Wieder einmal sorgt ein Hochwasser in Deutschland für Leid und Schäden. Wie müssen wir uns für Katastrophen dieser Art wappnen? Der Grünen-Politiker Jan-Niclas Gesenhues spricht über Fehler der Vergangenheit und Aufgaben der Zukunft.

Ein Interview

Am Wochenende könnte Dauerregen in Schnee übergehen, und die Niederschläge könnten allgemein nachlassen. Trotzdem besteht für viele Regionen in Deutschland kein Grund zur Entwarnung. Das Hochwasser an mehreren Flüssen hat Keller volllaufen lassen, Äcker und Straßen überschwemmt, viele Menschen aus ihren Häusern vertrieben. Welche Schlüsse muss die Politik daraus ziehen? Jan-Niclas Gesenhues, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, sagt: "Wir müssen die Natur als Verbündete begreifen."

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Herr Gesenhues, Sie wohnen in Nordrhein-Westfalen an der Ems. Wie ist die Hochwasserlage dort?

Jan-Niclas Gesenhues. © S. Kaminski

Jan-Niclas Gesenhues: Emsdetten gehört zwar nicht zu den am schwersten betroffenen Regionen, aber auch hier sind in einem Ortsteil ganze Straßenzüge evakuiert worden. Die Menschen mussten bei Bekannten oder in der Turnhalle schlafen. Mein alter Paddelverein steht komplett unter Wasser, trotz Sandsackburgen. Das ist natürlich nur ein kleiner Eindruck von dem, was die Menschen in den Schwerpunktregionen gerade durchmachen müssen.

Hat Sie das Ausmaß dieses Hochwassers überrascht?

Nein, Hochwasser dieser Art werden immer wieder vorkommen. Und sie werden noch häufiger und heftiger angesichts der Klimakrise. Die führt einerseits zu immer stärkeren und längeren Dürreperioden, insbesondere in den Sommermonaten. Gleichzeitig bekommen wir immer stärkere und heftigere Regenfälle und Überflutungen.

Viele Menschen dürften sich an die verheerenden Überflutungen an der Ahr und anderen Flüssen im Sommer 2021 erinnern. Hat die Politik aus dieser Katastrophe gelernt?

Das Bewusstsein für das Thema ist größer geworden. Der Bundestag hat gerade das erste Klimaanpassungsgesetz auf Bundesebene verabschiedet. Das ist ein richtiger Fortschritt, weil wir damit Kommunen und Länder verpflichten, Klimaanpassungspläne aufzulegen und sie bei jeglicher Planung zu berücksichtigen. Städte müssen in der Lage sein, Wasser für Dürrezeiten zu speichern und umgekehrt den Abfluss von Hochwasser zu verbessern.

Wie genau soll das aussehen?

Die besten Wasserspeicher sind gesunde Naturlandschaften. Wir haben viel zu viele versiegelte Flächen, also zubetonierte Plätze und Straßenzüge. Die Kommunen müssen dafür sorgen, dass in einer Hochwassersituation mehr Wasser abfließen kann, zum Beispiel über Parks und Naturflächen. Das trägt auch dazu bei, dass Wasser im Boden für die Trinkwasserversorgung gespeichert wird.

Übersicht zu Schutzmaßnahmen gegen Hochwasser. © dpa-infografik GmbH

In Niedersachsen stehen derzeit auch viele Höfe und Äcker unter Wasser. Wie kann sich die Landwirtschaft für Hochwasser besser wappnen?

Die Klimakrise trifft die Landwirtschaft am härtesten. Sowohl Dürren als auch Überflutungen führen zu massiven Produktivitäts- und Ernteverlusten, auch zu Verlusten an Material und Gebäuden. Deswegen ist die Klimaanpassung gerade in der Landwirtschaft wichtig. Auch da wurde leider in den letzten Jahrzehnten viel falsch gemacht. Gewässer wurden zubetoniert, Landschaften trockengelegt. Das hat der Wasserspeicherfähigkeit der Natur geschadet. Wenn es dann zu einem Hochwasser kommt, drückt das Wasser weit hinaus in die Landschaft. Mit naturnahen Fluss- und Auenlandschaften ließe sich das besser verhindern. Wir müssen die Natur als Verbündete begreifen.

Grünen-Politiker Gesenhues: "In Hochrisikogebieten für Überflutungen ist Neubau zu gefährlich"

Wenn sie nicht gerade Hochwasser führen, sind Flüsse allerdings attraktive Orte, an denen Menschen gerne Häuser bauen.

In der Vergangenheit wurde zu stark in Überflutungsgebiete reingebaut. Wohnbebauung ist dadurch zu nah an Gewässer herangerückt. Die Kommunen haben hier auch eine politische Verantwortung: In Hochrisikogebieten für Überflutungen ist Neubau einfach zu gefährlich, weil Häuser im schlimmsten Fall zu Todesfallen werden können. Dazu kommt, dass es nach wie vor keine Pflicht zu einer Elementarschadensversicherung gibt, mit der man sich zum Beispiel gegen Überflutungsschäden absichern kann. Ohne diese Pflicht weiter in Überflutungsgebiete reinzuplanen, ist eine gefährliche Kombination. Viele Menschen wissen nicht, dass sie so zu wenig abgesichert sind.

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Was Sie fordern, kostet allerdings Geld – und die Ampelkoalition hat sich einen Sparkurs verordnet. Passt das zusammen?

Die Investitionsausgaben sind erheblich. Wir müssen jetzt die akute Nothilfe leisten. Wir haben die notwendigen Investitionen in den technischen Hochwasserschutz vor uns, sprich die Ertüchtigung von beschädigten und zerstörten Deichen. Und wir haben die wichtige Aufgabe, die Natur als Schutzschild gegen Hochwasser fit zu machen. Das sind riesige Milliardeninvestitionen. Ich glaube nicht, dass wir sie im Rahmen des jetzigen Finanzkorsetts bewältigen können. Deswegen ist es angezeigt, dass die Bundesregierung ein Aussetzen der Schuldenbremse vorbereitet.

Ihr Koalitionspartner FDP lehnt das ab. Der FDP-Generalsekretär sagt, man dürfe das Hochwasser nicht instrumentalisieren für solche Forderungen.

Wir müssen die Not der Menschen sehen. Sie erwarten von der Bundesregierung, dass sie jetzt Hilfe leistet. Die FDP legt viel Wert darauf, an allen Ecken zu sparen. Das ist auch in Ordnung. In Katastrophenfällen gibt es aber die Möglichkeit, die Schuldenbremse auszusetzen – und eine andere Option gibt es aus meiner Sicht im Augenblick nicht.

Über den Gesprächspartner

  • Jan-Niclas Gesenhues wurde 1990 in Karlsruhe geboren. Er studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Münster und promovierte zur Umwelt- und Energiepolitik. Er arbeitete unter anderem für die Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf und in der Entwicklungszusammenarbeit. Seit 2021 ist er für Bündnis 90/Die Grünen Mitglied des Deutschen Bundestags und dort umweltpolitischer Sprecher seiner Fraktion.
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