Chemnitz kommt nicht zur Ruhe. Nach den gestrigen Übergriffen auf Ausländer kam es am Montag zu Protesten rechter und linker Demonstranten. Die Polizei musste Wasserwerfer auffahren, um gewaltsame Zusammenstöße der beiden Gruppen zu verhindern. Mindestens zwei Menschen wurden durch geworfene Gegenstände getroffen und verletzt.

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Am Tag nach den Übergriffen auf Ausländer in Chemnitz hat die Polizei versucht, ein Aufeinanderprallen von rechten und linken Gruppen zu verhindern. Kurz nach einer Kundgebung gegen rechte Gewalt im Stadtpark von Chemnitz drängten am Montag Hunderte Demonstranten in Richtung einer Kundgebung der rechten Szene auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dort skandierten sie Parolen wie "Nationalismus raus aus den Köpfen" und "Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda".

In Sicht- und Hörweite hatte die rechte Szene am Karl-Marx-Monument eine Kundgebung mit einem Aufzug durch die Innenstadt beantragt. Am Monument wurde ein Transparent mit dem Spruch "Deitsch un' frei woll'n mer sei" des Dichters Anton Günther (1876-1937) angebracht. Hunderte Beamte der Bereitschaftspolizei hatten die Straße zwischen beiden Kundgebungen gesperrt.

Allein an der von Rechten getragenen Kundgebung beteiligten sich nach Schätzungen weit mehr als 2000 Menschen. Nachdem mehrere Böller explodierten und eine Rakete aus den Reihen dieser Demonstration gezündet wurde, setzte sich ein Marschzug in Bewegung.

Mehrere Verletzte

Auf der anderen Seite der viel befahrenen Hauptstraße hatten sich mehr als 1000 Gegendemonstranten zusammengefunden. Die Polizei versuchte mit einem Großaufgebot von Beamten und Fahrzeugen, beide Lager zu trennen. Wasserwerfer wurden aufgefahren, um bei einer weiteren Eskalation die Lage unter Kontrolle zu halten.

Laut Polizei wurden aber mindestens zwei Personen verletzt. Die Polizei wollte nicht ausschließen, dass sich Zahl der Betroffenen noch erhöht. Zur Schwere der Verletzungen lagen der Polizeidirektion Chemnitz zunächst keine Angaben vor. Es seien Feuerwerkskörper und Gegenstände geworfen worden, hieß es. Teilnehmer berichteten von einer aggressiven Stimmung.

Polizei beklagt Personalmangel

Nachdem sich die beiden Demonstrationen am Montagabend aufgelöst hatten, räumte ein Polizeisprecher Personalmangel in den eigenen Reihen ein. Man habe mit einigen Hundert Teilnehmern gerechnet und sich entsprechend vorbereitet, aber nicht mit einer solchen Teilnehmerzahl, sagte er auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur.

"Der Einsatz verlief nicht störungsfrei." Noch am Nachmittag hatte Polizeipräsidentin Sonja Penzel versichert, ausreichend Kräfte angefordert worden. Es werde nicht zugelassen, dass Chaoten die Stadt vereinnahmen, sagte sie.

Zwei Haftbefehle erlassen

Am späten Nachmittag hatte das Amtsgericht Chemnitz zwei Haftbefehle erlassen. Betroffen sind ein 23 Jahre alter Mann aus Syrien und ein 22-Jähriger Iraker, teilte die Staatsanwaltschaft Chemnitz mit.

Die beiden Männer sollen am frühen Sonntagmorgen in der Chemnitzer Innenstadt nach einer verbalen Auseinandersetzung mehrfach auf einen 35-jährigen Deutschen eingestochen haben. Das Opfer starb kurz darauf im Krankenhaus. Zwei weitere Männer wurden schwer verletzt.

Die Ermittlungen zum Tatmotiv, zum genauen Ablauf und zur Tatwaffe dauern an. Für den Abend sind Demonstrationen zu dem Fall angekündigt.

Gerüchte, wonach es einen zweiten Todesfall im Zusammenhang mit den Ereignissen in Chemnitz gab, dementierte die Polizei.

Politik mit deutlichen Worten zu Vorfällen

Der sächsische Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) prangert Hetze und Selbstjustiz an. "Es ist widerlich, wie Rechtsextreme im Netz Stimmung machen und zur Gewalt aufrufen. Wir lassen nicht zu, dass das Bild unseres Landes durch Chaoten beschädigt wird", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Polizei und Justiz arbeiteten mit Hochdruck an der Aufklärung der tragischen Geschehnisse. "Ein Mensch hat dabei sein Leben verloren. Zwei weitere sind schwer verletzt. Der Sachverhalt muss umfassend aufgeklärt und die Täter zur Verantwortung gezogen werden." Dazu brauche man ein umfassendes Bild von den Geschehnissen und keine Mutmaßungen, Spekulationen und Gerüchte.

Sachsens Wirtschaftsminister und SPD-Landeschef Martin Dulig forderte ebenfalls eine Aufklärung durch Polizei und Justiz. "Selbstjustiz, Mutmaßungen und Gerüchtemacherei sind nach der tödlichen Messerattacke fehl am Platz", betonte der SPD-Ostbeauftragte.

Auch die Bundesregierung hat sich geäußert. "Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. Die Bundesregierung verurteile solches Verhalten "auf das Schärfste".

Rechte sind aufmarschiert

Nach der Messerstecherei hatten sich am Sonntag Hunderte Personen in der Innenstadt versammelt. Auf Videos ist zu sehen, wie Ausländer von Personen aus der Masse heraus attackiert werden. Zu hören sind Rufe wie "Wir sind das Volk", aber auch rechte Parolen wie "Deutsch, sozial, national".

Laut der Polizei hatte es mehrere Aufrufe im Internet gegeben, sich in der Innenstadt einzufinden. Medien zufolge stammte einer von der rechten Hooligan-Gruppe Kaotic Chemnitz.

An dem Aufmarsch haben sich nach Einschätzung der sächsischen Linke-Politikerin und Rechtsextremismusexpertin ihrer Partei, Kerstin Köditz, Nazis aller Couleur beteiligt.

Kritik an Polizei

Die Linke-Politikerin kritisierte zugleich Versäumnisse bei der Polizei. "Warum hat man so lange gebraucht, um genügend Einsatzkräfte herzubringen. Wenn Informationen durchsickern, dass es am Rande eines Stadtfestes einen Toten gab, dann hätte die Polizei eigentlich Gewehr bei Fuß stehen müssen - bei all dem Alkohol, der bei solchen Gelegenheiten konsumiert wird", so Köditz.

Landesamt für Verfassungsschutz hat mehrfach gewarnt

Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hat zuletzt immer wieder Auseinandersetzungen zwischen gewaltbereiten Rechtsextremisten und Personen mit Migrationshintergrund registriert.

"Besonders aktiv und auch am aktuellen Demo-Geschehen beteiligt ist die rechtsextremistische Hooligangruppierung Kaotic aus dem Umfeld des Chemnitzer FC, die ebenfalls wie die gleichfalls rechtsextremistische Gruppierung NS-Boys ("New Society Boys") mit ihren Aktivitäten zum Anziehungspunkt für Angehörige von neonationalsozialistischen Strukturen und subkulturellen Gruppierungen geworden ist", sagte ein Sprecher der Behörde der dpa.

Man habe wiederholt auf die Gefahr aufmerksam gemacht, die von diesem Personenkreis ausgehe. (sg/cai/mcf/dpa)

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