• Der Landkreis Greiz in Thüringen hat derzeit die höchste Sieben-Tages-Inzidenz in Deutschland.
  • Die Landrätin sieht den Grund in einer erfolgreichen Teststrategie. Das Landesgesundheitsministerium bezweifelt das – und nennt die Entwicklung in Greiz "besorgniserregend".

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Der Landkreis Greiz ist bekannt für malerische Natur, Burgen und Schlösser – in der Corona-Pandemie allerdings auch für unrühmliche Rekorde. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag dort am Dienstag bei 609,9 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Damit ist der Landkreis im Osten Thüringens klarer bundesweiter Spitzenreiter. Und das nicht zum ersten Mal seit Ausbruch der Viruskrise.

Warum ausgerechnet Greiz? Landrätin Martina Schweinsburg (CDU) hat darauf eine klare Antwort: Die Kreisverwaltung teste sehr intensiv. Nach Ausbrüchen in Kindertagesstätten und Schulen hatte man in Greiz entschieden, auch Kontaktpersonen von Infizierten auf das Coronavirus testen zu lassen, die keine Symptome hatten.

"Das führte zwangsläufig dazu, dass unsere Fallzahlen kräftig in die Höhe gingen", teilt die Landrätin auf Anfrage unserer Redaktion mit. Bei etwa einem Drittel der symptomlosen Getesteten stellte sich heraus, dass sie infiziert waren.

Schweinsburg: "Haben Erkenntnisse gewonnen"

Im Landkreis sind Busse unterwegs, in denen Bürgerinnen und Bürger sich kostenlos testen lassen können. "Wir haben zwar den Makel, bundesweiter Inzidenz-Spitzenreiter zu sein", sagt Schweinsburg. "Aber wir haben auch Erkenntnisse gewonnen, wie sich das Virus ausbreitet und dass Kinder selbst kaum erkranken, aber Streuer sind."

Der Landkreis steht nicht zum ersten Mal an der Corona-Spitze. Als sich Bund und Länder im Mai 2020 nach dem Abklingen der ersten Welle auf den Grenzwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner einigten, war der Kreis Greiz kurz danach der erste, der die Grenze riss.

Landrätin Schweinsburg lehnte es aber ab, das öffentliche Leben wieder einzuschränken. Sie erklärte die Zahlen mit lokalen Hotspots in sechs Pflegeeinrichtungen. Auch damals wurden symptomlose Kontaktpersonen getestet, was die Infiziertenzahl ebenfalls habe ansteigen lassen.

Ministerium: "Testen ist keine hinreichende Erklärung"

In der Landeshauptstadt Erfurt sieht man die Lage im Hotspot Greiz kritisch. Es hat sich ein Streit zwischen CDU-Politikerin Schweinsburg und der rot-rot-grünen Landesregierung entwickelt. Die Entwicklungen in Greiz seien "besorgniserregend", teilt das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen auf Anfrage unserer Redaktion mit.

Die Ursache für die hohen Zahlen sieht man dort in der Nähe zum sächsischen Vogtlandkreis und zu Tschechien. Dort waren die Infektionszahlen in den vergangenen Wochen besonders hoch – auch wegen eines hohen Anteils von Virus-Mutationen. "Insofern ist das Testen allein keine hinreichende Erklärung für die hohen Fallzahlen im Landkreis Greiz", teilt Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) mit. Ihr Ministerium weist zudem darauf hin, dass auch in anderen Landkreisen viel getestet wird – dort seien die Zahlen aber weniger hoch.

In der Tat steigen die Infektionszahlen zwar zum Beispiel auch in den Modellregionen Rostock und Tübingen, wo eine hohe Zahl von Tests mehr Alltagsleben ermöglichen soll. Trotzdem sind die Zahlen dort immer noch deutlich niedriger als im Landkreis Greiz.

Neben den Virus-Mutationen nennt das Thüringer Gesundheitsministerium eine immer noch hohe Mobilität im Osten Thüringens als Grund für die hohen Zahlen. "Wir wissen aber auch aus dem Erfahrungsaustausch, dass nach wie vor private Feiern stattfinden und ein gleichbleibender Teil der Menschen sich nicht an die notwendigen Schutzmaßnahmen hält", teilt das Ministerium mit. Umso wichtiger sei es, konsequent und flächendeckend Maßnahmen zu ergreifen.

Landrätin hält Lockdown für "nicht hilfreich"

Man habe dem Landkreis "angeboten, zusätzliche Beratungsleistungen des Robert-Koch-Instituts in Anspruch zu nehmen", heißt es aus dem Gesundheitsministerium.

Zudem will die Landesregierung schnell gegen die Ausbreitung animpfen. Schon Mitte März öffnete das Gesundheitsministerium im Landkreis Greiz die Schutzimpfungen für die dritte Prioritätengruppe: Dort können auch Über-60-Jährige, Verkäuferinnen und Verkäufer oder chronisch Kranke geimpft werden. Landrätin Schweinsburg fordert noch einen Schritt mehr, nämlich die Impffreigabe für alle Personen ab 18 Jahren.

"Für mich steht fest, dass wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben", sagt Schweinsburg. "Ein sich ständig wiederholender Lockdown hat sich offenbar nicht als hilfreich erwiesen."

Um Kontaktbeschränkungen kommt aber auch ihr Landkreis nicht herum: Schulen und Kitas sind derzeit bis auf die Notbetreuung geschlossen. Zudem gilt eine Ausgangsbeschränkung – der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur aus triftigem Grund erlaubt. Schweinsburg musste zu diesem Schritt allerdings vom Thüringer Gesundheitsministerium gedrängt werden.

Verwendete Quellen:

  • Anfrage an die Kreisverwaltung Greiz, Büro der Landrätin
  • Anfrage an die Pressestelle des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie
  • Radioeins.de: Kreisstadt Greiz: Schnellteststrategien im Corona-Hotspot
  • Robert-Koch-Institut, Corona-Dashboard
  • Tagesschau.de: Greiz und die Obergrenze – Lockerungen statt Quarantäne im Hotspot
  • Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie: Gesundheitsministerium öffnet für den Landkreis Greiz die Impfpriorität 3

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