• Die Aktivisten der "Letzten Generation" haben mit ihren Protesten für viel Diskussionsstoff gesorgt.
  • Ist die Protestform angemessen? Nutzt oder schadet die "Letzte Generation" dem Klimaschutz?
  • Aimée van Baalen, Sprecherin der "Letzten Generation", stellt sich den Fragen unserer Redaktion.
Ein Interview

Frau van Baalen, Sie haben Ihren Job im Tattoo-Studio gekündigt, um Klimaaktivistin zu werden. Wie viel verdient man als Klimaaktivistin?

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Aimée van Baalen: Ich verdiene 1.000 Euro im Monat. Damit werden aber nur die Sachen bezahlt, die legal sind, also Vorträge halten, Pressearbeit, mit PolitikerInnen sprechen. Der Protest selbst passiert dann ehrenamtlich außerhalb der Arbeitszeit.

Wer bezahlt die Strafen, die Sie nach einem Protest zahlen müssen?

Für meine letzte Strafe, die sich auf 40 Tagessätze beläuft, werde ich wahrscheinlich eine Spendenkampagne aufsetzen und dann hoffen, dass ich genug Geld bekomme. Falls das nicht der Fall ist, droht eine Freiheitsstrafe.

Wie machen das Aktivisten, die nicht so eine Aufmerksamkeit bekommen wie Sie?

Die können ihre Spendenaufrufe über die Social-Media-Konten von mir und von unserem allgemeinen Account teilen.

Wäre das Spendengeld nicht bei einer Klimaschutzorganisation besser angelegt als für Geldstrafen für Ihre Proteste?

Viele der Klimaschutzorganisationen haben selbst zivilen Widerstand geleistet. Ich denke, dass wir beides brauchen. Die etablierten Organisationen haben es bisher leider nicht alleine geschafft, die Politik so zu beeinflussen, dass wir die Kipppunkte nicht überschreiten werden. Wenn es den Druck von der Straße sowie die etablierten Organisationen gibt, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass wir die kurze Zeit, die uns bleibt, effektiv nutzen.

In Ihrer Zeit als Aktivistin waren Sie auch einige Male im Gefängnis. Insgesamt knapp 20 Tage. Kamen Ihnen dort Zweifel, ob Sie das Richtige tun?

Es hat sich angefühlt wie ein Vakuum. Die Zeit dort ist sehr langsam verstrichen, währenddessen denkt man natürlich auch viel über den Protest nach. Ich bin trotz all dieser Stunden nicht auf eine bessere Möglichkeit gekommen. Ich glaube, unser Protest ist der beste Plan, den wir aktuell haben. Deshalb bin ich aus dem Gefängnis mit der Überzeugung gegangen, dass ich am nächsten Tag wieder in den Protest gehe.

Eine Civey-Umfrage im Auftrag unserer Redaktion, dass die Proteste der "Letzten Generation" bei 75 Prozent der Befragten das Ansehen der Klimabewegung verschlechtert haben. Wie können Sie also noch der Meinung sein, dem Klimaschutz einen Dienst zu erweisen?

Man muss da zwei Dinge unterscheiden. Einmal wie die Menschen über uns denken und wie sie über den Klimaschutz denken. Man kann die "Letzte Generation" nicht mögen und sich trotzdem mit dem Thema Klimaschutz beschäftigen und die Dringlichkeit besser begreifen. Dann wird man erkennen, dass die Bundesregierung viel zu wenig tut.

Die Regierung wurde demokratisch gewählt. Vielleicht gibt es in der Bevölkerung einfach keine Mehrheiten für ausreichenden Klimaschutz?

Klimaschutz ist ein Grundrecht. Und ich denke, es gibt Mehrheiten in der Bevölkerung für den Klimaschutz. In einer Umfrage haben 85 Prozent der Bevölkerung angegeben, sie wollen mehr Klimaschutz. Mehr als die Hälfte der Menschen wollen das 9-Euro-Ticket und ein Tempolimit. Trotzdem gibt es diese sehr einfachen Maßnahmen nicht. Das ist ja gerade der Punkt. Deshalb versuchen wir nicht, die Bevölkerung weiter vom Klimaschutz zu überzeugen, sondern mehr Menschen dazu zu bringen, selbst lautstark Klimaschutz von der Politik einzufordern und auf ihr demokratisches Recht zu pochen.

Die Protestform der "Letzten Generation" mit Straßenblockaden trifft aber die Bevölkerung, obwohl Sie die Politik überzeugen wollen.

Ziviler Widerstand hat immer in der Mitte der Bevölkerung stattgefunden. Wenn man nur vor dem Bundestag steht, was viele von uns jahrelang gemacht haben, dann kriegt die Bevölkerung davon nichts mit. Das braucht es aber, damit eine gesamtgesellschaftliche Diskussion entsteht, die Druck auf die Politik macht. Letztendlich sitzen wir alle im selben Boot, und das Boot droht zu kentern.

Die Diskussion hat sich auch viel um einzelne Aktivisten gedreht, zum Beispiel, als durch die Presse ging, dass zwei Aktivisten der "Letzten Generation" nach Bali verreist sind. Was sagen Sie zu dem Vorwurf der Doppelmoral?

Natürlich setzt man sich mit seinem eigenen Lebensstil auseinander, wenn man politisch aktiv wird. Wir üben schon seit Beginn der Kampagne keine Individualkritik. Weil klar ist: Man muss sich nicht selbst perfekt verhalten, um die Probleme zu erkennen und sich für eine gerechtere Welt einzusetzen. Wir haben in keinem einzigen Interview und in keinem einzigen Statement irgendeine Einzelperson für ihr Verhalten angegriffen. Außer Politiker für ihr politisches Fehlverhalten. Wenn diese die Rahmenbedingungen nicht schaffen, ist es vielen Menschen gar nicht möglich, noch nachhaltiger zu leben.

Gerade die Protestform mit Straßenblockaden wird von vielen Leuten aber als Kritik an ihrem Lebensstil aufgefasst. Viele Menschen haben das Gefühl, dass damit ihre Art zu leben, zu der Auto fahren und Fleisch essen gehört, infrage gestellt wird.

Ich stelle infrage, ob es so viele Privatjets braucht. Ich stelle infrage, ob es in Ordnung ist, dass Yachten an einem Tag mehr CO2 ausstoßen als manche Menschen ihr ganzes Leben lang. Aber ich kritisiere nicht die Einzelperson, die nicht zu 100 Prozent nachhaltig lebt, weil uns das nicht weiterbringt.

Sie haben durch Ihre Proteste Aufmerksamkeit erzeugt und das Thema präsent gemacht. Trotzdem hat die Regierung ihre Klimapolitik nicht verändert, warum?

Weil es einen Interessenskonflikt gibt. Politiker denken oft in kurzen Zeitabschnitten, weil sie wiedergewählt werden wollen. Für die Klimakatastrophe brauchen wir aber langfristiges und Sektoren übergreifendes Denken. Auch Lobbyismus führt oft dazu, dass Entscheidungen zugunsten von großen Konzernen getroffen werden und nicht zugunsten des Allgemeinwohls und des eigentlichen demokratischen Willens. Trotzdem haben wir auch schon Dinge in der Politik bewegt und den Diskurs beeinflusst.

Zum Beispiel?

In Rheinland-Pfalz soll jetzt das Essen-Retten-Gesetz umgesetzt werden, was wir vor einem Jahr gefordert haben. Auch auf nationaler Ebene soll Containern bald legalisiert werden. Das ist maßgeblich davon geprägt, dass wir die Debatte darum angestoßen haben. Dadurch konnten etablierte Organisationen wie die Tafel den Raum, den wir aufgemacht haben, nutzen und ihn mit Informationen über die Lebensmittelkrise füllen.

Welche Maßnahmen muss die Politik noch konkret umsetzen, damit Sie zufrieden sind und die Proteste einstellen?

Was wir konkret fordern, ist ein Gesellschaftsrat, weil aktuell nichts darauf hindeutet, dass die Politik unsere Lebensgrundlagen ausreichend schützt. Ein Gesellschaftsrat bildet ein "Deutschland in klein" ab und besteht aus zufällig gelosten Menschen. Diese werden von ExpertInnen beraten und diskutieren über verschiedene Maßnahmen, die es Deutschland ermöglichen bis 2030 klimaneutral zu sein. In Berlin hat so ein Rat bereits stattgefunden, allerdings waren die Maßnahmen nur Empfehlungen, die trotz einer gesellschaftlichen Unterstützung von über 80 Prozent wieder in der Schublade verschwunden sind.

Ein Gesellschaftsrat wäre ein neues demokratisches Instrument. Es würde viel Zeit kosten, bis es legitimiert und ins bestehende demokratische System eingefügt wäre. Das ist doch Zeit, die wir in der Klimakrise nicht haben, oder?

Wir fordern trotzdem auch alle weiteren kleineren und größeren Maßnahmen, die im Weltklimaratbericht stehen. Aber wir brauchen langfristig eine Möglichkeit, die uns als Gesellschaft nicht weiter auseinanderreißt und in verschiedene Lager steckt. Der Gesellschaftsrat wäre eine gute Möglichkeit, wo wir als Gesellschaft zusammenkommen, weil diese Krise uns alle betreffen wird und wir uns deshalb auch gemeinsam dieser Krise entgegenstellen müssen. Er ist ein Ort, wo Reiche und Arme, Alte und Junge und Mütter und Väter darüber diskutieren, wie wir unseren Wohlstand langfristig erhalten können.

Im bestehenden demokratischen System wurden bis jetzt vor allem die Grünen als Partei gesehen, die sich den Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben hat. Nun sind sie seit einem Jahr in der Bundesregierung und Deutschland ist trotzdem nicht auf dem Kurs, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Können Sie sich vorstellen, trotzdem noch mal die Grünen zu wählen?

Keine der Parteien, die aktuell im Bundestag sind, hat einen Plan, wie wir angemessen auf die Klimakrise oder das Artensterben reagieren. Deshalb reicht es nicht aus, alle vier Jahre ein Kreuz auf dem Wahlzettel zu machen, sondern es ist wichtig, dazwischen auch zu fordern, dass wir nicht über diese Klippe rennen. Trotzdem gehe ich natürlich wählen, ich wähle dann das kleinste Übel.

Und wer ist das kleinste Übel für Sie?

Wir können keine Kompromisse mit physikalischen Grundlagen machen. Ich wähle jeweils die Partei, welche in diesem Jahr den besten Schutz für unsere Gesellschaft bietet. Die Grünen und die Linken hatten ähnliche Klimaschutzprogramme. Trotzdem muss man betonen: Die Klimaziele der Bundesregierung reichen für das 1,5 Grad-Ziel nicht aus und diese werden nicht mal eingehalten. Daran haben alle Parteien eine Mitschuld. Die sitzen in der Regierung und lassen dort zu, dass weiter Kohle abgebaggert wird. Dass die Emissionen steigen und die Verfassung damit gebrochen wird.

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