Die immer älter werdende Gesellschaft lässt Deutschland weiter in eine Pflegekrise schlittern. Personalmangel und steigende Kosten setzen Pflegeheime und Pflegebedürftige unter Druck. Eine Initiative schlägt Alarm.

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Die Personalnot bei Pflegekräften in Pflegeheimen und bei ambulanten Diensten droht sich laut einer Berechnung weiter zu verschärfen. Bis 2030 könnte es einen zusätzlichen Bedarf von bis zu 99.000 Vollzeitstellen geben - ausgehend von 655.000 Stellen 2021, teilte die "Initiative für eine nachhaltige und generationengerechte Pflegereform" nach einer eigenen Hochrechnung auf Basis verschiedener Szenarien mit. Ihr gehören Verbände von Arbeitgebern und privater Krankenversicherung an.

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) bleibt die Branche massiv von Personalmangel betroffen. "Die Pflege gehört seit vielen Jahren zu den Engpassberufen", sagte BA-Vorstandsmitglied Daniel Terzenbach der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Nürnberg. Die Zahl der Mitarbeitenden sei auf 1,7 Millionen Menschen im September 2022 gestiegen - ein Plus von zehn Prozent in fünf Jahren. Die Gesamtzahl der Beschäftigten über alle Branchen im selben Zeitraum sei um sechs Prozent gestiegen.

Es fehlt vor allem an Fachkräften

Jedoch fehle es an Fachkräften. "Der Bedarf ist ungebrochen hoch", betonte er. "Die Zahl der gemeldeten Stellen übersteigt die Zahl der Arbeitslosen deutlich". Allerdings: Bei den weniger qualifizierten Pflegehelfern sei die Situation umgekehrt. Dort gebe es mehr Bewerber als Stellen.

Deshalb sei die Qualifizierung - auch im Betrieb - eine entscheidende Komponente, erläuterte Terzenbach. Ein wichtiger Schritt sei durch die Erstattung des früher von Auszubildenden zu zahlenden Schulgeldes erfolgt. Dennoch könnten auch die Arbeitgeber noch etwas mehr tun. "Wir können das fördern", sagte der BA-Vorstand.

Ziel sei, aus der Helfertätigkeit heraus in die Fachkrafttätigkeit zu qualifizieren. Dies sei insbesondere ein Thema für Menschen, die aus dem Ausland kämen. Reglementierungen im deutschen System bei der Anerkennung ausländischer Ausbildungen führten dazu, dass die Menschen nur als Hilfskraft eingesetzt werden könnten. Die Frage müsse gelöst werden.

Das sind die Forderungen der Initiative

Die Initiative erläuterte, laut ihrer Hochrechnung könnten bis 2040 rund 190.000 zusätzliche Vollzeitstellen benötigt werden und mahnte: Allein auf Zuwanderung von Pflegekräften zu hoffen, reiche nicht aus. Potenziale im Inland müssten genutzt werden.

Um die Attraktivität des Berufes zu steigern, sollten Fachkräfte mehr Befugnisse erhalten und mit Digitalisierung von bürokratischen Aufgaben entlastet werden. Bei Personaleinsatz und Personalvorgaben sei mehr Flexibilität nötig. Gestärkt werden sollten Maßnahmen zur Vorbeugung. Es gelte besonders, die Kompetenzen älterer Menschen zu stärken und ihnen einen längeren Verbleib zu Hause zu ermöglichen.

Selbst in einem Szenario mit moderater demografischer Entwicklung, anteilig sinkender Pflegeheimbewohnerschaft an der Gesamtzahl der Pflegebedürftigen und einer gleichbleibenden Personalausstattung im ambulanten Sektor steige der Bedarf an zusätzlichen Stellen in den nächsten 10 bis 15 Jahren deutlich, heißt es in der Analyse.

Der Initiative gehören unter anderem der Arbeitgeberverband Pflege, der Bundesverband der Betreuungsdienste, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, die Verbände der Familienunternehmer, der Jungen Unternehmer und der privaten Krankenversicherung an.

Rentner sorgen sich um hohe Pflegekosten

Pflegebedürftige und ihre Familien fürchten, dass die Pflegekosten durch die Krise weiter steigen könnten. Die Pflege im Heim wird seit Jahren teurer. Die Pflegeversicherung trägt - anders als die Krankenversicherung - nur einen Teil der Kosten.

Heimbewohner und Heimbewohnerinnen müssen einen Eigenanteil für die reine Pflege beisteuern, der seit Jahren steigt. Zum 1. Januar lag er nach Daten des Verbands der Ersatzkassen im bundesweiten Schnitt bei 1.139 Euro - nach 912 Euro Anfang 2022.

Im Heim kommen auch noch Zahlungen für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen dazu. Insgesamt waren so im ersten Jahr im Heim im Bundesschnitt 2.411 Euro pro Monat aus eigener Tasche fällig, 278 Euro mehr als Anfang 2022.

Was bringt die Pflegereform?

Die gerade beschlossene Pflegereform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht bereits stärkere Entlastungen bei den Eigenanteilen für die reine Pflege vor - indem 2022 eingeführte Zuschläge zum 1. Januar 2024 erhöht werden.

Den Eigenanteil für die reine Pflege soll das im ersten Jahr im Heim um 15 statt bisher 5 Prozent drücken, im zweiten Jahr um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent, ab dem vierten Jahr um 75 statt 70 Prozent.

Gleichzeitig soll angesichts steigender Kosten der Pflegebeitrag um 0,35 Prozentpunkte erhöht werden - für Menschen ohne Kinder etwas stärker. Familien mit mehreren jüngeren Kindern sollen dagegen entlastet werden. Aktuell liegt der Beitrag bei 3,05 Prozent des Bruttolohns, für Kinderlose bei 3,4 Prozent. (dpa/lko)

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