Großbritannien und die Niederlande haben eine Kampfjet-Koalition angekündigt, die die Ukraine mit modernen Kampfflugzeugen ausstatten soll. Deutschland hat bereits eine Absage zur Lieferung erteilt, das Okay der Amerikaner fehlt noch. Droht damit eine weitere Eskalationsspirale in Gang gesetzt zu werden? Experte Gustav Gressel findet überraschende und eindeutige Worte.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Kiews Bitten nach modernen Kampfjets tragen Früchte: Die Niederlande und Großbritannien kündigten an, eine "internationale Koalition" schmieden zu wollen, um die Ukraine bei der Beschaffung von Kampfflugzeugen zu unterstützen.

Bisher hatten die Nato-Partner das abgelehnt. Auch jetzt stellten Berlin und London allerdings klar: Aus ihren Ländern selbst werden keine Flugzeuge kommen. Frankreich erklärte sich zur Unterstützung bei der Piloten-Ausbildung bereit, die Niederländer wären bereit, F-16-Maschinen auszuliefern.

Mehr News zum Krieg in der Ukraine

Allerdings braucht es dafür das Okay der USA, denn es handelt sich um Maschinen aus amerikanischer Produktion. Aus welchem Land das Gerät am Ende auch kommt: Die Sorge vor einer Eskalation des Krieges macht sich breit.

Langfristiger Nachschub für Ukraine nötig

Militärexperte Gustav Gressel hält das für übertrieben. Die Lieferungen würden die Dynamik des Krieges aus seiner Sicht nicht großartig verändern. "Es geht in erster Linie um die logistische Durchhaltefähigkeit. Die Ukraine muss langfristig den Nachschub an Flugzeugen, Munition und Luftraketen sicherstellen", sagt der Experte.

Allerdings würden die Kampfjets – wie auch bereits die aktuellen ukrainischen Kampfflugzeuge – in erster Linie als Abfangjäger eingesetzt. "Also gegen russische Kampfflugzeuge, Drohnen und Marschflugkörper", erklärt Gressel. Bei solchen Abfangeinsätzen verliere die Ukraine bereits jetzt ein gewisses Pensum an Kampfflugzeugen. "Es gibt eine begrenzte Anzahl an MiG-29-Maschinen, die aktuell im Einsatz sind, im Westen. Die, die wir haben, sind alle in der Ukraine", sagt Gressel.

Dass mit der Lieferung von Kampfflugzeugen etwa des Typs F-16 eine "rote Linie" überschritten wird, sieht Gressel nicht. "Die Aussagen der Russen zu roten Linien müssen uns egal sein", meint er. Das Momentum sei nun für die Ukraine da: Die Russen erproben aktuell, ob sie die ukrainische Front besser mit Gleitbomben angreifen können, beobachtet Gressel.

Diese Bomben würden den Kampfflugzeugen ermöglichen, außerhalb der Reichweite der Kurzstrecken-bodengestützten Fliegerabwehr zu bleiben. "Man löst die Waffen auf eine Entfernung von 10 bis 20 Kilometer aus", erklärt Gressel. Besonders für die Gegenoffensive werde das an Bedeutung gewinnen.

Mit ihren bestehenden Flugzeugen hätten die Ukrainer allerdings gewisse technische Mängel, die sie ins Hintertreffen geraten ließen. "Eine Schwäche ist das Radar von MiG-29 und Su-27 in der gegenwärtigen Ausführung", sagt Gressel. Es handele sich um ein mechanisch geschwenktes Radar, welches entweder Ziele verfolgen könne oder scannen könne, ob es woanders noch Ziele gibt. "Der Radar kann seine Aufmerksamkeit nicht teilen", verdeutlicht Gressel.

Wenn die Ukrainer ein russisches Kampfflugzeug bekämpfen wollten, müssten sie es mit einem Radarstrahl beleuchten, weil ihre Raketen auf diese Weise gelenkt würden. Das führe allerdings dazu, dass es relativ einfach sei, herauszufinden, wo sich gerade ein ukrainisches Flugzeug befindet. Mit elektronischen Maßnahmen könne man einfach feststellen, wo das Radar gerade ausstrahle.

"Spätestens dann wissen die Russen, dass sie unter Beobachtung stehen", so Gressel. Gleichzeitig müsse eine ukrainische Rakete, bis sie ein russisches Flugzeug erreicht, etwa eine Minute fliegen. "In dieser Minute muss das Ziel permanent beleuchtet sein. Der ukrainische Flieger muss also auf das Ziel zufliegen und ist in seiner Manövrierfähigkeit stark eingeschränkt", erklärt der Experte. Der Radar-Kontakt dürfe nie abreißen. "Das ist eine sehr verwundbare Phase, in der die Ukrainer meist abgeschossen werden."

Kampfflugzeuge mit besserem Radar vonnöten

Die modernen westlichen Kampfflugzeuge mit besserem Radar könnten hier Abhilfe schaffen. "Sie können Ziele verfolgen, während sie nach neuen Zielen suchen. Der Pilot verliert nicht den Überblick, was sich sonst noch im Luftraum tut", beschreibt Gressel. Außerdem würden die modernen Kampfflugzeuge Lenkwaffen verschießen, die ein eigenes Radar haben.

"Man braucht die russischen Flugzeuge also nicht während des ganzen Angriffs beleuchten. Es ist für die Russen deshalb viel schwieriger festzustellen, ob sie beobachtet oder beschossen werden", so der Experte. Das ukrainische Flugzeug könne direkt nach Abschießen der Lenkwaffe abdrehen und zurückfliegen. "Die Überlebensfähigkeit der ukrainischen Piloten bei diesen Missionen ist weit höher", sagt Gressel.

Gerade im Nachgang der angekündigten Offensive seien die Kampfjet-Lieferungen wichtig: "Man muss damit rechnen, dass die Ukraine, wenn sie bei ihrer Offensive Territorium gewinnt, ihre Kräfte nur mit Jagdflugzeugen wird decken können."

Ukraine hat mehr Piloten als Flugzeuge

Einem schnellen Einsatz stehe nicht viel im Weg. "Die Pilotenausbildung ist das geringste Problem. Die Ukraine hat mehr ausgebildete Piloten als Flugzeuge", sagt Gressel. Sie habe schon vor dem Krieg viel in die Pilotenausbildung investiert. "Man muss die Piloten zudem nicht neu ausbilden, man muss sie nur umschulen", sagt Gressel. Aufwendiger sei es, beispielsweise Basen und Landebahnen für die neuen Flugzeuge aufzubereiten und Mechaniker zu schulen.

Für die Ukrainer sei es wichtig zu wissen, welches Gerät sie verwenden können. "F16 ist im Westen am verbreitetsten. Selbst wenn aus vielen Staaten nur kleine Mengen kommen, kommt hier etwas zusammen", meint Gressel. Die Maschine habe allerdings ein sehr fragiles Fahrwerk und brauche einen sehr flachen Landewinkel.

Französische und schwedische Flieger seien teilweise für härtere Einsätze ausgelegt. "Diese Maschinen sind auch einfacher in der Wartung, aber die Frage ist, ob man von diesen Geräten die nötige Anzahl bekommt", kommentiert Gressel. Und dann wäre da noch das notwendige Okay der Amerikaner. Gressel betont allerdings: "Biden drückt sich vor der F16-Lieferung nicht, weil er Angst vor dem großen Atomkrieg hat. Es ist eine Budgetfrage."

Vorgesehene Hilfsmittel zum Großteil ausgeschöpft

Die vom Kongress vorgesehenen Hilfsmittel für die Ukraine seien schon zum Großteil ausgeschöpft. Außerdem habe man Gerät geliefert, wo die Munition nur in den USA hergestellt werde. "Das Restgeld will man in erster Linie für die zugesagten Hilfsmittel und den Nachschub dafür verwenden", sagt Gressel. Wenn man F16 aus amerikanischer Kasse bezahlen würde, dann müsste Biden wieder vor den Kongress. "Diese Finanz-Rahmen-Debatte scheut er", meint der Experte.

Bei den Niederländern vermutet er andere Motive für die Bereitschaft, Jets zu liefern. Die Niederländer verwenden ihre eigenen F-16 nicht mehr, weil sie bereits auf F-35 umgestiegen sind. "Sie sind aber innenpolitisch sehr skeptisch, was den Nato- und EU-Beitritt der Ukraine angeht. Es scheint, als wollten sie jetzt eine Kompensationsleistung erbringen, damit sie politisch aus der Schusslinie sind", sagt Gressel.

Über den Experten:
Gustav Gressel ist Experte für Sicherheitspolitik, Militärstrategien und internationale Beziehungen. Er absolvierte eine Offiziersausbildung und studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Schwerpunktmäßig befasst sich Gressel mit Osteuropa, Russland und der Außenpolitik bei Großmächten.
Interessiert Sie, wie unsere Redaktion arbeitet? In unserer Rubrik "So arbeitet die Redaktion" finden Sie unter anderem Informationen dazu, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte kommen. Unsere Berichterstattung findet in Übereinstimmung mit der Journalism Trust Initiative statt.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.