Wer Unfallopfer filmt oder fotografiert, macht sich strafbar. Doch Gaffer zu verfolgen, ist für die Polizei in der Praxis häufig schwierig. Und das aus gleich mehreren Gründen.

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Ein 59-jähriger Lkw-Fahrer kommt bei einem Unfall ums Leben – und danach beginnt für die Rettungskräfte der Kampf mit den Schaulustigen: Gaffer lassen sich nicht wegschicken, verstellen mit ihren Autos den Weg für den Rettungswagen.

Dieser Vorfall hat sich nach Darstellung der Polizei im Januar auf der A8 bei Pforzheim ereignet. Und er ist bei Weitem kein Einzelfall.

Nach Einschätzung vieler Polizisten hat die Zahl der Gaffer in den vergangenen Jahren zugenommen. "Das hat eine Dimension erreicht, in der eigentlich bereits eine Grenze überschritten ist", sagt Ralf Kusterer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Baden-Württemberg, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Belastbare Zahlen zu dem Thema gebe es allerdings nicht, erklärt uns Frank Lasogga, Experte für Notfallpsychologie und Professor an der Technischen Universität Dortmund: "Man fotografiert heute immer – auch das Essen zum Beispiel. Die Möglichkeiten dazu gab es in dieser Form früher nicht."

Das reine Zuschauen ist nach seiner Einschätzung eine normale menschliche Reaktion: "Bei allem, was außergewöhnlich ist, schaut man zunächst einmal hin. Das ist bei uns allen so." Eine Grenze sieht er allerdings überschritten, wenn Rettungskräfte behindert oder Unfallopfer belästigt werden.

Bußgelder und Haftstrafen möglich

Der Bußgeldkatalog sieht Strafen für dieses Verhalten vor: Das reine Gaffen als Ordnungswidrigkeit kann mit einem Bußgeld von bis zu 1.000 Euro geahndet werden. Wer zuschaut, statt Hilfe zu leisten oder Film- oder Fotoaufnahmen von einem Unfall macht, begeht sogar eine Straftat.

Für die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen sieht Paragraf 201a des Strafgesetzbuchs Haftstrafen von bis zu zwei Jahren vor.

Wegen Verstoßes gegen diese Paragrafen sind laut Bundesjustizministerium im Jahr 2017 insgesamt 337 Personen verurteilt worden. Allerdings lasse sich nicht feststellen, wie viele dieser Verurteilungen die Gaffer im Verkehrsbereich betreffen, erklärt ein Sprecher des Ministeriums.

Zu wenig Beamte vor Ort?

Doch funktioniert die Bestrafung in der Realität überhaupt?

"Wir können nur hoffen, dass es den Einsatzkräften im Einzelfall möglich ist, konsequent gegen Gaffer vorzugehen", sagt Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) gegenüber unserer Redaktion.

"Das kann beispielsweise bedeuten, die Identität festzustellen und womöglich eine Anzeige aufzunehmen. Nicht selten sind aber nicht genug Beamtinnen und Beamte vor Ort, um diese polizeilichen Maßnahmen auch durchzuführen."

Auch Ralf Kusterer von der DPolG kritisiert vor dem Hintergrund des Falls auf der A8 in Baden-Württemberg, dass die Polizei personell nicht ausreichend ausgestattet sei, um sich nach einem Unfall um Schaulustige zu kümmern.

Das dortige Landesinnenministerium weist diesen Vorwurf zurück. Allerdings räumt ein Sprecher ein, dass es für Polizisten nach einem schweren Unfall zahlreiche Aufgaben gebe, die zunächst Priorität hätten: Sie müssen sich um die Rettung von Menschenleben kümmern, die Unfallstelle absichern und ermitteln, was geschehen ist.

Technisch schwierig gestaltet sich vor allem die Aufgabe, die Personalien von Gaffern zu ermitteln, die von der Gegenfahrbahn aus filmen oder fotografieren.

Sichtschutzwände und filmende Polizisten

Es gibt inzwischen mehrere Ansätze, um gegen Schaulustige vorzugehen – oder sie zumindest abzuwimmeln. In Baden-Württemberg etwa sind Sichtschutzwände im Einsatz, mit denen die Polizei Unfallstellen abschirmen kann.

In Hessen und Nordrhein-Westfalen stattet die Polizei die ersten Einsatzwagen mit Dashcams aus, mit denen sich zum Beispiel der Gegenverkehr filmen lässt. Die Verkehrspolizei in Mittelfranken schickt immer wieder Beamte zu Unfallstellen, die ihrerseits die filmenden Gaffer filmen.

Polizeigewerkschafter Kusterer würde sich wünschen, dass seine Kollegen dazu öfter personell in der Lage wären. "Wenn das Entdeckungsrisiko hoch ist, schreckt das die Leute ab."

Die Bundesländer haben über den Bundesrat inzwischen vorgeschlagen, härtere Strafen für Gaffer zu ermöglichen. GdP-Chef Malchow hält die Gesetzeslage dagegen für ausreichend: Der Knackpunkt laute eher, dass häufiger nicht genügend Kräfte vor Ort seien, um gegen Gaffer vorzugehen.

Auch Notfallpsychologe Frank Lasogga ist skeptisch, ob härtere Strafen helfen: "Ich würde eher auf Aufklärungsarbeit setzen – etwa indem man dazu aufruft, sich in die Lage eines Unfallopfers zu versetzen."

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Ralf Kusterer, Vorsitzender Deutsche Polizeigewerkschaft Baden-Württemberg
  • Gespräch mit Prof. Dr. Frank Lasogga, Technische Universität Dortmund
  • Pressestelle der Gewerkschaft der Polizei
  • Pressestelle des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg
  • Pressestelle des Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz
  • Bußgeldkatalog 2019: Gaffer und Schaulustige bei einem Unfall
  • dpa
  • MDR.de: Bundesrat will Strafen für Gaffer ausweiten
  • Stern.de: "Polizei geht gegen Gaffer vor – und schlägt sie mit ihren eigenen Waffen"

Schaulustige: Seien Sie kein Gaffer

"Schaulustige", ein von der Sparkasse Osnabrück geförderter Kurzfilm. Er soll eine gesteigerte öffentliche Wahrnehmung für das Thema "Schaulustige bei einem Rettungseinsatz" bewirken und dazu auffordern, kein Gaffer zu werden. © YouTube
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