• Erdgasfelder vor Kreta und dem Peloponnes könnten ab 2027 insgesamt eine dem fünffachen jährlichen europäischen Erdgasbedarf entsprechende Menge Gas liefern.
  • Griechenland schickt sich in der vom Krieg in der Ukraine befeuerten Krise an, eine Schlüsselrolle in der Energieversorgung Europas einzunehmen.
  • Vom Pleite-Staat will das Land zum Big Player für Gas, Wasserstoff und erneuerbare Energien mutieren.

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Im Ionischen Meer, dort, wo alle nur an Urlaub, Strand, Ouzo, Bouzouki und Tavernen denken, soll Erdgas im Wert von mehr als 250 Milliarden Euro versteckt sein.

Am 7. November informierte der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis in einem Interview beim Sender ANT1 die Öffentlichkeit, dass vor Kreta und dem Peloponnes seismische Untersuchungen beginnen würden, um die dort vermuteten Erdgasvorkommen zu erfassen. "Unser Land muss – wie ich schon oft gesagt habe – ungeachtet seines Engagements für die Abkehr von fossilen Kraftstoffen prüfen, ob es derzeit die Möglichkeit hat, Erdgas zu fördern, um nicht nur unsere Energiesicherheit, sondern auch die von Europa zu sichern."

Tatsächlich durchkämmte zu diesem Zeitpunkt bereits die Sanco Swift, ein Forschungsschiff mit langen seismischen Sensoren im Schlepptau, die Gewässer am Südzipfel der Halbinsel Peloponnes. Die Sanco Swift ist im Auftrag einer Kooperation von Exxon Mobil und HelleniQ Energy unterwegs. Der Löwenanteil von mehr als zwei Dritteln der vermuteten Gasvorkommen geht an den US-amerikanischen Mineralölkonzern, der mit 75 Prozent am Konsortium beteiligt ist.

Genaue Gasmenge noch nicht klar

Die entscheidende Frage, wie viel Gas unter dem Meer liegt, kann noch nicht genau beantwortet werden. Giannis Basias, früherer CEO der Hellenic Hydrocarbons and Energy Resources Management Company S.A, geht von bis zu 15 Billionen Kubikmeter aus, wie er im staatlichen Radiosender Proto Programma erklärte. Der Verbrauch, der innerhalb der Europäischen Union 2021 ermittelt wurde, betrug 397 Milliarden Kubikmeter.

Basias vermutet aufgrund von Erfahrungswerten, dass in Griechenland mindestens sechs Milliarden Kubikmeter, rund 47,5 Millionen Tonnen LNG, pro Jahr gefördert werden können. Zum Vergleich, beim Deal mit Katar handelte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine Lieferung von zwei Millionen Tonnen LNG über 15 Jahre aus. Die erste Lieferung aus dem Wüstenstaat soll 2026 kommen.

Ab 2027 soll das Gas nach Europa

Das griechische Staatsfernsehen ERT präsentierte einen Tag nach Mitsotakis' Interview den ambitionierten Zeitplan. Die seismischen Untersuchungen sollen bis 2024 abgeschlossen sein. Innerhalb der folgenden zwei Jahre sollen Erkundungsbohrungen die Grundsteine für eine ab 2026 geplante Feldentwicklung legen und schon kurz darauf, ab 2027 will Griechenland Gas fördern und exportieren. Giannis Maniatis, Universitätsprofessor und früherer Energie- und Umweltminister, ist sogar noch optimistischer: Mit einem Fast-Track-Verfahren sei eine Nutzung der Gasvorkommen bereits ab 2025 realistisch.

Über eine Pipeline soll das vor Kreta geförderte Gas nach Ägypten strömen und von dort als LNG nach Europa verschifft werden. Für das Gas vor dem Peloponnes, aber auch einem weiteren Feld vor Ioannina, kann die Trans Adriatic Pipeline nach Italien genutzt werden. Klappt es nicht (mehr) mit der Gasförderung, soll sie grünen Wasserstoff bis nach Bayern transportieren. Markus Söder sprach im Mai bei Mitsotakis vor, um die Pipeline in der aktuellen Krise für LNG-Lieferungen zu nutzen. Der Weg über Italien ist für ihn kürzer als eine Lieferung vom deutschen Terminal in der Nordsee.

Erneuerbare Energien und LNG-Infrastruktur

Griechenland plant mehrgleisig. Das Gas, im griechischen Klimagesetz ausdrücklich als Übergangsbrennstoff eingestuft, wird auf dem heimischen Markt immer weiter zurückgedrängt. Der Gasverbrauch wurde in den ersten zehn Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjahr bereits um zehn Prozent reduziert. 47,1 Prozent der elektrischen Energie stammen aus erneuerbaren Energiequellen, knapp fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Bis 2030 sollen es 80 Prozent sein. Das Ziel, 2050 klimaneutral zu sein, wurde auch angesichts der aktuellen Krise nicht verschoben. Der rasante Ausbau von Wind- und Solarenergie wird als Exportgut beworben. Zertifikate für grünen Strom werden Staaten wie Deutschland angeboten, in denen der Ausbau der Windkraft noch stockt.

Auch beim LNG exportiert Griechenland Know-how nach Deutschland. Die Dynagas des griechischen Schiffs-Tycoons George Prokopiou stellt zwei Schiffe für das schwimmende deutsche LNG-Terminal zur Verfügung. 135 von weltweit 640 LNG-Tankschiffen gehören griechischen Reedern, Tendenz steigend. Die griechischen Reeder hatten bereits ab 2017, als die Krise in der Ukraine sich auf die Krim und die abtrünnigen Gebiete in der Ostukraine beschränkte, die weitere Entwicklung vorausgeahnt und in LNG-Tanker investiert.

Relativ gut vorbereitet war auch die griechische Regierung, die mit Revythousa im Saronischen Golf bei Attika und Alexandroupolis in Nordgriechenland schon vor dem Februar 2022 zwei schwimmende LNG-Terminals bereit hatte, um nicht ausschließlich vom russischen Gas abhängig zu sein. Über den Knotenpunkt Alexandroupolis wird nun auch Bulgarien mit LNG und Erdgas aus Aserbaidschan versorgt, eine Pipeline nach Nordmazedonien ist in Planung. Die Pipeline nach Bulgarien wird via Rumänien bis Ungarn ausgebaut.

Die Erfolgsstory hat für Umweltverbände und Oppositionsparteien einen Beigeschmack. Für den Ausbau der Windkraft wurde ebenso wie für die Gasförderung der Naturschutz aufgeweicht. Am geförderten Erdgas werden die Bürger in Griechenland nichts verdienen.

Verwendete Quellen:

  • Pressemeldung Hellenic Hydrocarbon Resources Management
  • Interviewtranskript von Kyriakos Mitsotakis
  • Redaktionsnetzwerk Deutschland, Katar liefert Erdgas,
  • Athens News Agency, Energiemix Griechenlands Januar – Oktober 2022
  • Handelsblatt, Wie ein griechischer Reeder bei Deutschlands Gasversorgung hilft,
  • Eröffnungsrede von Premierminister Kyriakos Mitsotakis auf dem 22. World LNG Summit in Athen
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