Im weltweiten Ausnahmezustand vertrauen viele Menschen Wissenschaftlern und kompetenten Politikern. Populisten haben in dieser Situation einen schweren Stand.

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Parteien wie die AfD in Deutschland freuen sich derzeit über geschlossene Grenzen. Trotzdem sind mit der Corona-Krise schwierige Zeiten für rechte Populisten angebrochen, die sonst gegen "Altparteien" und Wissenschaftler wettern.

Lars Rensmann, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Groningen, erklärt im Interview mit unserer Redaktion, warum Populisten für ihre Ideen gerade wenig Gehör finden – und warum die Europäische Union auch in dieser Krise gebraucht wird.

Herr Rensmann, ist die Corona-Krise auch eine Krise des Populismus?

Lars Rensmann: Im Allgemeinen schon. Erstens stehen typische Themen von Populisten wie Migration oder Regierungskritik derzeit nicht auf der Tagesordnung. Bis auf den harten Kern ihrer Unterstützer interessieren sich die Wähler gerade für etwas ganz anderes.

Zweitens erscheinen vielen Menschen vereinfachende populistische Antworten gerade nicht zeitgemäß. In der Krise neigen viele trotz "fake news" eher dazu, Fachleuten zu vertrauen. Aber man muss da zwischen einzelnen Ländern unterscheiden.

Inwiefern?

Es hängt viel davon ab, wie effizient und transparent Regierungen in der Krise handeln und wie sie ihr Handeln kommunizieren. Und ob Regierungen nun bereit sind, wieder verstärkt in Gesundheit, öffentliche Institutionen und soziale Absicherung zu investieren.

Populisten haben es schwer gegen wissenschaftliche Expertise und Transparenz

Dort, wo Regierungen nachlässig handeln und auf die Coronavirus-Krise ratlos reagieren, beschädigen sie ihre Legitimität. So etwas können Populisten ausnutzen. Wenn demokratische Regierungen aber transparent handeln und mit wissenschaftlicher Expertise mit solch einer Krise umgehen, haben Populisten es schwer.

Gibt es Regierungen, die da derzeit weniger erfolgreich agieren als andere?

In den Niederlanden etwa hat die Regierung sehr langsam reagiert – ähnlich wie die populistisch gefärbten Regierungen in Großbritannien und den USA. Sie hat lange den Mythos der schnell herzustellenden Herdenimmunität gepflegt – in dem Fall haben die oppositionellen Populisten sich dann auf die Seite der Wissenschaft gestellt und durchaus vernünftige entschiedenere Maßnahmen gefordert.

In Großbritannien dagegen hat Boris Johnson die Konservativen längst zu einer populistischen Partei gemacht und ebenfalls sehr zögerlich auf das Coronavirus reagiert. Er hat Skepsis gegenüber der Wissenschaft geäußert und schwankte zwischen unterschiedlichsten Einschätzungen der Lage.

Das hat ihn Unterstützung in der Bevölkerung gekostet. Und jetzt sind er und sein Gesundheitsminister Matt Hancock auch noch selbst infiziert.

Donald Trump gewinnt an Zustimmung

Könnte auch Donald Trump in den USA in politische Schwierigkeiten geraten? Der hat sich erst spät zu einem entschlossenen Kurs durchgerungen.

Trump ist bisher eher die Ausnahme. Er hat das Problem zwar erst zwei Monate lang verschlafen und behauptet, die Fallzahlen gingen zurück. Dadurch konnte sich der Virus in den USA fast ungehindert ausbreiten. Trotzdem gewinnt er gerade an Zustimmung.

Wie bei anderen Präsidenten in Krisenzeiten vor ihm, denken viele Amerikaner, dass er gut regiert – obwohl es dafür bei seinem Schlingerkurs und seiner wenig überzeugenden Kommunikation kaum Anhaltspunkte gibt. Allerdings ist das nur eine Momentaufnahme und man muss sehen, was passiert, wenn immer mehr Amerikaner sterben.

Schlägt jetzt die Stunde der so häufig gescholtenen Eliten – also der vermeintlichen Altparteien und der Experten?

Ich denke schon. Gesellschaftliche Krisen können zwar – das zeigt die Geschichte – auch zu Demokratiekrisen werden. Aber eine solche Krise ist auch eine gute Gelegenheit für demokratische Regierungen und Eliten, Handlungsfähigkeit zu beweisen und transparent zu kommunizieren.

Wenn das gelingt, haben Populisten einen schweren Stand. Vielerorts versuchen sie, die Corona-Krise herunterzuspielen oder gar als Verschwörung der "Elite" darzustellen. Das kommt aber bisher nur bei wenigen gut an.

Die europäischen Bevölkerungen erwarten jetzt zumeist konkrete Kompetenz basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das können Populisten, die sich vielfach als Experten- und Wissenschaftsskeptiker hervorgetan haben, schwieriger liefern.

Allerdings greifen auch nichtpopulistische Politiker zu einer brachialen Rhetorik. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sagt zum Beispiel, man befinde sich "im Krieg" mit dem Virus. Nähert er sich damit nicht den Populisten an?

Man kann sich sicher darüber streiten, inwieweit so eine Kriegsrhetorik derzeit angemessen und hilfreich ist. Populismus baut in der Tat immer auf einem Freund-Feind-Denken auf. In diesem Fall aber ist der Feind das Coronavirus und nicht wie bei Populisten die angeblich abgehobene Elite.

Ich würde daher sagen, dass sich die meisten nicht-populistischen Regierungen nicht in die Richtung des Populismus bewegen, sondern sich verstärkt auf sachbezogene Politik und Lösungen besinnen und zeigen, dass demokratische Staaten in der Krise handlungsfähig sind. Ich sehe vielmehr die Populisten unter dem Druck, sich nun ebenfalls an Wissenschaft und Sachverstand zu orientieren, wollen sie nicht noch mehr an Zuspruch verlieren.

Coronavirus muss auf europäischer oder globaler Ebene bekämpft werden

Allerdings versuchen Staaten, das Problem innerhalb ihrer Grenzen zu lösen. In Europa sind viele Grenzen geschlossen. Damit können sich Populisten und Nationalisten doch bestätigt fühlen.

Das ist in der Tat der einzige Punkt, aus dem Populisten für den Moment Kapital schlagen können. Natürlich blickt jetzt jede Regierung zunächst auf die eigene Bevölkerung. Wir haben innerhalb der Europäischen Union unterschiedliche Haushaltsnormen, unterschiedliche Sozialversicherungssysteme, wir haben keine gemeinsame Gesundheitsversorgung.

Aber das war immer schon so, die Nationalstaaten sind nicht verschwunden – deswegen finde ich diese Reaktionen nicht besonders verwunderlich. Ich glaube aber, dass wir verspätet mehr europäische Zusammenarbeit sehen werden. Wenn jetzt finanzielle Hilfen organisiert und verteilt werden, kann das noch eine Stunde der europäischen Solidarität werden.

Also werden die einzelnen Staaten diese Krise nicht allein lösen?

Ich glaube, dass vielen Menschen klar wird, dass man ein globales Virus nur auf europäischer oder sogar auf globaler Ebene bekämpfen kann. Auch wenn sie zeitweise ihre Grenzen schließen, werden Staaten diese weltweite Herausforderung nicht allein lösen können.

Wir wollen alle einen Impfstoff oder Medikamente, die möglichst schnell für viele Menschen zugänglich sind. Das geht nur mit internationalem Austausch.

Der Politikwissenschaftler Lars Rensmann hat an der Freien Universität Berlin promoviert und danach unter anderem in den USA und Italien gearbeitet. Seit 2016 ist er Professor für Europäische Politik und Gesellschaft an der Rijksuniversiteit im niederländischen Groningen.
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