• Nach Informationen des Geheimdienstes in Moldawien soll Russland eine Offensive in dem ehemaligen Sowjet-Staat planen.
  • Dabei spielt das abtrünnige Transnistrien, Landesteil Moldaus, eine zentrale Rolle.
  • Wie groß ist die nun drohende Gefahr? Militärexperte Gustav Gressel gibt Antworten.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Putin sorgt weit über die Grenzen der Ukraine hinaus für Schrecken. Schnell haben sich Finnland und Schweden nach der russischen Invasion im Februar auf den Weg in die NATO gemacht, auch das Baltikum tut seine Sicherheitsbedenken immer wieder lautstark kund.

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Nun macht sich in Moldawien, auch Republik Moldau, die Sorge breit, das kleine Land zwischen Rumänien und der Ukraine könnte Putins nächstes Ziel sein. Laut Medienberichten erwartet der Geheimdienst der Republik Moldau für das kommende Frühjahr einen angeblichen russischen Angriff auf das Land.

Geheimdienst sagt Invasion voraus

"Die Frage ist nicht, ob die Russische Föderation eine neue Offensive gegen das Territorium der Republik Moldau durchführen wird, sondern wann", sagte Geheimdienstchef Alexandru Musteata am 19. Dezember im Staatsfernsehen. Möglich sei ein Zeitraum zwischen Januar und April.

Moldawien ist eine ehemalige Sowjetrepublik und entstand 1991 im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion. Es ist kein EU-Mitglied, hat aber im März 2022 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt und ist seit Juni offizieller Beitrittskandidat. Gemessen an der eigenen Bevölkerungszahl hat die Republik Moldau, eines der ärmsten Länder in Europa, mehr Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen als jeder andere Staat.

Sorge wegen abtrünnigem Transnistrien

Sorge bereitet im Zusammenhang mit einer möglichen russischen Invasion der Landesteil Transnistrien. Als die Sowjetunion zerfiel, begann ein Konflikt um die langgestreckte Region, die seitdem abtrünnig ist. Sie liegt zwischen dem Fluss Dnister und der Grenze zur Ukraine und wird international nicht als eigenständig anerkannt.

Wie der moldawische Geheimdienst berichtet, soll Russland beabsichtigen, Transnistrien und Moldau zu verbinden. "Ja, wir können klar sagen, dass sie beabsichtigen, hierherzukommen", wird Musteata zitiert. Die russischen Pläne in Bezug auf die Hauptstadt der Republik Moldau, Chisinau, seien noch nicht erkennbar: "Aber das ist ein echtes und sehr hohes Risiko", so der Geheimdienstchef weiter.

Russische Soldaten stationiert

In Transnistrien, wo etwa 500.000 Menschen leben, ist ein von Moskau gestütztes Regime an der Macht. Etwa ein Drittel der transnistrischen Bevölkerung ist russischstämmig. Moskau hat in Transnistrien mit der 14. Russischen Gardearmee Soldaten stationiert, offiziell als sogenannte Friedenstruppe. Es gibt keine Angaben, wie viele Soldaten sie zählt. Die Gardearmee ist in der Nähe eines Munitionsdepots im Norden des Landes untergebracht. Separatistische Kräfte haben zudem in Transnistrien selbst eine Armee aufgebaut, die eng mit den Russen zusammenarbeitet.

Militärexperte Gustav Gressel hält die Sorge nicht grundlegend für unberechtigt, aktuell aber für übertrieben. "Russland hat keine Möglichkeit, Truppen nach Moldawien zu verlegen", sagt er. Alle Verbindungen seien vor Kriegsbeginn über die Ukraine gelaufen.

Geographische Lage entscheidend

"Transnistrien ist komplett eingeschlossen zwischen Moldawien und der Ukraine. Da gibt es keine Chance, etwas durchzubekommen", meint Gressel. Russland könne also nur mit den Kräften arbeiten, die in Transnistrien vor Ort sind. "Dabei handelt es sich um zwei mechanisierte Bataillone und sehr viel ehemaliges KGB-Personal", sagt er.

Der KGB war der sowjetische In- und Auslandsgeheimdienst und die Geheimpolizei. "Transnistrien war so etwas wie ein subversiver Posten, von dem aus Russland Propaganda und nachrichtendienstliche Tätigkeiten ausgeübt hat", erklärt Gressel die Rolle, die die Region zuletzt einnahm.

"Man hat von dort aus vor allem gegen den Südosten der NATO operiert", ergänzt der Experte. Die transnistrischen Kräfte selbst seien allerdings nicht besonders stark. Es handele sich nur um leichte Infanterie ohne schwere Waffen und Artillerie.

Wie stark sind die Kräfte vor Ort?

"Die alten Munitionslagerbestände, die sich auf dem Boden Transnistriens befinden, sind sehr lange überlagert", sagt Gressel. Angesichts der Korruption bei den russischen Streitkräften und Nachrichtendiensten könne man außerdem nicht davon ausgehen, dass der gesamte Lagerbestand wirklich noch da ist.

"Transnistrien wurde von russischer Seite auch benutzt, um Munition abzuverkaufen, an Klienten in der Dritten Welt und an andere befreundete Staaten", sagt Gressel. Er geht deshalb insgesamt davon aus, dass die russische Präsenz auf transnistrischem Boden schwächer ist als oft angenommen.

Russland habe zwar angesichts der Mann-Stärke die Möglichkeit, die moldawischen Streitkräfte zu schlagen. Sie verfügen nur über ein paar Tausend Berufssoldaten. Aber man brauche dafür den Anschluss transnistrischer Kräfte an russische Streitkräfte und Anschlussversorgungen.

Experte: Russland müsste "weit mehr Kräfte mobilisieren"

"Das kann entweder über eine Süd-Offensive oder eine Nord-Offensive erfolgen", analysiert Gressel. Eine Süd-Offensive Richtung Odessa sei immer das wahrscheinlichste Szenario gewesen. Nun habe man aber Cherson als wichtigen Brückenkopf verloren und müsste zwei Flüsse überbrücken.

"Die ukrainische Armee ist zudem viel stärker als im Frühling. Das ist ein schwieriges Unterfangen." Auch eine Nord-Offensive hält Gressel zum jetzigen Zeitpunkt für unwahrscheinlich. "Dafür müsste Kiew fallen und man müsste die ganze Zentral-Ukraine erst erobern, bevor man im Norden durchstößt", erklärt Gressel. Dazu müsse Russland weit mehr Kräfte mobilisieren als die derzeitigen 300.000 Mann. "Dafür müssten wir eine zweite, dritte, vierte Welle der Mobilmachung erleben", schätzt der Experte.

Element der psychologischen Kriegsführung

Das wäre zeitlich sehr langwierig, sodass das Szenario gegenwärtig sehr umständlich erscheint. "Es ist aber möglich, dass die Kräfte in Transnistrien genutzt werden, um kleinere Überfälle durchzuführen, in Richtung Ukraine oder Moldawien", sagt Gressel. Damit könne man Stärke vortäuschen, ukrainische Kräfte binden und verunsichern.

"Man zwingt damit die Ukraine unter Umständen, Kräfte aus der Front herauszulösen und bereitzustellen", sagt erläutert er weiter. So werde insgesamt die Nervosität gesteigert. Ein weiteres Element der psychologischen Kriegführung der Russen.

Über den Experten:
Gustav Gressel ist Experte für Sicherheitspolitik, Militärstrategien und internationale Beziehungen. Er absolvierte eine Offiziersausbildung und studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Schwerpunktmäßig befasst sich Gressel mit Osteuropa, Russland und der Außenpolitik bei Großmächten.
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