Am Freitag treffen sich die Euro-Finanzminister im lettischen Riga und Thema wird Griechenland sein – mal wieder. Doch nach all dem zerschlagenen Porzellan der vergangenen Monate dürfte der Glaube an eine schnelle Einigung über den Weg aus der Krise gering sein.

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Und der Ton im Vorfeld wird rauer: Anders als noch vor wenigen Jahren wird über einen möglichen Austritt Griechenlands aus dem Euro-Raum längst nicht mehr hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Gestern Abend bei Anne Will wurde es auch ganz offen diskutiert.

Was ist das Thema?

Der Grexit. Die Kurzform für den Austritt Griechenlands aus dem Euro dürfte den Titel "Wort des Jahres 2015" wohl schon sicher haben - oder aber den des Unwortes, je nachdem, aus welcher Perspektive man die Sache betrachtet. Um genau diese Perspektive ging es gestern Abend bei Anne Will, nämlich um die Frage, ob ein Euro-Austritt Griechenlands wirklich eine Katastrophe oder nicht doch eine Erlösung wäre.

Wer sind die Gäste?

Als Sprecher für einen Verbleib Griechenlands im Euro waren angetreten: der ehemalige Vizepräsident der Europäischen Kommission, Günter Verheugen, der Wirtschaftswissenschaftler Henrik Enderlein und die Journalistin Margarita Tsomou. Die Herausgeberin des "Missy-Magazine" wurde im griechischen Thessaloniki geboren und studierte Volkswirtschaftslehre und Kulturwissenschaften in Hamburg und Lüneburg.

Dass Griechenland und der restliche Euro-Raum besser damit fahren, wenn Griechenland zur Drachme zurückkehrt, dafür sprachen sich der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP) und der ehemalige stellvertretende Chefredakteur der "Bild"-Zeitung und jetzige Leiter des "Spiegel"-Hauptstadtbüros, Nikolaus Blome, aus.

Was ist das Rede-Duell des Abends?

Günter Verheugen gegen Nikolaus Blome. Der Politiker und der Journalist schienen vor der Sendung die Rollen getauscht zu haben. Während man von Politikern erwartet, sich gerne in Schuldzuweisungen und bürokratischem Klein-Klein zu verheddern, zeigte sich Verheugen von Beginn an als Menschenfreund, dem es vor allem um das Wohl der griechischen Bevölkerung geht. "Sie haben die Idee des Euro nicht verstanden", herrscht er Blome an, als der den aktuellen Weg zur Rettung in Frage stellt. "Der Euro ist ein politisches Projekt, das ein nicht auflösbares Band zwischen den europäischen Ländern knüpft", erklärt ihm Verheugen und wiederholt noch einmal: "Nicht auf-lös-bar".

Was war der Moment des Abends?

Ohne Zweifel der Moment, in dem die Verzweiflung greifbar wird, die viele Griechen momentan fühlen müssen. Als nämlich Margarita Tsomou die Gedanken ihrer Mutter über den Umgang mit Griechenland wiedergibt: "Es ist, als ob man in die Knie geht und einem jemand eine Pistole an den Kopf hält. Und der, der den Finger am Abzug hat, zögert nur, weil er Angst hat vor den Flecken auf seinem Anzug."

Wie hat sich Anne Will geschlagen?

Sehr gut. Zugegebenermaßen hatten Will und ihre Redaktion aber auch ein glückliches Händchen bei der Auswahl der Gäste. Die zeigten nämlich, dass es durchaus gelingen kann, mit Leidenschaft miteinander zu streiten und gleichzeitig die Regeln des Anstands zu wahren. Eine ungewohnt angenehme Atmosphäre in Polit-Talkshows, die oft genug in "Aber Ihre Partei hat doch …"-Kleinkriege ausarten.

Was ist das Ergebnis des Abends?

Im Grunde wollen alle dasselbe: Griechenland retten und das mit möglichst geringen Verlusten. Nur über den Weg herrscht auch nach Sendeschluss Uneinigkeit. Während Verheugen und Enderlein es nicht nur rechtlich für ausgeschlossen halten, dass Griechenland den Euro-Raum verlässt, sehen sie zudem die Möglichkeit eines Domino-Effekts - und die damit verbundene Unsicherheit für Investoren - als ein zu großes Risiko. Blome und von Lambsdorff hingegen halten dieses Risiko für vertretbar und sehen in einer Rückkehr Griechenlands zur Drachme sogar eine Chance zur wirtschaftlichen Gesundung, wenn auch mit vorerst harten Folgen für die griechische Bevölkerung. Und genau das ist der Kern des Problems: Katastrophe oder Erlösung – das ist immer auch eine Frage der Perspektive.

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