Hot-Dog-Wettessen, Kanonenschüsse, Feuerwerk und patriotische Gefühle: Am "Independence Day" wird in den USA der Nationalstolz zelebriert. Am 4. Juli 1776 sagten sich die damals 13 amerikanischen Kolonien von Großbritannien los - der Unabhängigkeitstag gilt seither als Gründungsdatum der Vereinigten Staaten von Amerika. Heute ist er Symbol einer gespaltenen Nation.

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Die USA feiern alljährlich den "Columbus Day" und den "Martin Luther King Day", um an wichtige historische Personen zu erinnern. Am "Memorial Day" gedenken sie gefallener Soldaten, am "Veterans Day" ehren sie die, die nach Hause zurückgekehrt sind.

Keiner dieser großen Feiertage reicht in seiner Bedeutung aber an den "Independence Day" heran. Denn als 1776 die Bürger von Boston englischen Tee ins Meer warfen, als die Briten Gegenmaßnahmen ergriffen und daraufhin die amerikanischen Bundesstaaten eine eigene Armee auf die Beine stellten - da wurden die amerikanischen Bürger zu einer Nation.

Die Staatsgründung war somit nicht das Werk von Politikern - die Einwohner hatten das Schicksal ihres Landes in die eigenen Hände genommen. Auch deshalb ist der Tag ein "Volksfest" im wahren Wortsinn.

Überlegenheitsgefühl gegenüber Einwanderern

Für die Gründung einer Nation, sagt der Bielefelder Soziologie-Professor Thomas Faist, sei das Vertrauen der Bürger zueinander entscheidend. Es entstehe "eine Art von Gleichheit", wenn sie zusammenstehen - oft entstand aus einer äußeren Bedrohung die Gründung einer Nation. "Wenn Stolz auf das Vorgefallene hinzukommt, dann entsteht daraus Patriotismus."

Dieser Stolz auf die Leistung der eigenen Nation hat sich in den USA stets gewandelt - man war nicht immer auf dieselben Werte stolz: "Stolz kann man zum Beispiel auf die freiheitlichen Regelungen des Zusammenlebens sein", erklärt der Experte, "in Deutschland spricht man deshalb von Verfassungspatriotismus."

Man kann auch auf kulturelle, wirtschaftliche, wissenschaftliche Errungenschaften stolz sein. Doch schon dieser Stolz tendiere oft zu einem Überlegenheitsgefühl anderen gegenüber, so Faist.

Das zeigten die USA im letzten Jahrhundert vor allem gegenüber Immigranten: Zwar war das Land schon immer offen für viele Einwanderer - doch bis in die 1960er-Jahre galt das vor allem für Europäer. Allen anderen fühlten sich die Amerikaner fern, fremd, überlegen.

Erst 1965 öffneten sich die USA weiter: "Damals gab es eine große Reform der Einwanderungsgesetzgebung", sagt Faist. Erst seit dieser Zeit kämen auch Menschen aus Asien und Südamerika zu Hundertausenden ins Land - unter ihnen auch viele Muslime.

"Positives" Nationalgefühl gegen "negativen" Patriotismus

Nun ist Donald Trump dabei, diese liberale Einwanderungspolitik wieder rückgängig zu machen. "Wenn man so will", so der Bielefelder Wissenschaftler und Experte für Migrationssoziolgie, "kann man an dieser Stelle die Unterscheidung treffen zwischen 'positivem' Nationalgefühl und 'negativem' Patriotismus."

Trumps "travel ban", also sein Einreiseverbot vor allem für Muslime, sei zwar vom Obersten Gerichtshof noch nicht abgesegnet. Sollte der Supreme Court jedoch zustimmen, dann wäre dies "eine Rolle rückwärts", die nicht mehr in der Tradition der liberalen amerikanischen Verfassungspatrioten stünde.

Dieser "unverblümte Nationalismus" zeige sich nicht nur in Trumps Einwanderungs-, sondern auch in seiner Wirtschaftspolitik.

Doch Faist ist nicht gänzlich pessimistisch: In Donald Trumps Parole "America First" spiegle sich "ganz sicher nicht das Hauptverständnis des amerikanischen Patriotismus".

Schließlich habe noch vor acht Jahren Barack Obama seine erste Wahl zum Präsidenten mit dem Slogan "Yes we can" gewonnen: "Dieser Slogan hat das 'Wir' betont, das nicht auf die Kosten des 'Ihr' gehen sollte."

Trump setze derzeit auf das Trennende, doch das andere Amerika, das die Gemeinsamkeit der Nation betone, sei nicht verschwunden. "Ich will keine Prognose wagen", betont Faist, "aber ich würde auf keinen Fall sagen, dass die Zeit des Verfassungspatriotismus in den USA nun vorbei wäre."

Die amerikanischen Muslime galten als "bestens integriert"​​​​​​​

Vielleicht sollte Donald Trump am "Independence Day" einen Blick zurück werfen. Schon im 19. Jahrhundert, so Faist, habe es eine Phase gegeben, in der sich Amerika abzuschotten versuchte.

Eine bestimmte Bevölkerungsgruppe wollte man damals nicht mehr haben und vor allem nicht mehr einwandern lassen. Die Neuankömmlinge galten als Feinde der Demokratie, weil sie einem Herrscher in Europa unterstanden. Sie galten als gefährlich für Amerikas Zukunft.

Bei den gefürchteten Einwanderern handelte es sich um Katholiken. Ihr Herrscher war der Papst. "Wenn man, so wie damals, eine bestimmte Personengruppe ausschließt, weil man ihr bestimmte Eigenschaften zuschreibt", etwa religiöser Art, "dann geht man zu einem negativen Patriotismus über", erklärt Faist.

Und fügt seiner Diagnose von Trumps Nationalismus noch ein weiteres Detail hinzu: Die damals schon eingewanderten Katholiken waren gut integrierte US-Bürger. So wie noch bis vor kurzer Zeit auch die heute in den USA lebenden Muslime als "bestens integriert" galten.

Wenn also heute in den USA allerorten Flaggen wehen, wenn überall die Nationalhymne erklingt, wenn "bumper stickers" an den Stoßstangen der Autos verkünden "I love America" und wenn Häuser und Kirchen in den Nationalfarben geschmückt sind - wenn Amerika also so amerikanisch wie nur möglich ist, dann feiert möglicherweise eine zwiegespaltene Nation dieses Fest.

Die eine Hälfte will ihre Überlegenheit demonstrieren, will zeigen, dass Amerika in ihren Augen besser ist als der Rest der Welt.

Die andere Hälfte feiert ein Land der Freiheit und Offenheit, geformt von Einwanderern aus allen Ländern der Welt. Sie feiert jene Ideen von Gleichheit und Unabhängigkeit, aus denen die USA geboren wurden und die wohl Donald Trumps enges Weltbild überleben werden.


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