• Seit 2012 steckt Mali in einer tiefen Krise, doch der Konflikt hat sich längst auf die westafrikanischen Nachbarländer ausgeweitet.
  • Burkina Faso ist dabei zum Zentrum der Krise geworden.
  • Die Sicherheitslage vor Ort ist dramatisch. Experte Ulf Laessing gibt eine Einschätzung, wie es um das afrikanische Land bestellt ist.

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Es war eine Nachricht, die wenig internationale Aufmerksamkeit erhielt: In Burkina Faso sind am Samstag (27. August) sechs Menschen bei einem Anschlag auf eine Wagenkolonne ums Leben gekommen, die im Gebiet einer Goldmine im Osten des Landes unterwegs waren. Islamistische Terroristen sollen für den Anschlag verantwortlich sein.

Militante im ganzen Land sorgen laufend für solche Nachrichten. 2020 kamen im Norden des Landes 25 Binnenvertriebene ums Leben, die auf dem Rückweg in ihre Dörfer waren, als ihr Buskonvoi angegriffen wurde. Zuvor töteten Terroristen 39 Arbeiter einer Goldmine aus dem Hinterhalt.

Gewaltvollster Staat in der Sahel-Zone

Mali, nördlicher Nachbar von Burkina Faso erhält deutlich mehr Aufmerksamkeit. Zwar engagiert sich die deutsche Bundeswehr in der Sahel-Zone auch in Burkina Faso, Niger und dem Tschad, aber als die Franzosen ihren Abzug aus Mali ankündigten und immer mehr Russen im Land auftauchten, rückte das westafrikanische Land in den Fokus. Dabei ist Burkina Faso längst Zentrum des Konflikts in der Sahel-Zone.

In keinem anderen Sahel-Staat gibt es mehr Gewalt als hier. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden 2.224 Personen bei über 900 Attacken getötet. "In Burkina Faso ist die Sicherheitslage noch deutlich schlechter als in Mali", sagt Ulf Laessing, Leiter des "Sahel"-Programms der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Bamako. Außerhalb der Hauptstadt Ouagadougou sei das Land eine No-Go-Area. "Dschihadisten kontrollieren große Teile des Landes. Die Regierung hat die Kontrolle über das Land in den letzten Jahren immer weiter verloren", so Laessing.

Dschihadisten wurden ins Land geschwemmt

Die Krise, die in der Region herrscht, ist eine der schlimmsten weltweit. Sie hat rund zwei Millionen Menschen vertrieben – viermal mehr als in Mali. Tausende Schulen sind geschlossen, teils seit mehreren Jahren.

"In Mali gab es durch die französische Anti-Terrormission sehr viel Verfolgungsdruck, die Dschihadisten kamen nach Burkina Faso", erklärt Laessing. Der Staat sei schwach, die Sicherheitskräfte schlecht ausgebildet und mangelhaft ausgerüstet. Begonnen hatte die Krise 2012 in Mali, seit 2016 war der Konflikt auch auf Burkina Faso und Niger übergeschwappt.

Europas größtes Atomkraftwerk in Saporischschja

Selenskyj über AKW: Nur knapp einem Super-GAU entgangen

Laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist Europa nur knapp einer nuklearen Katastrophe entgangen. Europas größtes Atomkraftwerk in Saporischschja sei über mehrere Stunden vom Stromnetz getrennt gewesen. (Bildquelle: IMAGO/SNA)

Der Konflikt sei vielschichtig, sagt Laessing. "Zu den größten Herausforderungen zählen die weit verbreitete Armut und starkes Bevölkerungswachstum. Es gibt durch Starkregen und Hitzeperioden immer weniger Ackerland zu bestellen und der Staat ist abwesend", sagt er.

Besonders im ländlichen Raum ist die Trinkwasserversorgung mit 71 Prozent schon jetzt knapp, und die Bevölkerung wächst weiter. Hinzukommen die Auswirkungen des Klimawandels, die eine große Herausforderung für die Wasserverfügbarkeit des Landes darstellen.

Die Welthungerhilfe stuft die Lage in Burkina Faso als "ernst" ein, der Anteil der Unterernährten steigt kontinuierlich. Es gibt große Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Gebieten: Ans Stromnetz angeschlossen sind 66 Prozent der Menschen in den Städten, aber nur drei Prozent der ländlichen Bevölkerung.

Burkina Faso wird von Junta regiert

Eigentlich verfüge Burkina Faso über viele Rohstoffe, sagt Laessing. "Weil die staatlichen Strukturen aber schwach sind, ist das eher ein Fluch. Goldminen wurden bereits geschlossen oder werden von Dschihadisten kontrolliert", sagt der Experte. Die Lage sei politisch kompliziert. Selbst Beobachter können nicht erklären, was die Dschihadisten mit ihren Anschlägen genau bezwecken wollen. "Die Dschihadisten haben in Teilen des Landes einen Parallelstaat aufgebaut", sieht Laessing.

Im Januar hatte die Armee von Burkina Faso gegen eine zivile Regierung geputscht, seitdem führt eine Junta das Land mit Oberstleutnant Paul-Henri Sandaogo Damiba an der Spitze. Das Chaos, das die Dschihadisten säen, bekommt auch die Junta nicht in den Griff. Neben radikalen Islamisten sind auch kriminelle Banden und örtliche Selbstverteidigungsgruppen der Bevölkerung am Konfliktgeschehen beteiligt.

Regierung setzt auf Dialog mit Dschihadisten

"Die Regierung versucht, mit den Dschihadisten ins Gespräch zu kommen. Es ist aber nicht absehbar, dass sich viel tun wird, denn sie handelt aus einer Position der Schwäche", erklärt Laessing. Die Armut treibe immer mehr junge Menschen in die Arme der Dschihadisten. "Burkina Faso ist sehr dicht besiedelt, Kampfhandlungen haben viel größere Ausmaße als in Mali", sagt Laessing.

Burkina Faso liege im Zentrum des Sahels und sei dadurch auch eine Drehtür für Dschihadisten, die Richtung Küste vordringen wollten. "Burkina Faso ist quasi ein Durchgangsland, an der südlichen Grenze haben die Dschihadisten sich stark festgesetzt", beobachtet er.

Sahel-Konflikt: Keine Lösung in Sicht

Die deutsche Bundesregierung gibt in Burkina Faso knapp 272 Millionen Euro für Projekte der Ernährungssicherung, sowie der Wasser- und Sanitärversorgung aus. Deutschland und andere Staaten seien auch zur Unterstützung der Streitkräfte aktiv in Burkina Faso, doch die Erfolge seien gering.

Das Land habe einen revolutionären Geist, die Menschen würden ausländische Militärkooperationen ablehnen. Der Gewalt mit militärischen Mitteln Einhalt zu gebieten – es gelingt nicht. "Die Regierung ist sehr vorsichtig und bittet nur punktuell um militärische Unterstützung. Auch die Europäische Union unterhält ein Trainingsprogramm, aber es ist wahrscheinlich zu spät", schätzt Laessing.

Vielversprechender sei der Dialog, den die Regierung mit Dschihadisten suche. "Aber: Man wird ihnen irgendetwas anbieten müssen, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Und aktuell ist nicht in Sicht, was das sein könnte", sagt Laessing.

Über den Experten:
Ulf Laessing ist Leiter des "Sahel"-Programms der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Bamako. Er arbeitete zuvor als Auslandskorrespondent und Büroleiter bei der Nachrichtenagentur Reuters im Nahen Osten, Nordafrika und Afrika südlich der Sahara. Er hat Geschichte, Islamwissenschaft und Volkswirtschaft in Hamburg, Leipzig und Kuwait studiert.

Verwendete Quellen:

  • Bundeszentrale für politische Bildung (BpB): Sahel: Ökonomische, politische und ökologische Ursachen der Gewalteskalation
  • Deutscher Bundestag: In Burkina Faso sind 78 Prozent mit Trinkwasser versorgt
  • Bundesverteidigungsministerium: Deutschland setzt sich für Sahelregion ein
  • NZZ.ch: "Wir wissen nicht, wie wir diesen Krieg nennen sollen" – Erkundungen in Ouagadougou, einer Stadt, um die ein Land wegbricht
  • Reuters.com: Militants kill six in attack on convoy from Burkina Faso gold mine


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