Respektlose Schüler, inkompetente Lehrer, notenbesessene Eltern: Sieht so die Realität an deutschen Schulen aus? ARD-Moderatorin Sandra Maischberger lud Schüler, Eltern und Lehrer zu einer Publikumsdebatte in ihre Sendung ein. Die Erkenntnis: Auf allen Betroffenen lastet ein enormer Druck, der sogar an den Zähnen sichtbar wird.

Eine Kritik

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"Keine theoretische Bildungsdebatte" sollte ihre Sendung werden, kündigte Moderatorin Sandra Maischberger an, sondern aus dem Leben und dem Alltag an deutschen Schulen erzählen.

Eine Debatte ohne Politiker und andere übliche Talkshow-Gäste, nur mit denjenigen, die es unmittelbar betrifft: Lehrer, Schüler und Eltern.

"Kampfzone Klassenzimmer", überschrieb es die Redaktion und dies war auch wörtlich gemeint: An jeder zweiten Schule seien Lehrer laut einer aktuellen Forsa-Umfrage beleidigt oder bedroht, an jeder vierten Schule sogar bereits körperlich angegriffen worden.

Auf Maischbergers Nachfrage melden sich einige Lehrer, die dies selbst bereits erlebt hätten. Es sei zwar "kein Massenphänomen", meint ein junger Lehrer, aber einzelne Vorfälle seien in ihrer Art "schon erschreckend".

Eine Kollegin wünscht sich mehr Unterstützung durch Sozialarbeiter und Schulpsychologen an den Schulen, für diese fehle aber oft das Geld. "Lehrer schaffen vieles, aber nicht alles!"

Sind Schüler heute dümmer?

Wie schlimm ist der Zustand an den deutschen Schulen wirklich? Die Schüler seien heute respektloser und könnten nicht mehr richtig schreiben und rechnen, lautet ein gängiges Vorurteil.

Angeblich seien zwei Drittel der Abiturienten nicht fähig zu studieren, zitiert Moderatorin Maischberger eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Nach Meinung der Pädagogen in ihrer Sendung ist das Niveau zum Ende der Schulausbildung tatsächlich gesunken.

Die Abituraufgaben würden immer leichter, behauptet ein Lehrer: "Heute haben mehr Kinder Abitur, die es früher nicht bekomme hätten." Ein Deutschlehrer beklagt abnehmendes sprachliches Ausdrucksvermögen.

Ein Kölner Tischlermeister bildet seit 30 Jahren Azubis aus und bemängelt fehlende soziale Grundkompetenzen. Dies fange schon damit an, nach dem Verbrauch kein Klopapier auf die Toilette nachzulegen. Auch Kopfrechnen könnten seine Auszubildenden heute nur noch selten.

Auf Maischbergers Einwurf, heute hätten alle ein Smartphone mit Taschenrechner, entgegnet er: "In meinem Beruf braucht man beide Hände."

Das Kopfrechnen mag in seinem Beruf wichtig sein, doch im deutschen Bildungswesen sind heute viele solcher alten Tugenden nicht mehr gefragt - auch nicht von Seiten der Schüler.

Sie halte es nicht für wichtig, in der Schule zu lernen, wie man Klopapier auswechselt, sagt ein Mädchen.

Über Digitalisierung werde beispielsweise kaum gesprochen. "Das große Problem ist, dass wir in der Schule nicht mehr für das Leben lernen, sondern für die nächste Klausur", meint ein Schüler und erntet dafür viel Klatschen in der Runde.

"Alle wollen Abitur"

Viele Schüler sind sich einig, dass der gesellschaftliche Druck, das Abitur zu erreichen, sehr hoch sei. "Alle wollen aufs Gymnasium, alle wollen Abitur", sagt ein 18-Jähriger, der gerade seine letzte Abiturprüfung hinter sich gebracht hat. "Und nach dem Abi haben alle keinen Plan, was sie werden wollen, und fahren erstmal nach Australien."

Das Studium werde überschätzt, findet ein Anderer: "Eine gut ausgebildete Fachkraft verdient mehr als ein arbeitsloser Akademiker."

Überhaupt zeigen sich die Schüler bei Maischberger sehr reflektiert, zeigen sowohl für die Lehrer als auch die Eltern Verständnis und begreifen die angesprochenen Probleme als politische und gesellschaftliche Aufgaben.

Eins wird schnell klar: Der Druck hat für alle Beteiligten zugenommen. "Der Mikrokosmos Schule spiegelt unsere Gesellschaft wider", meint eine Mutter, die als Zahnärztin arbeitet.

Sie selbst sehe den Stresslevel an den Zähnen: Der Abrieb durch Zähneknirschen sei heute bereits im Kindes- und Jugendalter zu sehen.

Eltern - die "Kampfhubschrauber"

Eine Gesellschaft, die Angst vor dem Abstieg hat, sieht den höchstmöglichen Bildungsabschluss als Schlüssel zum beruflichen Erfolg.

Manche Eltern schießen dabei auch über das Ziel hinaus. Die sogenannten "Helikoptereltern" sind bei manchen Lehrern als "Kampfhubschrauber" gefürchtet.

Eltern machten teilweise die Hausaufgaben oder Referate für ihre Mitschüler, erzählt ein Mädchen.

Ein Anwalt berichtet vom regen Zulauf von Eltern, die ihre Kinder zum Schulerfolg klagen wollen.

Und "Spiegel Online"-Journalistin Lena Greiner erreichen so viele skurrile Erlebnisse von Lehrern mit Eltern, dass sie sie in einem Buch veröffentlicht hat: "Verschieben Sie die Deutscharbeit, mein Sohn hat Geburtstag."

Dahinter steckt meist die Angst um die Kinder und deren Zukunft. "Wenn mein Sohn am Ende der Schulzeit keine gute Bildung hat, dann hat er ein Problem", beschreibt ein alleinerziehender Vater seine Sorgen.

Viele Berufe seien früher problemlos mit Realschulabschluss möglich gewesen, heute brauche es oft Abitur.

Eine Mutter findet dagegen, dass der Druck von den Eltern selbst ausgeht: "Wir erlauben unseren Kindern nicht mehr, eine Vier zu schreiben."

Die Schüler würden zur Unselbständigkeit erzogen und könnten nicht mehr eigene Entscheidungen treffen.

Nur wenige Minuten blieb am Ende für ein umfangreiches und, auch angesichts der Zahlen, ein wichtiges Thema: Jeder dritte Schüler in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Welche Herausforderungen dies für die Lehrer, aber auch für die Schüler und Eltern bedeutet, wurde nur kurz angeschnitten.

Überhaupt hat die Sendung leider wenig wirklich aktuelle Bezüge. In dieser Form hätte sie auch bereits - mit sehr ähnlichen Argumenten - vor zehn oder gar zwanzig Jahren ablaufen können.

Wie wichtig ist zum Beispiel Kopfrechnen in einer computerverrückten Welt, in Zeiten von Big Data und Künstlicher Intelligenz tatsächlich?

Sind die Schüler beim Thema Digitalisierung nicht ihren Lehrern - und vielleicht auch späteren Arbeitgebern - voraus?

Auch wenn die Form der Debatte mit vielen Meinungen und Stimmen spannend verlief, wurde eine Gelegenheit verpasst.

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