"Schattengeneral", "Mastermind einer Politik von Tod und Zerstörung" und "Schlüsselfigur im Nahen Osten" – für den iranischen General Ghassem Soleimani gab es viele Umschreibungen. Der gezielte US-Luftangriff auf den Kommandanten der Al-Kuds-Brigaden ist ein Fanal. Stürzt die Tötung Soleimanis eine ganze Region ins Chaos?

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Es sind mehrere US-Raketen, die in der Nacht nahe dem Flughafen der irakischen Hauptstadt Bagdad einschlagen. Raketen, die das Potential haben, den lang anhaltenden Konflikt zwischen zwischen den USA und Iran eskalieren zu lassen. Denn die Flugkörper trafen ein besonderes Ziel: Ghassem Soleimani, Kommandeur der berüchtigten iranischen Eliteeinheit Al-Kuds-Brigaden.

Neben dem 62-Jährigen starb bei der Attacke auch der stellvertretende Leiter der irakischen Volksmobilisierungskräfte, Abu Mahdi al-Muhandis, wie die Iranischen Revolutionsgarden und die Medienstelle der pro-iranischen Hasched-al-Schaabi-Milizen am Freitag bestätigten.

Das Pentagon in Washington übernahm die Verantwortung für den Angriff. Die Bombardierung sei auf Anweisung von Präsident Donald Trump erfolgt, um weitere Angriffe auf US-Kräfte zu verhindern – als "Akt der Verteidigung". Erlebt die Welt nun tatsächlich einen "Franz-Ferdinand-Moment", in Anlehnung an das Attentat auf den Thronfolger Österreich-Ungarns, das zum Ersten Weltkrieg führte, wie ein Kommentator im US-Sender "Fox News" fragte?

Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu den Hintergründen des US-Angriffs und erklären die möglichen Folgen der Tötung Soleimanis.

Warum haben die USA Soleimani getötet?

Das Pentagon begründete den Angriff damit, dass Soleimani aktiv an Plänen gearbeitet habe, um US-Diplomaten und Einsatzkräfte im Irak und der Region zu attackieren. "Er war direkt und indirekt verantwortlich für den Tod von Millionen Menschen, inklusive der großen Zahl jüngst im Iran selbst getöteter Demonstranten", twitterte Trump am Freitag. "Man hätte ihn schon vor etlichen Jahren erledigen sollen!" Der Angriff auf Soleimani erfolgte drei Tage nach der Erstürmung des US-Botschaftsgeländes in Bagdad durch tausende pro-iranische Demonstranten.

Soleimani tauchte sowohl im Irak als auch im benachbarten Bürgerkriegsland Syrien immer wieder an der Seite schiitischer Milizen auf, die vom Iran unterstützt werden. Die von dem General kommandierten Al-Kuds-Brigaden gehören zu den Iranischen Revolutionsgarden, einer Eliteeinheit der iranischen Streitkräfte, die die USA im April 2019 als Terrororganisation einstufte.

Welche Rolle spielte Soleimani im Iran?

"Soleimani war ein Mythos, eine lebende Legende, unbesiegbar", sagte der aus dem Iran stammende Politikwissenschaftler Behrouz Khosrozadeh unserer Redaktion. Dieser Mythos sei nun gebrochen, zumal der General während einer "einfachen Operation" getötet wurde.

Soleimani war der wichtigste Vertreter des iranischen Militärs im Ausland und stand Irans oberstem Führer Ajatollah Ali Chamenei sehr nahe. Beobachter sagen, dass der General mächtiger als der iranische Präsident gewesen sei. Auch Khosrozadeh betont: "Soleimani war nicht irgendwer. Er war de facto iranischer Außen- und Verteidigungsminister im Nahen Osten." Dort habe Soleimani in etlichen Ländern Irans Botschafter bestimmt. Und der nun getötete General wurde auch als möglicher Präsidentschaftskandidat gehandelt. "Die Ajatollahs sind dementsprechend geschockt", glaubt Khosrozadeh.

Er sagt aber auch: "Viele Iraner erfreut der gewaltsame Tod von General Soleimani, insbesondere nach der gewaltsamen Niederschlagung der landesweiten Proteste vor einem Monat mit 1.500 Opfern und etwa 8.000 Inhaftierten."

Was machte Soleimani im Irak?

Berichten zufolge kam Soleimani per Flugzeug aus Beirut, Bagdad war also nur eine Zwischenstation. Der General war oft in der Region unterwegs. So soll er nicht nur die Proteste im Iran 2009, 2017 und zuletzt 2019 niedergeschlagen haben, sondern unter anderem auch im Irak. Vermutlich unterstützte er in letzter Zeit die pro-iranische Hisbollah bei den Protesten im Libanon.

Droht nun ein Krieg zwischen den USA und Iran?

Von iranischer Seite sowie von pro-iranischen Milizen im Irak gibt es Vergeltungsdrohungen. So drohte Ajatollah Chamenei den USA mit "schwerer Rache".

Aus Sicht der Iran-Expertin Ellie Geranmayeh markiert die Ermordung Soleimanis einen "Wendepunkt". Mit dem jetzigen Angriff "setzen die USA jeden amerikanischen Stiefel im Nahen Osten möglichen Vergeltungsangriffen aus", schreibt Geranmayeh auf Twitter. Sie ist Vize-Direktorin des Programms Naher Osten und Nordafrika der paneuropäischen Denkfabrik European Council on Foreign Relations. Im Iran werde "der Raum für Stimmen im System, die moderatere Schritte befürworten, kleiner". Dennoch glaubt die Politikwissenschaftlerin, dass Teheran versuchen wird, das Risiko eines direkten Konflikts mit den USA zu minimieren. Drittstaaten und besonders der Irak werden "wahrscheinlich weiterhin Schauplatz für beide Seiten bleiben, aber mit neu gezogenen roten Linien", schreibt Geranmayeh.

Die USA rechnen wohl damit, dass der Iran insbesondere mit Cyberattacken zurückschlagen wird, wie das US-Nachrichtenseite "Axios" unter Berufung auf eine der Trump-Regierung nahestehende Quelle berichtet.

Die "Wucht der demütigenden US-Attacke" müsse die Mullahs eigentlich zur Reaktion zwingen, sagt auch Politikwissenschaftler Khosrozadeh. "Alles andere wäre für das Image von Ajatollah Chamenei schädlich." Die bisherige Zurückhaltung Teherans die USA direkt militärisch zu konfrontieren, könnte nun schwinden.

Allerdings stecke Teheran in einer Zwickmühle, erläutert Khosrozadeh. "Schweigen oder Untätigkeit würden dem offensiven martialisch-militaristischen Image des Regimes großen Schaden zufügen. Doch auch eine militärische Reaktion würde verheerende unkontrollierbare Folgen für das Regime nach sich ziehen." Mit Blick auf das nachrichtendienstliche Wissen, das für die Tötung Soleimanis nötig ist, sagt Khosrozadeh: "Die Iraner werden sich nun auf Schritt und Tritt beobachtet fühlen und solche weltweit aufsehenerregende Operationen mit bedenken müssen. Trump ist der Albtraum der Mullahs."

Wie wahrscheinlich ist ein überregionaler Krieg?

"Weder die Russen noch die Chinesen werden es zu einem Dritten Weltkrieg kommen lassen", betont Politikwissenschaftler Khosrozadeh. Sie hätten daran kein Interesse.

Allerdings sei die Kriegsgefahr "unendlich gestiegen", sagte der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke der Deutschen Presse-Agentur. Die Gesamtsituation sei ein dramatischer Aufbau und es hänge an den nächsten Tagen und Monaten um einen Krieg, der nicht kontrollierbar sei, zu vermeiden. "Es ist auch denkbar, dass Israel in Mitleidenschaft gezogen wird", erklärte Funke.

Welche Reaktionen könnte der Angriff in den USA hervorrufen?

In den USA werde die Tötung "die Debatte darüber anheizen, wie weitgehend und schnell der Rückzug des US-Militärs im Irak und in Afghanistan vorangetrieben werden soll", ist sich die Iran-Expertin Geranmayeh sicher.

Welche Auswirkungen hat die tödliche Attacke auf Deutschland?

Wegen der angespannten Lage bleiben die im Zentralirak stationierten Bundeswehr-Soldaten vorerst in ihren Stützpunkten. Das teilte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Freitag auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP in Berlin mit. Das Ausbildungsprogramm der Bundeswehr im nordirakischen Kurdengebiet sei davon aber nicht betroffen und laufe normal weiter.

Derzeit befinden sich demnach rund 130 Bundeswehr-Soldaten im Irak, davon etwa 30 auf dem zentralirakischen Stützpunkt Tadschi sowie in Bagdad. Die übrigen rund 100 Soldaten seien im Nordirak stationiert.

Die sich erheblich verschärfenden Spannungen zwischen den USA und dem Iran sowie die gefährliche Eskalation in der Golfregion insgesamt haben auch weltweit an den Finanzmärkten Unruhe ausgelöst. Der deutsche Leitindex DAX ist eingeknickt, Anleger ziehen sich am deutschen Aktienmarkt zurück. Der Ölpreis ist stark hingegen angestiegen, ebenso ist die "Antikrisen-Währung" Gold gefragt.

Mit Material von dpa und AFP.

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