Donald Trump ist abgewählt, auch wenn er das selbst nicht anerkennen will. Offiziell endet seine Amtszeit am 20. Januar 2021, dann wird Demokrat Joe Biden als neuer Präsident der USA vereidigt. Bis dahin sind es jedoch noch über 60 Tage. Eine lange Zeit, die Trump ausnutzen könnte. Denn so lange ist er noch mit allen präsidialen Rechten ausgestattet – und könnte großen Schaden anrichten.

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Er twittert in Rage über "gestohlene Stimmen", eine "manipulierte Wahl" und sieht sich selbst als Wahlsieger: Donald Trump weckt mit seiner Verweigerung, den Demokraten Joe Biden als 46. Präsident der USA anzuerkennen, große Sorgen.

Eigentlich beginnt für Trump mit seiner Niederlage die Zeit als sogenannte "lame duck". So nennt man einen schon abgewählten Politiker, der noch im Amt ist, aber keine Projekte mehr anstößt und vor allem innenpolitisch als handlungsunfähig gilt.

Trump aber, so fürchten Beobachter, könnte diese Phase gänzlich neu definieren – und eher wie eine Abrissbirne durchs Weiße Haus fegen. Verrat von Staatsgeheimnissen, Torpedierung der Machtübergabe, Selbstbegnadigung – wie viel Schaden kann Trump in den letzten Tagen seiner Amtszeit noch anrichten? Drei Experten geben eine Einschätzung ab.

"Unsere Fantasie reicht nicht aus"

"Trump hat in den letzten Jahren alle Erwartungen und alle Befürchtungen, die wir an ihn hatten, übertroffen", resümiert Prof. Dr. Christof Mauch von der Ludwig-Maximilian-Universität München. "Ich gehe davon aus, dass unsere Fantasie nicht ausreicht für das, was Trump in den nächsten Wochen ausheckt." Die Angst, seine Macht zu verlieren, werde eine neue Welle von Wut auslösen. Trump werde unkalkulierbar agieren, glaubt Mauch.

"Die Möglichkeit eines souveränen Abgangs hat Trump sich im Grunde selber genommen, als er entschieden hat, den Wahlsieg Joe Bidens nicht anzuerkennen", sagt Dr. Silke Hackenesch von der Universität Köln.

Experte Mauch schätzt deshalb den jetzigen Schaden bereits als "erheblich" ein. "Theorien von der gestohlenen Wahl, die sich wie Lauffeuer verbreiten und die Trump befeuert, beschädigen die Demokratie auf lange Sicht."

Trumps Falschmeldungen stellten Biden als Thronräuber dar. "Damit ist nicht nur das Vertrauen in die rechtmäßige Regierung von Biden und Harris unterminiert, sondern, grundsätzlicher und gefährlicher, das Vertrauen in die Demokratie selbst", betont Mauch und befürchtet, dass dies nicht an den Grenzen der USA haltmacht: "Trump wird sich als Führer der Populisten in aller Welt feiern lassen."

Biden den Übergang erschweren

Silke Hackenesch erinnert allerdings daran, dass sich die amerikanische Demokratie in der Vergangenheit als ausgesprochen widerstandsfähig herausgestellt und auch "einen Donald Trump überleben" wird. Dennoch geht auch sie davon aus, dass Trump seinem Nachfolger im Weißen Haus die Aufnahme der Amtsgeschäfte so schwer wie möglich machen werde.

Das versucht Trump bereits jetzt mit einer Reihe von Entlassungen und Personalwechseln: Kurz nach der Wahl entließ er Verteidigungsminister Mark Esper. "Das 'you are fired' ist ein Operationsmodus von Trump, der ihm Selbstsicherheit und Selbstbestätigung gibt", erklärt Mauch.

In den letzten Wochen wolle Trump sich mit Loyalisten und Ja-Sagern umgeben. "Die Spitze des Verteidigungsministeriums wurde ausgetauscht, zwei hohe Beamte aus dem Heimatschutzministerium wurden entlassen, ein führender Klimaberater, die Chefin der Nationalen Behörde für Nukleare Sicherheit und andere", sagt Mauch.

Er rechnet damit auch in den Geheimdiensten – womöglich werde Trump die CIA-Direktorin und den FBI-Direktor entlassen und hohe Beamte austauschen.

Truppenabzug aus Afghanistan?

Wo immer möglich werde er Strukturen zerstören, um den Start seines Amtsnachfolgers zu einem Hindernislauf zu machen. "Trump gönnt niemandem Erfolge außer sich selbst; am allerwenigsten aber Joe Biden", so Mauch.

In der Entlassung Espers sieht Dorothee Schwieters von der Universität zu Köln noch weiteres Schadenspotenzial: "In Bezug auf einen möglichen Truppenabzug aus Afghanistan, den Trump mehrfach gefordert und angekündigt hat, könnte die Entlassung Espers als ein erster Schritt gesehen werden, Kritiker zu entlassen und durch seine Loyalisten zu ersetzen, um den Weg dafür freizumachen."

Gegner der USA könnten die Unruhe, die durch den Austausch von Personal im Bereich der nationalen Sicherheit entstehe, ausnutzen. Mauch hält auch ein Verlassen der NATO für denkbar, wenn auch unwahrscheinlich.

Schon während seiner Amtszeit hatte Trump gewachsene internationale Bündnisse einseitig aufgekündigt - etwa das Pariser Klimaabkommen.

Trump enthält Biden Briefings vor: "Risiko für die nationale Sicherheit"

Zudem erschwert Trump Biden die Vorbereitung auf die Amtsübernahme, indem er ihm den Zugang zu Gebäuden, Informationen und Briefings" verwehrt.

"Biden sollte zum Beispiel schon täglich die sogenannten Intelligence Briefings des Präsidenten erhalten", erläutert Expertin Schwieters. "Dass dies nicht der Fall ist, wird als Risiko für die nationale Sicherheit gesehen, weil die Kontinuität der Regierungsarbeit und Regierungsführung gefährdet werden kann."

Mauch ist sich sicher, dass Trump noch mehr im Schilde führt: "Ich gehe fest davon aus, dass Trump die Visabestimmungen für hochqualifizierte ausländische Fachkräfte verschärfen wird, um US-Amerikanern einen Vorteil zu verschaffen", vermutet der Experte. Ebenso hält er Präsidentenverfügungen zur Schwächung von Umweltauflagen und Industriebestimmungen für wahrscheinlich.

Schwieters fügt hinzu, dass Biden bereits angekündigt habe, in den ersten 100 Tagen seiner Präsidentschaft viele dieser Executive Orders rückgängig zu machen. "Schlimm könnte es dann aber sein, wenn sich die Folgen nicht umkehren lassen, zum Beispiel in Bezug auf die Umweltpolitik."

Problematisch könnte auch sein, wenn Trump noch einen Vorwand bekäme, hart als Law-and-Order-Präsident aufzutreten. Denn: "Dass Trump sich der Wiederwahl stellen musste, dürfte ihn in den vergangenen Jahren und Monaten von den radikalsten Schritten abgehalten haben. Jetzt, wo keine weitere Wahl ansteht, kann er verkünden und fordern, was immer er will, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden", erinnert Mauch.

Er glaubt deshalb, Trump werde den Kulturkampf im Land durch militante Rhetorik versuchen am Leben zu halten. "Wir können nur hoffen, dass die bewaffneten Milizen im Land und die weißen Rassisten, die sich durch Trump bestätigt fühlen, keine anhaltende Unruhe verursachen", sagt er.

Weitere Wochen ohne Corona-Plan

Großes Schadenspotenzial sehen alle Experten bei einem Thema: der Coronakrise. "Der Schaden, den die USA durch die Corona-Pandemie erleiden, ist mit 10,5 Millionen Infizierten bereits immens", sagt Hackenesch. Die strukturellen Benachteiligungen bestimmter Bevölkerungsgruppen und das Fehlen einer umfassenden Gesundheitsversorgung würden in dieser Situation besonders offenkundig.

Auch Schwieters sagt: "Die Opferzahlen werden weiter steigen. Nur im Amerikanischen Bürgerkrieg, während der Spanischen Grippe und im Zweiten Weltkrieg starben mehr Amerikaner." Anders als Trump habe Biden einen Plan zur Pandemie-Bekämpfung, trage immer Maske und appelliere an die Mitarbeit und den Zusammenhalt der Bevölkerung.

Mit den weiteren Folgen der Pandemie und der verfehlten Corona-Politik Trumps muss sich nun Biden auseinandersetzen. "Je tiefer das Loch ist, in das die US-Wirtschaft gerät, desto schwieriger wird es für Biden, wieder daraus herauszukommen", folgert Mauch.

Trump "spielt sicher mit dem Gedanken, sich selbst zu begnadigen"

An eines wird Trump sicher denken: an sich selbst. "In den USA warten etliche Gerichtsverfahren auf Trump. Der Noch-Präsident spielt sicher mit dem Gedanken, sich selbst zu begnadigen", glaubt Mauch. Rechtlich wäre dieser Schritt allerdings fragwürdig.

Mauch hält deshalb noch ein anderes Szenario für möglich: Er traut Trump zu, dass er kurz vor Bidens Inauguration als Präsident zurücktritt, Mike Pence zum Kurzzeitpräsidenten macht und sich von ihm begnadigen lässt.

Durch weitere Begnadigungen könnte er wohl auch Mitglieder seiner Familie und Gefolgschaft wie Steve Bannon und Rudy Giuliani schützen. Die Gefängnisstrafe von Roger Stone, einem Vertrauten und ehemaligen Berater, hat er beispielsweise bereits erlassen. Dies wird er auch tun, weil er sich in Zukunft Gegenleistungen verspricht", ergänzt Schwieters.

Rüstet er sich für 2024?

Egal, was Trump in den verbleibenden Wochen noch in die Wege leitet: Bleibenden Schaden hat er bereits hinterlassen. "Er hat die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft nicht ausgelöst, aber noch einmal enorm vorangetrieben, besonders in Bezug auf Rassismus", sagt auch Schwieters.

Mehr als 72 Millionen Amerikaner hätten bei der Wahl für ihn und die Republikanische Partei gestimmt, sodass er weiterhin großen Einfluss haben werde. Das glaubt auch Hackenesch: "Trump wird auch nach dem Ende der Präsidentschaft ein Faktor in der Politik bleiben; er hat eine enorm hohe Anzahl an Followern bei Twitter, die er weiterhin mit seinen politischen Botschaften 'versorgen' wird".

Es deute momentan nichts darauf hin, dass er von der politischen Bühne verschwinden werde. Auch Mauch sagt: "Er wird versuchen Schlagzeilen zu machen. Eine lahme Ente will er nicht sein, dagegen hat er kein Problem damit, als 'mad cow' zu agieren, solange ihm das den Applaus von 73 Millionen Amerikanerinnen und Amerikanern sichert."

Damit könnte er sich bereits für 2024 rüsten – wenn die nächsten Präsidentschaftswahlen anstehen.

Über die Experten:
Prof. Dr. Christof Mauch ist Lehrstuhlinhaber für Amerikanische Kulturgeschichte an der LMU München, Direktor des Lasky Center für Transatlantische Kultur und Politik sowie Direktor des Rachel Carson Center für Umwelt und Gesellschaft. Derzeit hat er außerdem die Carl Schurz Memorial Professur an der University of Wisconsin-Madison inne.
Dr. Silke Hackenesch studierte Amerikanistik, Anglo-Amerikanische Geschichte und Soziologie. Sie ist Akademische Rätin am Historischen Institut der Universität zu Köln in der Abteilung für Nordamerikanische Geschichte. Zu ihren Forschungsgebieten zählt amerikanische Kulturgeschichte.
Dorothee Schwieters studierte Anglistik und Amerikanistik sowie Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Heute arbeitet sie in der Abteilung für Nordamerikanische Geschichte des Historischen Instituts an der Universität zu Köln.
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