• Angehörige der extrem rechten Szene in den USA feiern die Taliban für ihren Siegeszug.
  • Was hinter dem Applaus der ansonsten ausgesprochen ausländer- und islamfeindlichen Rechten steckt und was man dabei über diese Szene lernen kann, ordnen zwei Experten ein.
Eine Analyse

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Die Berichterstattung über die Situation in Afghanistan beherrscht derzeit die Medien weltweit. Täglich berichten Zeitungen, Webseiten und Fernsehsender über den Siegeszug der Taliban. Die Aufmerksamkeit liegt dabei vor allem auf der Lage der Bevölkerung und der Frage, wie die Zukunft des Landes unter den Taliban aussehen wird.

Dabei nimmt die Diskussion darüber, welche Fehler die westlichen Länder bei ihrem Einsatz und Abzug gemacht haben, zusehends mehr Raum ein. So bezeichnete etwa Richard Engel, Chef-Korrespondent des US-Fernsehsenders NBC, den Sturz der afghanischen Regierung und die chaotische Evakuierung als "die schlimmste Kapitulation westlicher Werte zu unseren Lebzeiten".

In einigen Kreisen der Ultrarechten in den USA gibt es unterdessen eine alternative Lesart der Situation: Sie feiern im Internet die Taliban dafür, die westlichen Mächte aus ihrer Heimat vertrieben und die Regierung gestürzt zu haben. Wie passt es zusammen, dass ausgerechnet diese Ausländer- und speziell Muslimfeindlichen Gruppierungen sich auf die Seite der Taliban stellen?

Die Rechten, die die Taliban bewundern

Dieser Widerspruch hat auch die Aufmerksamkeit verschiedener US-Medien geweckt: So bemerkt der Newsletter "Today’s WorldView" der "Washington Post", dass die extreme Rechte in den USA "eine merkwürdige Affinität zu den Taliban" hat und zählt einige Beispiele auf. Besonders drastisch ist demnach etwa die Wortwahl in einem Telegram-Kanal, der mit der rechtsextremen "Proud Boys"-Organisation in Verbindung gebracht wird, deren Mitglieder am Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar beteiligt gewesen waren.

Ein Beitrag dort lautet: "Diese Bauern und kaum ausgebildeten Männer haben gekämpft, um ihre Nation von den [westlichen Neoliberalen] zurückzuerobern. Sie haben ihre Regierung zurückerobert, ihre Staatsreligion als Gesetz eingeführt und Andersdenkende hingerichtet. Es ist schwer, das nicht zu respektieren."

Auch die "New York Times" verweist in ihrem Artikel "Die Rechten, die die Taliban bewundern" auf einen Telegram-Beitrag. Er wird dem ultrarechten Nick Fuentes zugeschrieben, der zur White-Supremacy-Bewegung gehört und Verbindungen zu dem republikanischen Kongressabgeordneten Paul Gosar hat. Fuentes schreibt: "Die Taliban sind eine konservative, religiöse Kraft, die USA sind gottlos und liberal. Die Niederlage der US-Regierung in Afghanistan ist zweifelsohne eine positive Entwicklung."

Taliban-Bewunderung auch im deutschen Sprachraum

Selbst der republikanische Kongressabgeordnete Matt Gaetz setzte wiederholt Tweets ab, die in diese Richtung gehen. So schreib er etwa: "Taliban und Trump sollten beide auf Twitter sein. Sie sind legitimierter als die letzte Regierung in Afghanistan oder die derzeitige Regierung hier."

Auch in den deutschen Sprachraum ist diese verquere Interpretation der Situation in Afghanistan vorgedrungen, wie der Tweet eines selbsterklärten neuen Rechten aus Österreich zeigt.

Er schreibt: "Der Sieg der Taliban in Afghanistan bedeutet eine krachende Niederlage für den Globalismus. Dragqueens, Homoparaden und Menschenrechtsideologien haben dort Sendepause. Wird Zeit, dass auch Europa sich aus seinem Zustand als amerikanischer Kolonie befreit! [sic]"

Dieser Beitrag gibt auch einen Hinweis darauf, welche Motivation die Ultrarechten zu ihrem Lob für die Taliban bringt: Es geht darum, die Lebensweise der Mehrheitsgesellschaft, die von der regierenden Partei in den USA unterstützt wird, zu diskreditieren. Dass sie sich dafür auf die Seite einer radikalislamischen Miliz stellen, ist ihnen egal, solange das Feindbild passt.

Expertin: "Ideologische Anknüpfungspunkte zwischen extremen Rechten und Islamisten "

Das bestätigt auch Ingrid Brodnig, Journalistin und Expertin für Desinformation und Hass im Internet: "Interessanterweise gibt es ideologische Anknüpfungspunkte zwischen der extremen Rechten und Islamisten – dazu zählt die Idee, dass der Feminismus ein Übel ist, sowie die Ablehnung einer pluralistischen, heterogenen Gesellschaft."

Verwoben mit dieser Ablehnung sind verschiedene Verschwörungstheorien. Darauf weist in dem Tweet etwa die Verwendung des Begriffs "Globalismus" hin, hinter dem sich eine in der rechten Szene gängige Globalisierungskritik verbirgt, die auf antisemitischen Annahmen beruht.

Entlang dieser Linien interpretiert auch Curd Knüpfer, der zu rechten Medien in den USA forscht, das Phänomen. Er verweist auf die sogenannte negative Parteinahme, die in der US-Politik eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Dabei wird Zusammenhalt nicht um eine Ideologie herum aufgebaut, sondern aus gemeinsamer Ablehnung. In diesem Fall also die Ablehnung einer pluralistischen Gesellschaft.

Des Feindes Leid wird zur eigenen Freude

"Dieses Phänomen haben wir im vorvergangenen Wahlkampf, aus dem Trump als Sieger hervorgegangen ist, häufig gesehen", erklärt Knüpfer: "Dort haben manche Wähler ihre Stimme nicht Trump gegeben, weil sie ihn gut fanden, sondern um gegen Hillary Clinton und das Establishment zu stimmen."

Nun setzten Teile der neuen Rechte diese Methode ein, um die Politik des neuen US-Präsidenten Joe Biden zu diskreditieren. "Grob gesagt steht dahinter die Idee, dass des Feindes Leid unsere Freude ist. Also: Sie sehen, dass bei Biden etwas falsch läuft und schlachten das aus."

Außerdem wollten diese teils extremistischen Gruppen wie etwa die Proud Boys das Staatsgebilde scheitern sehen, erklärt Knüpfer. Und so sei jedes Ereignis, das als Schwäche des Staats interpretiert werden könne, für sie gefundenes Fressen.

Fragwürdige Strategie

Gleichzeitig warnt Knüpfer davor, vereinzelte Stimmen aus der Szene der extremen Rechten als breites Phänomen zu interpretieren. "Nur weil eine Handvoll Neonazis solche Dinge von sich gibt, muss da kein breiter Konsens des rechten Lagers hinter stehen."

Er hält diese Narrative außerdem nur eingeschränkt für konsensfähig in der Szene. Denn auch in der neuen Rechten gebe es Grenzen dessen, was gesagt werden könne. "Veteranen und das US-Militär sind in diesen Kreisen eigentlich unantastbar", gibt er zu bedenken. Daher sei das Feiern der US-Niederlage in Afghanistan "hart an der Grenze zum Unsagbaren", erklärt Knüpfer.

Daher glaubt er nicht, dass eine konkrete Strategie hinter den Äußerungen steckt. Vielmehr vermutet er einzelne Stimmen, die sich durch extreme Aussagen hervortun wollen und um Aufmerksamkeit haschen. "Die sind dann häufig auch schnell wieder von der Bildfläche verschwunden", resümiert Knüpfer.

Über den Experten: Prof. Dr. Curd Benjamin Knüpfer ist Juniorprofessor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Kommunikation und Medien in Nordamerika am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin, wo er vor allem zu rechten alternativen Medien und digitaler Öffentlichkeit in den USA forscht.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir ein Bild verwendet, das scheinbar die Proud Boys zeigte. Das war falsch. Auf dem Bild waren Anhänger der Boogaloo-Gruppierung zu sehen.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. Curd Benjamin Knüpfer
  • Korrespondenz mit Ingrid Brodnig, Journalistin und Expertin für Desinformation und Hass im Internet
  • Washington Post: „The U.S. far right has a curious affinity for the Taliban”
  • The New York Times: “The Right-Wingers who admire the Taliban”
  • Armin Wolf, Tweet
  • Matt Gaetz, Tweet
  • Konrad-Adenauer-Stiftung: „Was verstehen Rechtsextremisten unter 'Globalismus'?"
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