Ob sie ihren Deal noch durchbekommt oder nicht: Theresa Mays Tage als Premierministerin Großbritanniens scheinen weitgehend gezählt. Ihre potenziellen Nachfolger scharren längst mit den Hufen. Doch wer kommt für das Amt überhaupt infrage? Ein Überblick.

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Theresa May hat am Mittwochabend ihren Rücktritt in Aussicht gestellt: Wenn sich im Parlament doch noch eine Mehrheit für ihren Brexit-Deal findet, würde sie sich dafür opfern. Ob ihr Abkommen damit wirklich eine Chance hat, ist aber nicht sicher.

Sicher ist in diesem Brexit-Chaos wohl nur, dass May nicht mehr allzu lange den Posten als Premierministerin bekleiden dürfte. Sie wolle die nächste Runde in den Brexit-Verhandlungen keinesfalls leiten. Zu viel Autorität hat sie in den vergangenen Monaten eingebüßt, auch – oder vor allem – in ihrer eigenen Partei, den Torys.

Damit ist der Startschuss für das Rennen um ihren Posten längst gefallen. Es gibt mehrere Anwärter für den Parteivorsitz und damit für das Amt des Regierungschefs.

Diese scharren schon mit den Hufen - doch wer hat überhaupt Chancen, die Premierministerin zu beerben? Ein Überblick.

Boris Johnson

Der frühere Bürgermeister von London war einer der Wortführer der Brexit-Kampagne vor dem Referendum im Jahr 2016. Er fuhr wochenlang in einem Bus quer durch Großbritannien und rief die Briten auf, sich "die Kontrolle zurückzuholen". Johnson kandidierte damals jedoch nicht für die Nachfolge des scheidenden Premierministers David Cameron.

Dessen Nachfolgerin Theresa May vertraute Johnson dann das Amt des Außenministers an. Er leistete sich allerdings diverse Ausrutscher und machte insgesamt keine gute Figur auf dem diplomatischen Parkett. Schon vor seinem Rücktritt im Juli war er ein heftiger Kritiker von Mays Brexit-Kurs.

Der 54-Jährige, der oft einfach nur "Boris" oder "BoJo" genannt wird, hat sich in den Reihen der Tories einige Feinde gemacht. Medienberichten zufolge kündigte er nach Mays Rücktrittsangebot an, er wolle nun für ihren Brexit-Deal stimmen. Bei den britischen Buchmachern gilt er als einer der großen Favoriten.

Michael Gove

Auch Brexit-Wortführer Michael Gove wird bei Buchmachern ganz weit vorne gesehen. Er wollte bereits in den Wirren nach dem Referendum im Jahr 2016 nach der Parteispitze greifen. Er schaffte es bei der Abstimmung in der Fraktion jedoch nicht in die Endrunde.

May machte ihn im Juni 2017 zum Umweltminister, wo er mit einer Reihe umweltfreundlicher Ankündigungen in den Schlagzeilen blieb. Der 51-Jährige ist der führende Brexit-Hardliner in Mays Regierung. Er könnte wegen seiner geschmeidigen Positionen nun ein Kompromisskandidat werden.

Jeremy Hunt

Er folgte Boris Johnson nach dessen Rücktritt im Sommer in das Amt des Außenministers. Eigentlich hatte er sich ursprünglich für einen Verbleib Großbritanniens in der EU ausgesprochen. Allerdings missfiel ihm das Auftreten Brüssels in den Verhandlungen um den Austritt und kritisierte es als "arrogant".

Der frühere Geschäftsmann, der fließend Japanisch spricht, gilt als besonders belastbar. Der Einfluss des 52-Jährigen im Kabinett ist nach und nach gestiegen.

Dominic Raab

Der 45 Jahre alte Raab folgte im Juli als Brexit-Minister auf David Davis. Der hatte seinen Posten freiwillig geräumt, weil er die Linie von May gegenüber Brüssel als zu weich empfand. Doch auch Raab hielt es nicht lange auf dem Posten. Er trat im November zurück und bezeichnete das Brexit-Abkommen als "schlecht für unsere Wirtschaft und unsere Demokratie".

Raab ist Boxer und zudem Träger eines schwarzen Karate-Gürtels. Er hat nie ausgeschlossen, sich um Mays Job zu bemühen.

Sajid Javid

Der frühere Investmentbanker – unter anderem bei der Deutschen Bank - und Sohn eines pakistanischen Busfahrers gilt als das Gesicht des modernen, multikulturellen Großbritanniens. Er gehört dem wirtschaftlich liberalen Flügel der Konservativen an und stimmte 2016 für einen Verbleib seines Landes in der Europäischen Union. Nach dem Ausgang der Abstimmung unterstützte er dann aber den Brexit-Kurs.

Seit seiner Ernennung zum Innenminister im April 2018 hat sich Javid bereits Respekt für sein Vorgehen in der sogenannten Windrush-Affäre verschafft, bei der es um den Umgang mit Kindern von Einwanderern aus der Karibik geht. In liberalen Kreisen wurde er kürzlich kritisiert, weil er einer jungen britischen IS-Anhängerin, die nach Großbritannien zurückkehren wollte, die Staatsangehörigkeit entzog.

David Lidington

Mays De-facto-Stellvertreter ist ein einflussreicher Insider, der an einigen der wichtigsten Gespräche mit führenden Parlamentariern teilgenommen hat, um den Brexit-Deal durch das Unterhaus zu bekommen. Der 62-Jährige ist ein Brexit-Befürworter und genießt hohe Anerkennung für seine diplomatischen Fähigkeiten. Es heißt, er habe keine Feinde – für einen Politiker eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Er wurde am vergangenen Wochenende als möglicher Interims-Regierungschef genannt, als britische Medien von einem "Kabinettscoup" gegen May berichteten. Lidington spielte die Spekulationen herunter. Er beteuerte, er habe nicht den Wunsch, das Amt der Premierministerin zu übernehmen.

Amber Rudd

Nach einer Karriere als Finanzjournalistin wurde Rudd 2010 ins Parlament gewählt. Die 55-jährige gilt als verlässliche Unterstützerin von May und begleitete deren Weg an die Regierungsspitze.

Als May 2016 die Geschäfte der Premierministerin übernahm, vertraute sie Rudd ihren alten Posten als Innenministerin an. Diese musste jedoch zurücktreten, um Mays Ruf in der Windrush-Affäre zu schützen.

Inzwischen ist Rudd wieder Ministerin, diesmal für Arbeit und Renten. Bei einer Kandidatur um den Parteivorsitz könnte ihr zum Verhängnis werden, dass sie für einen Verbleib Großbritanniens in der EU geworben hat und sich jüngst auch für ein zweites Referendum ausgesprochen hat. Inzwischen gilt sie eher als Außenseiterin unter den möglichen Nachfolgern. (jwo/dpa/afp)

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