Mehr Autonomie und Sonderrechte - das haben die zwei Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macau für 50 Jahre zugesichert bekommen. Aber während in Hongkong die Menschen auf die Straße gehen und gegen eine Eingliederung in das chinesische System protestieren, ist es in Macau auffällig still. Experte Malte Kaeding erklärt, warum.

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Seit dem Sommer dieses Jahres herrscht in der Weltstadt Hongkong der Ausnahmezustand: Millionen Menschen protestieren mit Straßenblockaden, Märschen und Plakaten gegen die Peking-nahe Regierung unter Carrie Lam. Die Polizei greift in der ehemaligen britischen Kolonie hart durch: Tränengas und Warnschüsse sind an der Tagesordnung.

Auslöser für den gewaltsamen Volksaufstand war ein Gesetzesvorschlag, der die Auslieferungen von Häftlingen an die Volksrepublik China ermöglichen sollte. Der Gesetzesvorschlag ist inzwischen zurückgenommen worden, die Demonstrationen aber reißen nicht ab.

Denn die Hongkonger befürchten, Stück für Stück weiter in das chinesische Rechts- und Staatssystem eingegliedert zu werden. Autonomie wurde ihnen nur bis zum Jahr 2047 zugesichert.

Sonderstatus läuft aus

Hongkong ist jedoch nicht die einzige Sonderverwaltungszone, der eine solche Frist im Nacken sitzt. Am 20. Dezember 1999, vor 20 Jahren also, wurde mit Macau eine weitere Ex-Kolonie an China zurückgegeben. Was Vielen heute als chinesisches Las Vegas bekannt ist, war bis dahin eine portugiesische Kolonie.

Bloß 60 Kilometer von Hongkong entfernt, läuft auch hier 50 Jahre nach der Rückgabe der Sonderstatus aus. Während Hongkong aber die schwerste politische Krise seit der Übergabe der Stadt im Jahr 1997 erlebt, ist es in Macau – einer Stadt mit demselben rechtlichen Status – auffällig ruhig.

Warum gehen die Menschen hier nicht auch für freie, gleiche und allgemeine Wahlen auf die Straße? Immerhin gilt für beide Zonen das Dogma: "Ein Land, zwei Systeme."

"Vom zweiten System nicht viel übrig"

"Vom zweiten System ist in Macau de facto nicht mehr viel übrig", sagt Malte Kaeding von der University of Surrey in Großbritannien. Macau sei schon immer Peking-freundlicher gewesen als die Regierung des großen Bruders Hongkong.

Diese historische Tradition erklärt der Politikwissenschaftler mit unterschiedlichen Kolonialerfahrungen. "Die ehemaligen Kolonialmächte Großbritannien und Portugal haben in den Identitäten der Bevölkerung unterschiedliche Spuren hinterlassen", erklärt Kaeding. In den 1960er Jahren habe es in Hongkong und Macau Aufstände gegeben – mit gänzlich unterschiedlichem Ausgang.

Kulturelle Spuren der Kolonialherren

"Die Bevölkerung in Hongkong hat 1967 die Proteste von Maoisten abgelehnt und sich zur britischen Kolonialregierung hingezogen gefühlt. Viele Hongkonger waren erst 20 Jahre zuvor vor dem maoistischen Terror geflohen", erinnert Kaeding, der China- und Politikwissenschaft studiert hat.

Entscheidend: Die britische Regierung ging als Reaktion gegen Korruption in der Polizei vor, baute Infrastruktur und Sozialwohnungen aus. "Das hat der Legitimation der Briten sehr geholfen", sagt Kaeding. Die Hongkonger entwickelten folglich eine eigenständige Identität in der die britischen Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsfreiheit aufgingen.

Anders in Macau: "Auch hier protestierten Ende der 1960er linke Gruppen, aber es gelang der portugiesischen Regierung nicht, die Proteste zu beenden oder sie mit Prestigeprojekten aufzufangen. Patriotische Gruppen wehrten sich mit Unterstützung von Festlandchina", erklärt Experte Kaeding. Seitdem hätten die Portugiesen eigentlich keine Macht mehr gehabt, China präsentierte Macau fortan als das bessere Beispiel der Entkolonialisierung.

Angst vor Repressalien

Kaeding sieht noch weitere Gründe, die erklären, warum in Macau "business as usual" herrscht, während in Hongkong die Alarmglocken schrillen. "In Macau wohnen nur knapp 620.000 Bürger und die Immigration von Festlandchina ist seit langer Zeit stark", merkt Kaeding an.

Ein richtiger Demokratisierungsprozess sei in dem Abkommen zwischen Portugal und China, anders als in der Vereinbarung mit Großbritannien, zudem nicht versprochen worden.

Aus Angst vor Repressalien tragen die Bürger im 7,5 Millionen Einwohner starken Hongkong einen Mundschutz vor ihrem Gesicht. In Macau ist eine solche Anonymisierung deutlich schwieriger. "Jeder, der in Macau jemals an einer Demonstration teilnimmt, droht, sich seine Zukunft zu verbauen", weiß auch Kaeding.

Vorauseilender Gehorsam

Während ein geplantes Sicherheitsgesetz im Jahr 2003 in Hongkong für Massenproteste sorgte, wurde es in Macau widerstandslos durchgewinkt. Dasselbe Bild im September dieses Jahres: In vorauseilendem Gehorsam wurden zwei Mitgliedern der American Chamber of Commerce aus Hongkong die Einreise nach Macau verweigert. Weil Macau besser spurt, werden seine Bewohner von der chinesischen Regierung in geringerem Maße gegängelt als die Hongkonger.

Doch auch die Regierung in Hongkong unter Carrie Lam gilt als chinafreundlich. Nicht zuletzt deshalb fordern die Demonstranten ihren Rücktritt. "Der Unterschied ist aber, dass die vorherigen Regierungen in Hongkong immer versucht haben wenigstens zu einem gewissen Maße auf die öffentliche Meinung zu achten. Macau wird seit jeher von Interessensgruppen, kontrolliert", analysiert Kaeding.

Wirtschaftliche Abhängigkeit

Das sind vor allem die Interessen der Glücksspielbranche. Sie ist mit Dutzenden Casinos der größte Arbeitgeber in Macau - und macht die Stadt reich. In puncto Umsätzen hat die chinesische Stadt Las Vegas längst hinter sich gelassen. Macau ist der einzige Ort in China, an dem Glücksspiel erlaubt ist.

"Deshalb ist die Stadt auch auf die Glücksspieltouristen aus Festlandchina angewiesen", weiß Kaeding. Als zu Zeiten der chinesischen Antikorruptionskampagne die Touristenzahlen zurückgingen, bekam Macau das deutlich zu spüren. "Hongkong ist als internationale Finanzmetropole weniger abhängig und kann sich auf geschäftliche Beziehungen zum Westen fokussieren", sagt Kaeding.

Stiller Protest in junger Generation?

In Hongkong finden die Proteste große Unterstützung in der Bevölkerung, teilweise gingen über 20 Prozent der Bürger auf die Straße. Wie viele Bürger in Macau von mehr Demokratie träumen, ist schwer zu schätzen.

"Bestimmt gibt es gerade in der jungen Generation viel stillen Protest", schätzt Kaeding. Allerdings haben die Menschen in Macau, anders als in Hongkong, eine weitere Sicherheitsgarantie, die für mehr Gelassenheit sorgt: Sie haben 1999 den portugiesischen Pass bekommen.

Wie die "Deutsche Welle" jedoch berichtete, beendete die Polizei in Macau Solidaritätsveranstaltungen für Hongkong und ließ verlauten, dass Versammlungen mit Solidaritätsbekundungen als illegal betrachtet werden könnten.

Dr. Malte Philipp Kaeding ist Dozent in Internationaler Politik an der Universität Surrey (Großbritannien). Er studierte China- und Politikwissenschaften in Heidelberg, Hongkong und Taiwan. Zu seinen Forschungsinteressen zählen Wahlen, Demokratisierung und soziale Bewegungen mit Fokus auf Hongkong, Macau und Taiwan.

Verwendete Quellen:

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