass sie das dürfen", so Wardetzki. In der Fachsprache werden sie als "Komplementär-Narzissten" bezeichnet: Das, was der narzisstische Partner an Über-Ich zu viel hat, haben sie zu wenig.

Letzter Ausweg: Die Trennung als Chance – für beide Seiten

Hat der Komplementär-Narzisst möglicherweise über viele Jahre das eigenständige Leben und seine Selbstachtung verloren, dauert es nach einer Trennung sicher eine Weile, bis er mit der Vergangenheit abschließen kann.

"Partner von Menschen mit narzisstischen Strukturen haben oft unglaublich viel zugelassen", sagt Wardetzki. Der Narzisst selbst gerät nun ebenfalls in eine Lage, die ihn zum Umdenken bewegen könnte – je nachdem, wie viel in der Beziehung steckte.

"Hängt mit der Trennung vielleicht sogar eine Zerstörung der Familie zusammen, ist das so eine große narzisstische Kränkung für ihn, dass er in Not gerät und spürt, dass er etwas für sich selbst tun muss. Sein ganzes System bricht dann zusammen." Und: "Über solche Krisen können solche Menschen, wenn sie Glück haben, tatsächlich den Weg zu sich selbst finden."

Der Narzisst als Mensch mit leidvoller Erfahrung

Zur Therapie kommen meist mehr Frauen mit narzisstischen Strukturen als Männer, weiß Wardetzki. "Frauen spüren mehr, wenn etwas nicht stimmt", so die Narzissmus-Expertin. Die typischen rücksichtslosen und gemeinen Narzissten, wie sie allgemein bekannt sind, finden selten den Weg zum Therapeuten. "Sie sind in ihrer Grandiosität so groß, dass sie gar nicht wissen, dass sie eine verletzliche Seite haben."

Zu groß sei die Angst, ein freundlicher Mensch könne hinter ihre Fassade schauen und etwas entdecken, was sie in der ganzen Welt als Versager kennzeichnen würde. Wardetzki: "Es ist wichtig, dass wir uns klarmachen, dass das feinfühlige Menschen sind – meist sogar feinfühliger als andere –, die eine große Erschütterung erlebt haben und deren narzisstisches System ein Überlebensmechanismus ist."

Zur Person: Dr. Bärbel Wardetzki arbeitet seit 1992 als Psychotherapeutin in ihrer eigenen Praxis in München. Zudem ist sie tätig als Supervisorin, im Coaching und hält Vorträge und Seminare im In- und Ausland. In vielen Büchern und auf ihrem YouTube-Kanal informiert Wardetzki über Themen ihrer psychotherapeutischen Arbeit wie Narzissmus, Essstörungen und Kränkungen.
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