In der Ukraine werden handelsübliche Freizeitdrohnen in panzerbrechende Waffen umgerüstet. Auf Videos sieht man, wie sie den Soldaten das Leben zur Hölle machen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Clemens Sarholz sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Not macht erfinderisch. Und in der Ukraine ist die Not gerade sehr groß. Es fehlt an Soldaten, an Munition, an Geld und an Unterstützung der westlichen Staaten. Die Folge: Russland dringt immer weiter ins Land vor. Die Front verschiebt sich langsam, aber sicher zu Ungunsten der Ukraine. Einige Militärbeobachter sind der Meinung, dass der Krieg nicht ohne Geländeverluste beendet werden kann.

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Und Russland schickt weiter Panzerwellen an die Front. Doch eine relativ neue Waffe hilft den Ukrainern, sich zu verteidigen: Kameradrohnen, die mit einem Sprengsatz ausgestattet sind und als Kamikazedrohnen direkt ins gegnerische Ziel gelenkt werden. Laut dem Fachmagazin Foreign Policy wurden mehr als zwei Drittel der russischen Panzer, die das ukrainische Militär in den letzten Monaten zerstörte, mittels dieser sogenannten First-Person-View-Drohnen (FPV-Drohnen) abgeschossen.

Videos dokumentieren die Militärtaktik

Im Internet kursieren mittlerweile zahlreiche Videos, die diese neuartige Militärtaktik dokumentieren. Eines zeigt, wie ein russischer Kampfpanzer vom Typ T-90M, der laut Forbes 4,5 Millionen Euro kostet, von einer FPV-Drohne getroffen wird, woraufhin er seine Steuerungsfähigkeit verliert, eine Baumreihe durchbricht und schließlich stehen bleibt. Drei Soldaten verlassen daraufhin den Panzer, weil sie wissen, dass jederzeit ein weiterer Angriff folgen kann.

Ursprünglich wurden FPV-Drohnen als Kameradrohnen entwickelt. Der Pilot steuert die Drohne über einen Controller und eine Virtual-Reality-Brille. Durch die Brille kann der Pilot die Drohne viel präziser steuern und mit sehr viel höherer Geschwindigkeit fliegen als mit einer normalen Freizeitdrohne. Ein weiterer großer Vorteil der Drohnen ist ihr Preis. Sie sollen laut Kyiv Post etwa 400 Euro kosten.

Ein anderes Video zeigt, wie Einheiten der ukrainischen Armee mittels einer FPV-Drohne eine Granate bei Nacht in einen Panzer abwerfen. Die Taktik des FPV-Drohnen-Einsatzes scheint sich zu etablieren, so dass die russische Armee Antworten darauf finden muss. Der aserbaidschanische Online-Sender Kanal 13 hat dazu ein Video veröffentlicht, in dem russische Soldaten Manöver durchführen sollen, um zu lernen, wie sie den wendigen, kleinen Drohnen ausweichen und wie man sie mit Schrotflinten vom Himmel holt.

Das Problem ist der Abnutzungskrieg

Die Ukraine leidet unter dem Abnutzungskrieg. Auch wenn es so aussieht, als würde sich an den Frontabschnitten nicht viel tun, steht immer die Frage im Hintergrund: Wer hat mehr Ressourcen, um die Kämpfe aufrechtzuerhalten? Da hat Russland klar die Nase vorne. Russland hat derzeit etwa 500.000 Soldaten in der Ukraine im Einsatz, das ist das Zweieinhalbfache von dem, womit sie im Jahr 2022 in die Ukraine einmarschiert sind. Anfang April wurden weitere 150.000 Soldaten eingezogen.

Die Ukraine ist dagegen auf sehr viel Unterstützung aus dem Westen angewiesen. Die Artilleriemunition soll bald in einem Verhältnis von 1 zu 10 zugunsten Russlands stehen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj befürchtet, wegen dieses ungleichen Kräfteverhältnisses die Streitkräfte von der Front zurückziehen zu müssen.

In den vergangenen zwei Jahren hat sich gezeigt, wie Russland seine Artillerie im Krieg einsetzt: In einer ersten Angriffswelle mit der Artillerie werden die ukrainischen Verteidiger gezwungen, das Feuer aus ihren eigenen Stellungen zu erwidern. Russische Drohnen identifizieren die Stellungen, die dann in einer zweiten Angriffswelle gezielt beschossen werden.

FPV-Drohnen können dabei helfen, den Mangel an Ressourcen auszugleichen. Laut dem Fachmagazin Foreign Policy können Drohnen allein im Artilleriekampf allerdings nicht mithalten. Zum einen könnten die Drohnen vom Feind durch elektronische Signale gestört werden, zum anderen könne eine solche fliegende Bombe eine 155-mm-Artilleriegranate nicht ersetzen, wird ein ukrainischer Beamter zitiert.

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Die Produktion boomt

Nichtsdestotrotz ist der Einsatz von Kamikazedrohnen so erfolgreich, dass es in der Ukraine gerade einen Produktionsboom gibt. Während das ukrainische Militär im Januar 2023 noch verkündete, dass es 1000 FPV-Drohnen gekauft habe, soll die eigene Drohnen-Produktion laut der stellvertretenden Ministerin für strategische Industrie, Hanna Hvozdyar, inzwischen bei 150.000 im Monat liegen.

Dieses Jahr peilt Kiew für die Drohnenproduktion die Zwei-Millionen-Marke an.

Verwendete Quellen

Svenja Schulze

Schulze erwartet in Kiew unangenehme Überraschung

Der Ukraine-Besuch von Entwicklungsministerin Svenja Schulze ist von der völlig überraschenden Absetzung ihres wichtigsten Gesprächspartners überschattet worden. Der hat noch ein persönliches Geschenk für Schulze.
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