Kränkbarkeit, Probleme mit der Wahrheit, geringe Aufmerksamkeitsspanne: In den USA wird zunehmend über die psychische Gesundheit von Präsident Donald Trump diskutiert. Eine Expertin hat eine klare Meinung, warnt aber vor voreiligen Schlüssen.

Ein Interview

Ist Donald Trump fähig, sein Amt verantwortungsbewusst auszuüben? Die Psychologin Bärbel Wardetzki erklärt, warum Ferndiagnosen problematisch sind und warum trotzdem auf auffällige Verhaltensweisen beim US-Präsidenten hingewiesen werden sollte.

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Frau Wardetzki, zeigt US-Präsident Donald Trump Anzeichen für psychische Probleme?

Natürlich ist er psychisch auffällig. Seine Kränkbarkeit, die fehlende Emotionskontrolle, das ständige Selbstlob oder die Abwertung von Fremden, Frauen und Behinderten. Was genau er hat, ist natürlich die große Frage, aber es führt uns auch nicht weiter.

Warum nicht?

Entscheidender finde ich, was er in Menschen auslöst, dass sie wie die Kaninchen vor der Schlange sich nicht trauen, sich gegen ihn zu stellen. Und wie kann es sein, dass so jemand als Präsident gewählt wird?

Nun haben 27 amerikanische Psychiater und Psychologen in der Aufsatzsammlung "Der gefährliche Fall des Donald Trump" seine mentale Gesundheit analysiert. Obwohl keine klinische Diagnose gestellt wird, wird Trump mit Soziopathie oder einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung in Verbindung gebracht.

Schon im Februar haben Kollegen in der New York Times erklärt, dass sie Trump nicht für verantwortungsvoll genug halten, diesen Job auszuführen. Die Warnungen stehen also im Raum. Trump hat sicher viele narzisstische Züge. Ob er eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat, wissen wir nicht.

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Wie ist sein Twitter-Verhalten einzuordnen?

Er benimmt sich auch in den Sozialen Medien ungehobelt, undiplomatisch und auf seiner Meinung beharrend. Nicht wie ein erwachsener Mensch, der seine Impulse steuern kann. Da wirkt alles etwas einfältig, was er da tut, aber das ist noch lange kein Grund ihn des Amtes zu entheben. Seinen Wählern gefällt das allerdings. Dafür haben sie ihn gewählt: politisch nicht korrekt zu sein.

Die US-Psychiater Peter Kramer und Sally Satel schrieben kürzlich in der New York Times: "Man würde der Demokratie und der medizinischen Zunft einen Bärendienst erweisen, wenn man eine politische Entscheidung auf dieser Ebene jemals als medizinisches Urteil ausgibt." Inwiefern ist so eine Ferndiagnose wie in den USA tatsächlich problematisch?

Diagnosen können Sie nur stellen anhand von Tests und Gesprächen. Ferndiagnosen verbieten sich und sind nicht legitim.

Die "Goldwater-Regel" besagt, dass die Mitglieder der "American Psychiatry Association" (Vereinigung Amerikanischer Psychiater) Personen des öffentlichen Lebens nicht ohne eingehende persönliche Untersuchung diagnostizieren sollen.

Zu Recht. Denn sie wissen nicht, ob das stimmt und schaden einem Menschen möglicherweise. Das würde ich bei Donald Trump auch nicht tun, sondern nur sagen: Dieses Verhalten ist sonderbar, jenes Verhalten wirkt so und so. Aber eine direkte Diagnose ist auch gar nicht gestellt worden. Man hat vielmehr sein Verhalten beschrieben und eingeschätzt.

Wie sind denn diese Einschätzungen entstanden, ohne Trump persönlich zu befragen?

Man kann sein Verhalten anschauen und die Worte, die er sagt.

Gibt es so eine Regel eigentlich auch in Deutschland?

Meines Erachtens gilt die Goldwater-Regel nur im US-Kontext, wir sind da noch ein wenig freier. Ohnehin geht es bei der Regel nicht nur um klinische Diagnosen, sondern darum, über den Gesundheitszustand von öffentlichen Personen überhaupt nicht zu reden. Und die Regel schützt die Psychiater vor der Versuchung, die Diagnose für Parteizwecke zu missbrauchen.

Die Regel wurde aber hier gebrochen. Sollte es also Ausnahmen geben?

Ja. Es ist wichtig, dass über Trumps Gesundheit geredet wird. Wenn wir nicht darüber reden, machen wir uns mitschuldig. Ich halte Trump für gefährlich, weil er so impulsiv ist und viele Dinge einfach kaputt macht, die in jahrelanger Arbeit aufgebaut wurden, wie das Pariser Klimaabkommen. Außerdem dürfen Sie nicht vergessen: Der Mann könnte Atomwaffen abschießen.

Sie haben selbst viele Bücher über Narzissmus geschrieben. Gibt es führende Politiker, bei denen die narzisstischen Persönlichkeitsanteile nicht übermäßig ausgeprägt sind oder braucht man die, um den Willen zur Macht zu haben?

Jeder von uns hat narzisstische Anteile, weil wir alle auf Beachtung angewiesen sind, um unser Selbstwertgefühl zu stärken. In der Politik wollen Menschen im besonderen Maße im Rampenlicht stehen, Einfluss nehmen und Macht haben. Ich denke aber, es geht weniger um die narzisstischen Anteile, sondern um das, was die Politiker daraus machen.

Und das wäre?

Narzissmus ist per se nichts Schlechtes. Sie können den Narzissmus auch positiv für das Wohl des Ganzen einsetzen und so ihre Anerkennung bekommen. Oder Sie kümmern sich nur um ihr persönliches Wohl und nicht um das Wohl des Ganzen. Letzteres scheint bei Trump der Fall zu sein.

Trump fände sich in prominenter Gesellschaft, sollte er tatsächlich eine psychische Erkrankung haben. Zahlreiche frühere US-Präsidenten sollen mentale Probleme gehabt haben. Lincoln, Roosevelt, Kennedy.

Präsidenten sind auch nur Menschen. Wir haben alle irgendwo Probleme, es gibt niemanden, der keine hat. Aber Trump lebt es im Moment sehr aggressiv aus, in dem er ganz viel in der Welt zerstört. Das ist das Problem. Ob oder welche Störung er hat, ist dabei zweitrangig. Was macht er mit Amerika? Was macht er mit der Welt? Was macht er mit uns? Das ist das Entscheidende, und da gibt es viel Grund zu Besorgnis im Moment.

Wenn eine vom Kongress berufene, medizinische Expertenkommission bei Trump eine Erkrankung feststellt, wegen der er sein Amt nicht ausfüllen kann, dann könnte er laut Zusatzartikel 25 der US-Verfassung nach Zustimmung des Vizepräsidenten entlassen werden. Wie würde das konkret ablaufen?

Dieser Artikel regelt die Nachfolge, sobald der Präsident nicht mehr in der Lage ist, sein Amt auszufüllen aufgrund von Tod oder Krankheit. Er sieht eine elfköpfige Kommission vor, der acht Ärzte und davon vier Psychiater angehören, die über eine mögliche psychische Störung des Präsidenten entscheiden. Der Vizepräsident muss einwilligen, er würde dann die Regierungsgeschäfte übernehmen.

Allerdings könnte der Präsident auf ein Kongressvotum bestehen, dass er doch genesen sei. Auch wäre es nicht so leicht festzustellen, ob die Beeinträchtigung der Fähigkeiten wirklich der psychischen Störung zuzuordnen ist und ob Trumps Regierungsunfähigkeit im Sinne des 25. Amendment zu beurteilen ist.

Und der Vizepräsident und die Regierung müssten dabei mitspielen.
Ja. Und dennoch ist es sehr schwer, einen Präsidenten auf diese Art und Weise von seinem Amt zu entheben. Soweit ich weiß, ist das bisher noch nicht geschehen.

Zur Person: Dr. Bärbel Wardetzki lebt und arbeitet als Psychologin und Autorin in München. 2017 erschien ihr neuestes Buch „Narzissmus, Verführung und Macht in Politik und Gesellschaft“.

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