US-Gerichte haben nach der Präsidentschaftswahl bereits erste Entscheidungen getroffen. Welche Möglichkeiten hat Donald Trump noch, das Wahlergebnis anzufechten? Seine Chancen sind begrenzt.

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Die Stimmen sind noch nicht ausgezählt, die Anwälte längst in Stellung, die ersten Klagen eingereicht: Die Präsidentschaftswahl in den USA geht in die juristische Verlängerung. Donald Trump kündigte sogar eine Klage vor dem Supreme Court an, dem Obersten Gerichtshof. Doch wie erfolgversprechend sind seine Versuche, an der Macht festzuhalten?

US-Wahl: Neuauszählung in Georgia

Recounts, also Neuauszählungen, galten schon am Freitagmorgen als sehr wahrscheinlich. Mittlerweile steht fest: Im US-Bundesstaat Georgia werden die Stimmen wegen des extrem knappen Ergebnisses sicher neu ausgezählt.

In anderen Staaten, darunter Florida, Ohio und Pennsylvania, kommt es automatisch zur Nachzählung, wenn das Ergebnis besonders knapp ausfällt: in Pennsylvania etwa bei einer Differenz von weniger als 0,5 Prozentpunkten, in Arizona bei weniger als 0,1 Prozentpunkten Unterschied. In 39 Staaten können die Kandidaten selbst Neuauszählungen beantragen – teilweise ist das allerdings an Bedingungen geknüpft.

3,5 Millionen Dollar für Recount in Wisconsin

Eine Neuauszählung in Wisconsin, einem der hart umkämpften Bundesstaaten, hat Trump bereits angekündigt. Sie kann bei einem Unterschied von unter einem Prozent beantragt, muss aber selbst finanziert werden – es sei denn, der Unterschied liegt bei weniger als 0,25 Prozent, dann wird der Recount automatisch eingeleitet.

Vor vier Jahren kostete er die Green-Party-Kandidatin Jill Stein 3,5 Millionen Dollar. Am Freitagmorgen lag Biden in Wisconsin zwar mit weniger als einem Prozent, aber immerhin mit 20.000 Stimmen vorn. "20.000 fehlerhafte Stimmzettel zu finden, erscheint mir völlig unrealistisch", sagt Michael Kolkmann, Politikwissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Supreme Court? – "Völlig unrealistisch"

Donald Trump kündigte allerdings nicht nur Recounts, sondern sogar eine Klage vor dem Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, an. Schuldig blieb er den US-Amerikanern jedoch, auf welcher Grundlage er dort klagen will. "Ich halte es für völlig unrealistisch, dass Trump den Supreme Court anrufen kann", sagt Kolkmann.

Klagen gegen bestimmte Abläufe oder Fristen bei den Wahlen liefen erst einmal über untere Gerichte. "Es kann durch Rechtsprechung dazu kommen, dass Stimmen wegfallen oder doch hinzugerechnet werden dürfen. Aber das müsste in großem Maßstab der Fall sein, damit es zu einer veränderten Abstimmung im ganzen Bundesstaat und somit zur Neuverteilung von Wahlmännerstimmen kommt", betont Kolkmann.

"Es kann natürlich sein, dass irgendwann der Oberste Gerichtshof in Washington entscheiden muss, welche Stimmen gezählt werden und welche nicht. Aber erst, wenn alle anderen Instanzen durchlaufen sind." Andere rechtliche Verfahren, die den Supreme Court früher auf den Plan riefen, hält Kolkmann für aussichtslos: "Weil Demokraten wie Republikaner unisono sagen: Wir haben nach Recht und Gesetz ausgezählt. Das kann auch der Präsident nicht einfach anzweifeln."

Erste juristische Entscheidungen gefallen

Richter in Michigan und Georgia haben bereits Klagen von Trumps Wahlkampfteam abgewiesen, mit denen es Auszählungen stoppen oder deren Rechtmäßigkeit anzweifeln wollte. Es gibt bislang keine Beweise für Wahlbetrug oder Unregelmäßigkeiten. In Pennsylvania entschied ein Gericht indes, dass Wahlbeobachter der Republikaner in Philadelphia näher an die Bearbeitenden der Briefwahl herantreten dürfen.

Trump hofft auf konservative Richter

Aber wie kommt Donald Trump überhaupt auf die Idee, dass der Supreme Court es nun für ihn richten soll? "Er steckt in seiner Denke: Ich habe da doch für eine Mehrheit gesorgt, die müssen das jetzt regeln", glaubt Kolkmann.

Vor der Wahl hatte Trump mit der Ernennung von Amy Coney Barrett die konservative Richter-Mehrheit am Supreme Court auf 6:3 erhöht. "Es hat aber immer wieder Fälle gegeben, in denen Richter ganz anders entschieden haben, als man es von ihnen erwartet hat", sagt Kolkmann. "Manchmal entpuppten sie sich als deutlich unabhängiger als erwartet."

Der Experte erinnert an Obamas Gesundheitsreform 2012, die der Supreme Court mit 5:4-Stimmen bestätigt hatte, weil der konservative oberste Richter John Roberts für die Reform gestimmt hatte. "Die Republikaner haben geschäumt damals." Die 6:3-Mehrheit bedeute nicht automatisch, dass Trump mit allem durchkommt: "Die Richter schauen trotzdem auf Recht und Gesetz."

US-Wahl: Trump droht mit Klagen - Biden kommt Sieg näher

Nach der Präsidentenwahl erklärte sich Amtsinhaber Donald Trump umgehend zum Sieger - jetzt behauptet er, die Demokraten um Herausforderer Joe Biden wollten ihm durch Betrug diesen Sieg wegnehmen. Die Auszählung läuft unterdessen gut für Biden.

Wichtiges Datum: 8. Dezember

Eine andere Frage ist, ob Trump auf Zeit spielen will: Denn bis zum 8. Dezember müssen die Bundesstaaten alle Wahlleute benennen. Schon einmal reichte die Zeit nach einer US-Wahl nicht für Neuauszählungen: 2000 in Florida, als Al Gore und George W. Bush Präsident werden wollten.

Damals entschied tatsächlich der Supreme Court in Washington. "Die Zählung musste am Tag des Gerichtsurteils eingestellt werden", erinnert sich Kolkmann, der damals in Florida war. "George Bush führte zu diesem Zeitpunkt mit nur 537 Stimmen Vorsprung. Das waren die Stimmen, die am Ende die Wahl entschieden haben, weil er damit Florida gewonnen hat."

Michael Kolkmann hat von einem weiteren Fall gehört, der eintreten könnte, falls es bis zum 8. Dezember noch kein Ergebnis gibt: Ein Bundesstaat wie zum Beispiel Pennsylvania könnte demnach entscheiden, dass sein Parlament neue Wahlmänner beruft. Das könnten dann welche sein, die für Trump statt für Biden stimmen. "Ein solcher Vorgang wäre zwar höchst politisiert." Aber auch dafür gebe es genug Beispiele: "Dass man wenig Rücksicht auf Routinen oder Traditionen nimmt, wenn es um den eigenen Vorteil geht."

"Kein Drehbuch für diese Situation"

Ob so etwas wirklich passieren kann, darüber wagt auch Michael Kolkmann nicht abschließend zu urteilen: "Weder Rechts- und Politikwissenschaftler noch die politischen Akteure selbst haben ein Drehbuch für die aktuelle Situation." Viele rechtliche Grundlagen seien ungenau und könnten so oder so interpretiert werden.

Über den Experten: Dr. Michael Kolkmann ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Politikwissenschaft der Universität Halle-Wittenberg. Seine Schwerpunkte sind die politischen Systeme Deutschlands und der USA.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Michael Kolkmann
  • National Conference of state Legislatures: Election Recounts
  • New York Times: What Happens if the Election Results Are Contested
  • CNN: Presidential election recount rules: What you need to know
  • Washington Post: How a Wisconsin recount would work
  • Deutsche Presse-Agentur
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