Pünktlich zur ersten medialen Bilanz über die Arbeit des österreichischen Bundespräsidenten wird eine heikle Aussage von Alexander Van der Bellen bekannt. Sein "Kopftuch-Sager" sorgt international für Wirbel. Der Politologe Peter Filzmaier attestiert Van der Bellen dennoch ein kluges Amtsverständnis. Die größte Bewährungsprobe habe der Präsident aber noch vor sich.

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Alexander Van der Bellen hat seine ersten 100 Tage als österreichischer Präsident absolviert. Diese 100-Tage-Frist wird nach einer Faustregel des Journalismus einem neuen politischen Amtsinhaber zugestanden, um sich einzuarbeiten und erste Erfolge nachzuweisen.

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"Der stille Präsident", war schon mancherorts - vor allem in deutschen Medien - über den 73-Jährigen zu lesen. Dann kommt nach etwa 90 Tagen im Amt doch noch der großen mediale Aufschrei. Eine eigentlich schon vier Wochen alte Aussage wird bekannt und lässt ihm eine Welle der Empörung entgegenschlagen.

Wörtlich sagte Van der Bellen:"Wenn es so weitergeht … bei der tatsächlich um sich greifenden Islamophobie, wird noch der Tag kommen, an dem wir alle Frauen bitten müssen, ein Kopftuch zu tragen – alle – aus Solidarität gegenüber jenen, die es aus religiösen Gründen tun."

Heftige Kritik: Kopftuch "kein Symbol der Freiheit"

Kritik - auch international - kommt von allen Seiten. Von einem "integrationspolitischen Amoklauf" spricht FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl. Das ZDF, die Bild-Zeitung, die Washington Post, der Independent und zahlreiche weitere internationale Medien nehmen ihn in die Mangel.

Und auch Islamkritikerinnen reagierten wütend: "Sie missbrauchen die Kraft Ihres Amtes, indem Sie das Kopftuch als ein Symbol der Freiheit darstellen, obwohl es für Geschlechter-Apartheid, Unterdrückung, Zwang und die Trennung zwischen einer sittlichen ehrbaren Frau und einer Hure steht", schreibt die Menschenrechtsaktivistin Mina Ahadi gemeinsam mit Gleichgesinnten in einem offenen Brief an Van der Bellen.

Am Donnerstag dann gesteht Van der Bellen ein, dass seine Aussage "ein Fehler" gewesen sei. In einem Interview spricht er von einer "missglückten Kommunikation".

Trotzdem: Filzmaier zieht positive Bilanz

Der Politologe Peter Filzmaier sieht aufgrund der aktuellen Debatte seine These bestätigt, dass ein Bundespräsident konsequent die Strategie verfolgen sollte, sich nicht aktiv zu politischen Alltagsstreitthemen einzubringen. "Vor allem, weil er das Ergebnis – also hier `Kommt ein gesetzliches Kopftuchverbot oder nicht?´ – als Präsident nicht wirklich beeinflussen kann", so Filzmaier im Gespräch mit unserer Redaktion.

Prinzipiell verfolge Van der Bellen laut dem Politologen auch großteils erfolgreich die Strategie, keine derartigen öffentlichen Statements abzugeben. Sein "Kopftuch-Zitat" wurde auszugsweise und zwangsläufig verkürzt von einer Schülerdiskussion entnommen und von Anderen verbreitet. "So gesehen ist das Timing der Diskussion – fast exakt nach 100 Tagen und medialen Zwischenbilanzen dazu – für Van der Bellen nachteilig. Längerfristig ändert sich wenig am Gesamtbild, dass er sich bisher diesem Alltagsdiskurs mehrheitlich erfolgreich entziehen konnte und vermutlich bis zur nächsten Regierungsbildung auch wird. Es ist der einzige Fall in mehr als drei Monaten, und er wurde nicht von ihm ausgelöst", sagt Peter Filzmaier.

Der Politologe verweist darauf, dass nach Daten von Anfang April eine Dreiviertelmehrheit der Österreicher mit der Amtsführung von Bundespräsident Van der Bellen durchaus zufrieden war. Gleichzeitig gab es einen hohen Prozentsatz von Befragten – fast die Hälfte – die sich noch kein Urteil zutraute, da sie die Tätigkeiten des Präsidenten kaum wahrgenommen haben.

Zurückhaltung ist wichtig

Van der Bellen hat in den ersten Monaten seiner Präsidentschaft mit medialer Begleitung viele Auslandsbesuche absolviert und ausländische Gäste empfangen. "Das war als Hauptaugenmerk wichtig, weil ja Österreich rund ein halbes Jahr über keinen Präsidenten verfügte", so Filzmaier. Van der Bellen habe es laut dem Politikwissenschaftler auch vermieden, mit ihm aus früheren Tätigkeiten verbundene Institutionen, beispielsweise Umweltorganisationen, zu bevorzugen. Ebenso sei es richtig gewesen, dass Van der Bellen knapp nach Amtsantritt bei der Regierungskrise Ende Jänner kaum öffentliche Stellungnahmen abgegeben habe.

"Zu laute Worte des Präsidenten in der Öffentlichkeit würden ihn schnell zum Zwischenrufer in den Medien werden lassen, der politisch damit jedoch wenig erreicht", sagt Filzmaier.

Große Prüfung kommt erst noch

Die von Van der Bellen gern gepflegte Zurückhaltung, wie auch die hohen Wellen zu seinem "Kopftuch-Sager" können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wirkliche Bewährungsprobe auf Van der Bellen noch wartet. "Er muss nach der kommenden Nationalratswahl – wann auch immer diese genau stattfindet, jedenfalls spätestens im Herbst 2018 – die Regierungsbildung beauftragen und möglichst eine längerfristig mehrheitsfähige Regierung angeloben“, erklärt Peter Filzmaier. Und weiter: "Wenn nach Wahlen keine Regierung zustande kommt und wiederum Neuwahlen nötig wären, wäre das sicherlich auch eine Schwächung für das Image des Präsidenten, da er ja den Regierungsbildungsprozess sozusagen leitet und in seinem Handeln dabei von der Verfassung her völlig frei ist."

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