Brave Demonstrationen sind nicht die Sache von "Extinction Rebellion". Die Mitglieder der radikalen Protestbewegung schütten vor Wahrzeichen Kunstblut aus, färben Flüsse grün, setzen auf zivilen Ungehorsam und Festnahmen. Das kommt nicht immer gut an. Dass eines ihrer Masterminds sich auch noch antisemitisch äußerste, war dem eigentlichen Ansinnen auch wenig zuträglich.

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Um der Polizei ein Handeln so schwer wie möglich zu machen, kleben sich die Aktivisten von "Extinction Rebellion", kurz XR, schon mal an ein Gerüst. Dann muss die Exekutive mit Lösungsmittel aufmarschieren, um die Umweltschützer ohne Gerüst aufs Revier mitnehmen zu können.

Am Montagabend machte der TV-Sender "arte" die so manchem zu radikale Bewegung "Extinction Rebellion" in einer gleichnamigen Sendung zum Thema.

XR scheidet die Geister. Die einen halten ihre Aktionen in Zeiten wie diesen für absolut notwendigen Klimaprotest, andere befinden deren Mitglieder für veritable Ökoterroristen. "Extinction Rebellion" kämpft, wie schon der Name verrät, gegen die Auslöschung. Gegen die bevorstehende Apokalypse, die die Bewegung kommen sieht.

Aber nicht nur das Protestdesign ist ein Alleinstellungsmerkmal von XR. Auch die dezentrale und nicht-hierarchische Organisation ist ein Charakteristikum – und allen Mitgliedern heilig.

Extinction Rebellion: Radikalos unter den Klimaschützern

Dass man der Klimakrise aus Versehen mit zivilem Ungehorsam begegnet, passiert den Aktivisten von XR keineswegs. Das ist Kalkül. Demonstrationen? Lieb, aber nicht ernstzunehmen. Vielmehr ist das Streuen von Sand ins Getriebe des Systems für XR eine notwendige Maßnahme, mit der man Politiker dazu bewegen will, gegen die Erderwärmung vorzugehen.

Auch Festnahmen nehmen sie hierfür in Kauf, was die "Fridays for Future"-Bewegung von Greta Thunberg fast zu einem "Wir kuscheln für den Umweltschutz"-Apparat werden lässt. "Ich bin absolut bereit, mich verhaften zu lassen. Meine Freiheit zu verlieren, scheint mir nur ein kleines Opfer dafür zu sein, was wir verlieren können", sagt Skeena Rathor, englische XR-Aktivistin der ersten Stunde, im "arte"-Format.

Mehr Wirkung durch zivilen Ungehorsam

Gegründet wurde XR im Oktober 2018 von rund 20 Aktivisten im englischen Stroud. Da die Anstrengungen und Initiativen der Klimaschützer kaum Früchte zeigten, ortete man im Konzept des zivilen Ungehorsams größeres Potenzial im Kampf um mehr Klimaschutz.

Aus dem Scheitern anderer Umweltschutz-Bewegungen habe man gelernt und eine "Regenerationskultur" implementiert. "Nach Phasen großer Aktionen ruhen wir uns aus und reflektieren das Geschehene", schildert Rathor, die ebenso in Stroud lebt. Laut eigenen Angaben gibt es derzeit in 50 Ländern insgesamt 350 Gruppen der Bewegung.

Auch das XR-Gründungsmitglied Gail Bradbrook lebt mit ihren beiden Söhnen in Stroud. Sie ist eines der bekanntesten Gesichter der Organisation. "50 Prozent der Emissionen werden von zehn Prozent der Weltbevölkerung erzeugt. Menschen mit einem derart schlechten Co2-Fußabdruck müssen schon darüber nachdenken, was sie tun", so die Molekularbiologin, die aber Vollzeit für XR zu Werke geht.

Die Aktivistin weiter: "Wir haben ein komplett falsches System, das auf Profit und nicht auf Zweckdienlichkeit ausgelegt ist. Und so lange das existiert, wird man selbst immer ein Teil davon sein."

Auch Bradbrook greift im Kampf für das Klima schon mal zu Vorschlaghammer-Methoden, buchstäblich. "Manchmal muss man einfach für Aufmerksamkeit sorgen", sagt die zweifache Mutter, die mehr als 30.000 Euro Schaden verursachte, als sie mit einem Hammer Scheiben des englischen Verkehrsministeriums "bearbeitete".

Bradbrook demonstrierte damit gegen den Plan für eine Eisenbahnstrecke, die, wie sie sagt, im Grunde ein reiner Flughafen-Shuttle sei. "Die Umsetzung wird die größte Waldrodung seit dem Ersten Weltkrieg zur Folge haben", so die Aktivistin.

Festnahmen gehören dazu und stören das System

Während anhaltender Proteste in London im Oktober 2019 wurden rund 1.400 der 30.000 Aktivisten festgenommen. XR-Devise: Je mehr Menschen festgenommen werden, desto stärker störe man das System. In New York legte XR auch schon den Verkehr lahm und in Paris gossen Mitglieder vor dem Eiffelturm 300 Liter Kunstblut aus.

Zürich machte ebenso bereits Bekanntschaft mit der Gruppe. Dort schüttete XR biologisch abbaubare grüne Farbe in die Limmat, um auf die Vergiftung des Planeten aufmerksam zu machen. Zeitgleich mit London wurden in Berlin wichtige Verkehrsadern blockiert. 120 Gruppen soll es in Deutschland bereits geben.

Umstrittenster Kopf der Bewegung ist Gründungsmitglied Roger Hallam. Er startet gern rhetorische Alleingänge und bescherte XR schon mehrfach negative Schlagzeilen. So etwa vergangenen Herbst, als er den Holocaust relativierte und ihn als "weiteren Scheiß in der Menschheitsgeschichte" bezeichnete.

"Er hat einen unbezwingbaren Willen und pusht uns nach vorne. Aber es ist wirklich schwer mit ihm zusammenzuarbeiten", sagt Rathor über Hallam, über dessen Ausschluss derzeit diskutiert wird.

Durchbruch in Madrid: erstmals Treffen mit Politik

Eine Sensation gelang XR beim Klimagipfel in Madrid, der wieder einmal nur einen müden Minimalkompromiss hervorbrachte. Dort traf sich Skeena Rathor mit Carolina Schmidt, Präsidentin des Klimagipfels und Umweltministerin von Chile, zu einem einstündigen Gespräch.

"Sie verstehen, dass sich die Botschaft an die Öffentlichkeit ändern muss. Und sie wissen, dass die Politik diese gewaltige Aufgabe nicht alleine bewältigen kann", freute sich Rathor. "Neuland ist, dass eine Bewegung wie unsere jetzt in solche Prozesse eingebunden werden soll", sagt die Aktivistin.

Auch der britische Journalist Robin Whitlock, der selbst kurz XR-Mitglied war, kam auf "arte" zu Wort. Er plädiert für mehr Sachlichkeit in der Klimadebatte.

"Die Organisation vermittelt den Eindruck, dass wir, wenn wir jetzt nicht handeln, unvermeidlich auf ein apokalyptisches Szenario zusteuern und das Leben auf der Erde komplett aussterben wird", sagt der Journalist. Er kritisiert: "Das ist wirklich kontraproduktiv, macht den Leuten Angst und führt zu einer Art Schockstarre. Und es verhindert, dass man das Problem realistisch angeht."

Extinction Rebellion: Die Umweltschutzorganisation unter der Lupe

Extinction Rebellion ist eine Umweltschutzbewegung, die für kontroverse Diskussionen sorgt. Der Gründer Roger Hallam entsetzt mit einer Aussage. (Teaserbild: imago images / Agencia EFE) © BR
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