Die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit stellt seit fünf Jahren Polens Regierung. Ihr aktuelles Feindbild: Schwule, Lesben und all jene, die sich für mehr Gleichberechtigung einsetzen. Betroffene und Experten warnen vor dem Kurs der Staatsführung.

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Provokation gehört zum Geschäft des rechten polnischen Wochenmagazins "Do Rzeczy". Auf der Titelseite wird schon mal der Klimawandel geleugnet oder gefragt, ob COVID-19 eine "Pandemie oder Psychose" sei.

Eines der Lieblingsthemen der Redaktion ist allerdings die Gleichberechtigung von Homosexuellen – oder besser gesagt: deren strikte Ablehnung. So gibt die Zeitschrift eine Schriftenreihe zu einer angeblich existierenden "LGBT-Ideologie" heraus und ist an einem Projekt beteiligt, das sich der "Bekämpfung von Verbrechen" widmet, "die unter dem Einfluss der LGBT-Ideologie begangen wurden". Das englische Kürzel LGBT steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender.

Bemerkenswert ist, dass die Kampagne vom polnischen Justizministerium gefördert wird. Nicht aus Versehen, sondern weil sie der Linie der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) entspricht, wie der polnische Politikwissenschaftler Bartosz Rydliński im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt. Er sagt: "Schwulenhass ist die Doktrin der Regierungsmehrheit."

Polens Präsident Andrzej Duda hetzt gegen LGBT

Seit PiS 2015 die polnische Regierung stellt, "beobachten wir eine zunehmende Nationalisierung", erklärt Rydliński, der an der Warschauer Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität arbeitet und die sozialdemokratische Denkfabrik Centrum Daszyńskiego mitgegründet hat. "Viele Leute fühlen sich unsicher, weil die PiS-Regierung zunehmend offener homosexuelle Paare attackiert."

Das streng katholische Polen belegt schon jetzt den letzten Platz aller EU-Staaten, was die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen im Umgang mit homo- und transsexuellen Menschen angeht. Trotzdem prangern PiS-Politiker bei Forderungen nach einer progressiveren Familienpolitik immer wieder eine vermeintliche "LGBT-Ideologie" an, gegen die traditionelle Werte verteidigt werden müssten.

Im Wahlkampf hatte auch der von PiS unterstützte wiedergewählte Präsident Andrzej Duda offen gegen sexuelle Minderheiten gehetzt. "Man versucht uns einzureden, dass das Menschen sind. Aber es ist einfach nur eine Ideologie", sagte Duda. Er will in der Verfassung verankern lassen, dass gleichgeschlechtliche Paare keine Kinder adoptieren dürfen.

Zudem ernannte Duda Ende August Zbigniew Rau zum neuen Außenminister. Wie Duda profilierte sich der 65 Jahre alte Juraprofessor in der Vergangenheit mit Äußerungen gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans-Menschen. Auf Facebook schrieb er: "Stoppt die LGBT-Ideologie, stoppt die Zivilisation des Todes."

LGBT-Organisationen schlagen Alarm

Angesichts dessen schlagen Verbände Alarm. Von einer "beispiellosen Hetzjagd" spricht Marcin Dierzanowski, Vorsitzender der Stiftung "Glaube und Regenbogen". Sowohl Kirchenvertreter, die Regierung als auch der Präsident betrieben eine Strategie der Entmenschlichung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Trans-Menschen, sagt Magdalena Swider von der "Kampagne gegen Homophobie" in Warschau. Viele Betroffene hätten mittlerweile psychische Probleme.

Dass die Stimmungsmache gegen LGBT in den vergangenen Jahren zugenommen hat, bestätigt auch Yga Kostrzew auf Anfrage unserer Redaktion. "Mit zunehmender Intensität werden LGBT-Leute als Buhmänner benutzt", alles Schlechte werde auf sie projiziert, bemerkt die Aktivistin und Sprecherin der ältesten polnischen LGBT-Organisation Lambda Warszawa.

"Es ist traurig, widerlich und schädlich, was wir jeden Tag von Politikern und Vertretern der katholischen Kirche hören", schildert Kostrzewa. LGBT seien als "Nicht-Menschen", "Regenbogenplage" und "Regenbogen-Neobolschewisten" beschimpft worden.

Polen auf dem Weg zu russischen Verhältnissen?

Sie selbst erlebe in der Hauptstadt Warschau zwar wenig offene Homophobie. "Aber junge Menschen, die in Kleinstädten und Dörfern leben, haben ein großes Problem – es fehlt ihnen an Unterstützung, Hilfsorganisationen und Treffpunkten."

Ausdruck der steigenden Intoleranz sind sogenannte "LGBT-freie Zonen", die der "Atlas des Hasses" dokumentiert. Seit Anfang 2019 haben annähernd hundert Regional- und Kommunalverwaltungen vor allem im Südosten des Landes Resolutionen "gegen LGBT-Ideologie" und "Chartas für Familienrechte" angenommen. Allein seit Januar sind gut zwei Dutzend neue Gebiete dazugekommen. Fast alle sind PiS-Hochburgen.

Verwaltungsgerichte haben zwar bereits mehrere der Resolutionen aufgehoben. Dennoch gehören mittlerweile knapp ein Drittel Polens zu diesen "menschlichkeitsfreien Zonen", wie sie kürzlich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte. Darunter sind fünf der 16 Woiwodschaften, die vergleichbar mit den Bundesländern in Deutschland sind.

LGBT-Aktivistin Kostrzewa zufolge stellen die Zonen "eine große Bedrohung" dar. Sie fürchtet, dass die Regierung diskriminierende Regelungen wie in Russland einführen und "Homopropaganda" verbieten will. "Ein solcher Akt würde Polen um ein weiteres Jahrzehnt zurückversetzen."

Liebe zwischen Männern? Nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen

Ansätze davon sind bereits jetzt zu sehen, wie der Fall eines eigentlich harmlosen Werbespots zeigt. Weil in dem Video eines Kondom-Herstellers neben mehreren heterosexuellen Paaren auch zwei Männer Zärtlichkeiten austauschen, lehnte der öffentlich-rechtliche Fernsehsender TVP eine Ausstrahlung ab.

In einer Stellungnahme erklärte der Sender dazu auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, die Reklameabteilung habe Vorbehalte gegen eine Sendung des Spots gehabt, da es zuvor viele Beschwerden von Zuschauern über intime Inhalte in der Werbung gegeben habe. Private Fernsehsender zeigten die Werbung.

Kondom-Hersteller wirbt mit schwulem Paar

Der polnische Werbespot, dessen Ausstrahlung Polens öffentlich-rechtlicher Fernsehsender TVP ablehnte. © YouTube

Politikwissenschaftler Rydliński vermutet politische Gründe hinter der Absage, ist doch TVP zum schlagkräftigen Sprachrohr von PiS avanciert. So wird Rydliński zufolge in Polens öffentlich-rechtlichen Programmen behauptet, "der Kampf für LGBT-Rechte untergrabe die polnische Nation und werde aus Westeuropa hineingetragen, aus Ländern ohne Werte".

Umgekehrt werde die Regierungspartei "als Verteidiger der wahren polnischen Seele dargestellt", schildert Rydliński. Er hält das Vorgehen für problematisch und "brandgefährlich": "Die Leute denken, wenn im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesagt wird, Schwule und Lesben seien keine Menschen, dass sie diese zusammenschlagen dürften."

Die Auswirkungen bekommen Polens Schwule und Lesben direkt zu spüren. Laut einer aktuellen Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, erklärten 66 Prozent der Befragten, dass die Gewalt gegen LGBT in den vergangenen fünf Jahren gestiegen sei. 15 Prozent gaben zu Protokoll, im selben Zeitraum attackiert worden zu sein – der höchste Wert in der gesamten EU.

Ablenkung von der Coronakrise

"Populisten brauchen einen Feind", sagt Politologe Rydliński mit Blick auf die PiS-Politik. "Es waren zuerst die unabhängigen Richter, dann war es die Europäische Union und nun ist es die LGBT-Bewegung."

Mit der Diskussion will die Regierung von wirtschaftlichen Schwierigkeiten und den steigenden Arbeitslosenzahlen im Zuge der Coronakrise ablenken, sagt Rydliński. "Es ist das perfekte Werkzeug, um die Leute von den wirklichen Problemen abzulenken."

Der 35-Jährige kritisiert aber zugleich jene LGBT-Aktivisten, die bewusst extreme Rechte und Konservative provoziert hätten, indem sie etwa der Jesus-Skulptur vor der Heilig-Kreuz-Kirche im Zentrum Warschaus eine Regenbogenflaggen umhängten. "Wenn ein Teil der LGBT-Bewegung aggressiv reagiert, freut sich PiS – weil die Leute ihr Spiel mitspielen."

PR-Coup in Tuchów

Als Erfolg kann die Regierung auch ihr Vorgehen im südpolnischen Städtchen Tuchów verbuchen. Nachdem der Ort einen Antrag zur Ablehnung von "LGBT-Ideologie" angenommen hatte, reagierte die EU-Kommission. Sie verwehrte Tuchów und fünf weiteren polnischen Städten die Teilnahme an subventionierten Städtepartnerschaft-Programmen.

Mitte August sprang deshalb Polens Justizministerium ein, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Aus demselben Fonds wie die Kampagne der rechten Zeitschrift "Do Rzeczy" erhält Tuchów nun umgerechnet 55.000 Euro – das EU-Programm hätte maximal 25.000 Euro ausgezahlt.

Polens Regierung geht es dabei wohl weniger ums Geld, als vielmehr um ein Zeichen: Wer sich offen gegen schwule, lesbische oder transsexuelle Menschen stellt, wird vom polnischen Staat belohnt.

Verwendete Quellen:

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