Die Bauern demonstrieren gegen die Pläne der Ampel-Regierung, Subventionen im Agrarbereich zu kürzen. Dabei wird der Agrarsektor laut Experten überproportional stark bezuschusst.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Bundesweit kam es am Montag zu zahlreichen Protesten von Landwirten. An einigen Straßen und Autobahnzubringern staute sich der Berufsverkehr, da Traktoren den Weg versperrten. Unterstützt wurden sie auch von Speditionsunternehmen, die gegen die Erhöhung der LKW-Maut protestierten. Allein in München sammelten sich laut Polizei 5.500 Traktoren aus der Umgebung für eine Kundgebung. Vor dem Brandenburger Tor sollen laut Informationen der Tagesschau über 550 Traktoren, LKWs, Anhänger und Transporter zusammengenkommen sein, um gegen die geplanten Kürzungen der Ampel-Regierung zu protestieren.

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Worum geht es konkret?

Die Bauern protestieren gegen die Sparmaßnahmen der Bundesregierung. Im Agrarsektor hatte diese zunächst geplant, die Befreiung von der Kfz-Steuer zu beenden – diesen Plan dann nach massivem Widerstand der Bauern wieder verworfen. Übriggeblieben ist das Vorhaben, die Steuerbegünstigungen beim Agrardiesel bis 2026 zu beenden. Diese Pläne sind laut Experten aber nur der Auslöser der Proteste, die Beweggründe sind komplexer.

Auch der Protest ist diverser: Der Deutsche Bauernverband, der zu den Protesten aufgerufen hat, fordert eine Rücknahme der Steuererhöhungen in der Landwirtschaft. Thomas Große Rüschkamp, Landwirt und Teilnehmer der Demonstrationen, erklärte gegenüber dem "Tagesspiegel", die Streichung der Subventionen sowie stetig neue Auflagen würden Betriebe in ihrer Existenz bedrohen: "Die Regierung muss einen Haushalt sanieren, den sie nicht verfassungsgemäß aufgestellt hat. Dafür werden nun die Bauern überproportional belastet."

Der Verband "Freie Bauern", der sich ebenfalls den Protesten angeschlossen hat, hat weitergehende Forderungen. In einer Mitteilung erklärt der Verband: "Endlich kein Geld mehr für bio-divers-vegane Experimente sowie für den von Bundesregierung, Bauernverband und NGOs beschlossenen sinnlosen Umbau der Landwirtschaft." Den "Green Deal" der EU, der eine Halbierung von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 sowie eine Bewirtschaftung von einem Viertel der Nutzfläche mit biologischer Landwirtschaft vorsieht, lehnen die "Freien Bauern" ebenfalls ab. Außerdem fordern sie eine "Rücknahme aller Dünge-, Pflanzenschutz- und Tierhaltungsregeln, die uns seit 2017 ideologisch bevormunden" sowie die "Aufkündigung von Freihandelsabkommen und zollfreien Importen".

Thomas Herzfeld ist seit Oktober 2011 Direktor am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien in Halle (IAMO) und leitet die Abteilung Agrarpolitik. Gegenüber unserer Redaktion erklärt er: "Der Protest ist ein Zeichen, dass sich da sehr viel Unmut aufgestaut hat. Es geht um mehr als die Kfz-Steuer oder eine Agrardieselerstattung." Man wolle vielmehr ein Zeichen setzen, dass die Politik Zukunftsperspektiven vermissen lasse in Sachen Agrarpolitik. In den vergangenen Jahren hatten sich die Subventionen in der Landwirtschaft immer wieder geändert. Dafür war neben bundespolitischen Entscheidungen auch die EU-Politik verantwortlich, diese hatte Flächensubventionen gekürzt und Betriebe verpflichtet, vier Prozent ihrer Ackerfläche nicht mehr zu bewirtschaften.

Inwiefern ist der Streik gerechtfertigt?

Kritiker hatten der Regierung vorgeworfen, dass die Kürzungen des Ampelhaushalts überproportional stark die Bauern träfen. Das Agrar- und Ernährungsressort habe zwar lediglich einen Anteil von circa 1,5 Prozent am Gesamthaushalt, müsse aber 430 Millionen Euro Kürzungen allein bei der Agrardieselvergütung hinnehmen, so Agrarökonom Peter Peter Breunig gegenüber der "FAZ".

Agrar-Experte Thomas Herzfeld sieht das anders: "Es ist nicht verwunderlich, dass diejenigen, die viel erhalten, auch mehr Kürzungen hinnehmen müssen. Der Agrarsektor wird überproportional stark subventioniert."

Das sehen auch andere so, die sich mit dem Thema näher befassen: So wurde die Kfz-Steuerbefreiung bereits zu Beginn des Jahres vom Bundesrechnungshof moniert. Seit 1922 gilt diese Regelung und sei laut Experten des Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts der Universität in Köln nicht mehr zeitgemäß. Ursprünglich sollte hiermit dafür gesorgt werden, dass die deutsche Landwirtschaft international konkurrenzfähig wird. Das sei sie nun allerdings bereits, so die Wissenschaftler.

Die nun noch diskutierte Agrardieselbefreiung macht laut Bundesregierung lediglich sechs Prozent der gesamten Subventionen für die Landwirtschaft aus. Der Großteil der Subventionen von Bund und Ländern fließt in Programme für kleine Betriebe, Junglandwirte, Prämien für bestimmte Nutztiere, freiwillige Brachen und ökologische Ausgleichsflächen. Diese Hilfsprogramme machen 37 Prozent der Subventionsbeträge aus. Zusätzlich stammen 57 Prozent der Subventionen aus Fördertöpfen der EU. Insgesamt wurde die deutsche Landwirtschaft im vergangenen Jahr mit sechs Milliarden Euro EU-Fördergeld bezuschusst. Der Bund steuerte 2,4 Milliarden Euro bei. Damit ist die Landwirtschaft nach energieeffizienten Gebäuden der zweitgrößte Fördermittel-Posten.

Im europaweiten Vergleich erhalten deutsche Bauern nach Frankreich die meisten Fördermittel zusammen mit ihren spanischen, italienischen und polnischen Kollegen. Das liegt daran, dass die Fördermittel der EU an die Größe der landwirtschaftlichen Flächen gekoppelt sind und damit größere Flächenländer mehr erhalten als kleinere Staaten. Die Höhe der Förderung pro Betrieb hängt allerdings von der Betriebsstruktur und der Förderpolitik des jeweiligen Landes ab. Insgesamt fließt jeder dritte Euro des EU-Etats in die Landwirtschaft.

Kommt es zum Hofsterben?

Im Vorfeld war gewarnt worden, dass gerade kleinere Betriebe die erhöhten Kosten nicht tragen könnten und es daher zu einem "Höfesterben" kommen könne. Eine Studie des Agrarausschusses des Europaparlaments kam 2022 zu dem Ergebnis, dass die Anzahl der Höfe in der EU zwischen 2003 und 2016 von ungefähr 15 auf 10 Millionen gesunken ist. Der Rückgang der kleinen Höfe sei dabei besonders hoch. Ihre Anzahl sank um 38 Prozent. Allein in Deutschland sind demnach innerhalb von 10 Jahren 12 Prozent der Bauernhöfe verschwunden. 2012 waren es noch 288.000 Betriebe, 2020 hingegen nur noch rund 263.500.

Hier gibt Experte Herzfeld Entwarnung: "Ein gesunder Betrieb, der über die letzten Jahre auch in den schlechten Jahren Gewinne erzeugt hat, wird diese Einsparungen kompensieren können." Sollte es durch die geplanten Kürzungen der Ampel also zur Aufgabe von Höfen kommen, dann deshalb, weil diese bereits zuvor unwirtschaftlich gewesen seien.

Werden die Preise für Lebensmittel steigen?

Auch hier gibt Herzfeld Entwarnung: "Da die Landwirte selbst das schwächste Glied der Kette sind, denke ich nicht, dass sich die Lebensmittelpreise erhöhen. Der finanzielle Betrag dieser Agrardieselerstattung pro Hektar ist vergleichsweise gering." Wenn überhaupt, könnten die Preiserhöhungen im Cent-Bereich stattfinden und dann wäre die Frage, ob die Supermärkte den Landwirten entgegenkommen.

Über den Gesprächspartner:

  • Thomas Herzfeld ist seit Oktober 2011 Direktor am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien in Halle (IAMO) und leitet die Abteilung Agrarpolitik.

Quellen:

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

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