Unter Donald Trump erleben die USA einen neuen Ölboom. Dabei macht die Regierung nicht Halt vor Naturschutzgebieten oder Wohnsiedlungen. Als großes Ziel gilt die Unabhängigkeit von ausländischen Ressourcen und Energieträgern. Wie realistisch sind die Bestrebungen der US-Administration und was bedeutet das für europäische Klimaziele? Diese und weitere Fragen beantwortet Heike Buchter im Gespräch mit unserer Redaktion.

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In ihrem Buch "Ölbeben" beschreiben Sie unter anderem die Bestrebungen der Trump-Administration, die USA energieunabhängig zu machen. Ist ihr das gelungen?

Heike Buchter: Seit dem Energieschock in den 70er-Jahren haben die USA versucht, wieder unabhängig von ausländischem Öl zu werden. Das ist bis heute noch nicht gelungen. Das liegt nicht nur an der Menge, sondern auch unter anderem an der Infrastruktur. Ein großer Teil der Ölquellen ist nicht an Pipelines angeschlossen, das sorgt für einen Engpass beim Transport zu den Raffinerien und Häfen. Zudem sind die Raffinerien und petrochemischen Anlagen bisher auf ein anderes Öl eingestellt. Öl aus Texas ist leicht, es wird wegen seiner Farbe auch "Texas Tee" genannt. Zwar haben die Raffinerien ihre Importe aus Saudi-Arabien durch heimisches Öl ersetzt, aber sie müssen es mit schwereren Sorten aus dem Ausland mischen. Diese stammen beispielsweise aus den Teersanden in Kanada, auch das mexikanische Maya zählt dazu. Bis zu den Sanktionen durch die US-Regierung lieferte Venezuela Orinoco-Öl. Insofern sind die USA noch immer nicht energieunabhängig. Aber neue Anlagen stellen sich auf die veränderte Lage ein, der Trend geht eindeutig dahin.

Ist das Ziel der Energieunabhängigkeit in Anbetracht der jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten eine sinnvolle Idee?

Energieunabhängigkeit ist absolut sinnvoll. Die Frage ist allerdings, ob der Weg, den die USA eingeschlagen haben, der richtige ist. Also die Förderung fossiler Brennstoffe, egal, welche Konsequenzen es für die Umwelt und die eigenen Bürger hat. Deutschland hat schon seit Beginn des Ölzeitalters immer das Problem, von ausländischen Lieferanten abhängig zu sein. Lange hatten wir in den Amerikanern einen Verbündeten, wenn es um den Schutz dieser internationalen Quellen vor allem im Nahen Osten ging. Wir waren praktisch auf demselben Supertanker. Das trifft jetzt nicht mehr in dem Maße zu. Der US-Präsident hätte sich die Eskalation mit dem Regime in Teheran noch vor fünf oder zehn Jahren nicht erlauben können, weil er eine Rezession in den USA hätte fürchten müssen. Für Deutschland ist es umso wichtiger, unsere Energiepolitik zu überdenken und zu einer größeren Priorität zu machen.

Sie beschreiben, wie früh sich die Öl- und Gaslobby bereits hinter der Trump-Regierung sammelte. Gewähren Sie unseren Lesern einen kurzen Einblick.

Donald Trump war vor seiner Wahl 2016 ein Immobilienunternehmer und eine bekannte TV-Persönlichkeit. Mit Energiepolitik und all den dazu gehörenden Fragen hatte er herzlich wenig zu tun. Er ist aber - und ich glaube, das war eine entscheidende Begegnung - dem Öl- und Fracking-Milliardär Harold Hamm begegnet. Hamm war auf Geschäftsreise in New York und suchte Trump in seinem Büro an der Fifth Avnue auf. Trump bemängelte den offenen Hemdkragen des Ölmannes und schenkte ihm ein paar Seidenkrawatten aus seinem Souvenir-Shop. Hamm wurde zum Fan. Als Trump sich dann zur Wahl aufstellen ließ, wurde Hamm zu einem seiner wichtigsten Berater in Sachen Energie. Als vergangene Woche das neue Handelsabkommen mit China in Washington unterzeichnet wurde, war Hamm einer der Ehrengäste. China ist inzwischen der größte Erdölimporteur der Welt.

Sie beschreiben ebenfalls, wie sich der Einfall von Energiekonzernen auf große Landstriche auswirkte. Wie gehen die Anwohner mit dem Ölboom um?

Ich habe unter anderem mit Anwohnern in der Nähe von Dallas gesprochen, wo das Erdgasfracking im modernen Sinne entwickelt wurde. Dort gibt es in einem Vorort sogar zwei große Erdgasförderanlagen inmitten einer Reihenhaussiedlung. Vor den Warnhinweisschildern spielten die Kinder. Ein lokaler Umweltschützer berichtete mir von den verzweifelten Bemühungen der Menschen dort, die Fracker wenigstens aus den Wohngegenden herauszuhalten. Die Kommune verabschiedete sogar ein Verbot von Fracking innerhalb der Stadtgrenzen. Doch der texanische Gouverneur und die republikanische Mehrheit im dortigen Parlament, deren Mitglieder vielfach Zuwendungen der Öl- und Gasindustrie erhielten, verboten solche kommunalen Frackingverbote.

Glauben Sie, dass Trump in Sachen Natur- und Klimaschutz irgendwelche Skrupel besitzt?

Nein – aber ich kenne Donald Trump nicht. Möglicherweise macht er sich ja im stillen Kämmerchen seine Gedanken. Aus den Aktivitäten seiner bisherigen Amtszeit lässt jedoch nichts darauf schließen, dass ihn Umwelt-, Klima- oder Artenschutz sonderlich kümmern.

Wie hat sich Amerikas Ölboom auf die Weltwirtschaft ausgewirkt?

Es verschiebt die globalen Handelsströme und Gewichte. Weitgehend unbemerkt ist etwa geblieben, wohin Saudi-Arabien nun sein Öl verkauft. Die Tanker fahren nun nach China statt in den Golf von Mexiko. Da entstehen neue Achsen und Handelsverbindungen. Interessant ist, dass die USA weiterhin mit ihrem Militär die Tankerrouten offen halten. Für die Amerikaner spielen diese Routen immer weniger eine Rolle. Vielmehr sind es China und Indien, die ein großes Interesse am Schutz dieser Routen haben, doch beide haben sich bisher kaum daran beteiligt. Der Aufstieg der US-Produzenten hat auch die OPEC geschwächt. Nur im Verbund mit Russland – einem Nicht-Mitglied – kann das Kartell noch Einfluss nehmen. Gleichzeitig profitiert die US-Wirtschaft von niedrigen Erdgas- und Energiepreisen, ein großer Vorteil auch gegenüber der deutschen Wirtschaft. Vieles davon ist an der breiten Öffentlichkeit schlicht vorbeigegangen, weil man Fracking nicht als das wahrgenommen hat, was es ist: nämlich der größte energie- und geopolitische Faktor der letzten zwanzig Jahre.

Der vollständige Titel Ihres Buches lautet "Ölbeben – Wie die USA unsere Existenz gefährden". Inwiefern ist unsere Existenz bedroht?

Die Amerikaner haben sich unter Trump noch stärker von Europa abgewandt, als das bereits unter seinem Vorgänger Obama der Fall gewesen ist. Europa hat im globalen Spiel der Mächte schlicht und einfach nicht mehr die gleiche Relevanz wie früher. Aus Sicht Washingtons sind die großen Energieabnehmer, Wirtschaftskräfte und Konkurrenten in Asien – besonders China ist im Fokus. Trump sagt ja sehr deutlich, dass er nicht länger die Kosten dafür tragen will, die Schutzmacht Europas zu sein. Deutschland hat jedoch keine wirkliche Alternative.

Der andere entscheidende Aspekt ist der Klimaschutz. Inzwischen fördern die USA 13 Millionen Barrel pro Tag, das ist mehr als doppelt so viel wie noch vor zehn Jahren. Dieses ganze Öl und Erdgas der Fracker wird natürlich irgendwo verbrannt und verwendet. Das trägt natürlich maßgeblich zum Klimawandel bei.

Die Amerikaner produzieren also immer mehr Öl und Gas. Werden unsere deutschen Klimaschutzbemühungen damit nicht zur Makulatur?

In einem Wort gesagt: Ja. Vielleicht mag das für manch einen etwas zu stark formuliert sein, aber ich denke, wenn man sich überlegt, wie ungehemmt hier in den USA in diesen Sektor investiert wird – und ich gehöre zu den Menschen, die inzwischen glauben, dass es Trump gelingen wird, wiedergewählt zu werden und somit seine Energiepolitik auch weiter zu verfolgen –, dann ist kaum ein anderer Schluss möglich. Kürzlich hat er die Gesetzgebung zur Überprüfung von Umweltaspekten beim Bau von neuen Pipelines extrem abgeschwächt. Damit graben sich die fossilen Brennstoffkonzerne buchstäblich auf Jahrzehnte ein.

Glauben Sie noch an eine zeitige Abkehr von fossilen Energieträgern?

Der Klimawandel ist real, er wird weitergehen und er wird sich auch sicherlich in den kommenden Jahren noch beschleunigen. Wenn wir jetzt sagen, das ist eh unumkehrbar und wir können da nichts mehr machen, dann ist es natürlich einfach zu sagen, wir lassen das jetzt so weiterlaufen. Mein Buch sollte nicht aussagen, dass jetzt alles zu spät ist, wir alles aufgeben sollten und zusehen, wie die USA mit ihrem Frackingboom auch noch den Rest platt machen - im Gegenteil: Es sollte uns antreiben, die wahre Energiewende herbeizuführen. Uns allen muss allerdings klar werden, dass das eine enorme Aufgabe sein wird. Vielleicht die größte der Menschheitsgeschichte.

Heike Buchter ist Journalistin und Autorin mit Fokus auf Wirtschaft und Finanzen. Seit 2001 berichtet sie von der Wall Street und ist heute Auslandskorrespondentin für "Die Zeit" in New York.
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