• Die Redner auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen sind immer häufiger Minderjährige.
  • Aber auch auf andere Weise werden Kinder und Jugendliche von den Organisatoren, etwa von "Querdenken", in den Vordergrund gerückt.
  • Pädagogen und Psychologen finden das besorgniserregend.

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Auf den Demonstrationen der sogenannten Querdenker finden sich in den vergangenen Wochen vermehrt auch minderjährige Redner, bis hin zu Kindern. Viel berichtet wurde etwa übe rein elf Jahre altes Mädchen, das die Stimmung auf seiner Geburtstagsfeier mit der Angst einer Anne Frank vor der Entdeckung durch die Gestapo verglich.

Aber auch ältere Jugendliche sind unter den Rednern zu finden. Sie teilen bei Veranstaltungen mit hunderten Menschen ihre Erfahrungen, die sie im Kontakt mit Menschen machen, die das Coronavirus ernst nehmen und die Maßnahmen zu seiner Bekämpfung gutheißen.

"Wenn doch irgendwie eine Diskussion zustande kommt, wird immer angeführt, dass der Diskussionspartner jemanden kennt, der Corona hatte und mit dem Tod kämpfte. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass sie alle ein- und dieselbe Person kennen", sagte zum Beispiel eine 17-Jährige in Karlsruhe, wie der BR berichtete.

Die jugendliche Weltsicht ist oft besonders klar - zumindest vermeintlich

Für die Medienpädagogin Maya Götz ist es keine große Überraschung, dass nun auch vermehrt Jugendliche aktiv an solchen Veranstaltungen teilnehmen. "Für die meisten Jugendlichen passt dieses Engagement in diese adoleszente Zeit der Jugend, in der man die Welt gleichzeitig sehr klar, aber auch sehr radikal sieht. Sie bekommen ein Gefühl von 'Ich bewirke etwas', sind voller Begeisterung und Impetus." Zudem bringe so ein Auftritt auf der Bühne viel Selbstbewusstsein.

Was den Inhalt der Reden angeht, glaubt Maya Götz, dass die Jugendlichen beim Schreiben zumindest gecoacht würden. Der stets ähnliche dramaturgische Aufbau und gewisse Stilmittel, wie starke Wörter am Ende einer Rede, sprächen dafür, sagte Götz im Gespräch mit unserer Redaktion.

Ein spezieller Telegram-Kanal für Minderjährige

Diese These wird auch durch Recherchen des Magazins "Report Mainz" des Südwestrundfunks gestützt. Die Journalisten taten sich in einer Telegram-Gruppe des "Querdenkers" Samuel Eckert um. Sie hat mehr als 270 Mitglieder und ist laut "Report Mainz" nur für 10- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche zugänglich - wobei unter 14-Jährige das Einverständnis ihrer Eltern einholen müssen, um dabei sein zu dürfen.

Laut der Recherchen wurden in dieser Gruppe Kinder und Jugendliche dazu aufgerufen, bei Anti-Corona-Demonstrationen Reden zu halten, wobei diese aber vorher der Administratorin oder einem der Moderatoren der Gruppe vorgelegt werden müssten. Eckert wurde von den Journalisten befragt und rechtfertigt den Kanal damit, dass Minderjährige auch das Recht haben sollten, über ein Ereignis kritisch zu diskutieren. Eine Instrumentalisierung von Kindern und Jugendlichen durch diese Reden oder andere Aktionen sieht er nicht.

Kinder als Schutzschild? "Querdenker" vor Schulen?

Allerdings gab es im November zahlreiche Berichte, in denen "Querdenker" und Minderjährige eine Rolle spielten: Zum einen gab es die vermeintliche Ankündigung von "Querdenken", Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern auf dem Schulweg ansprechen und über die angeblichen Gefahren eines Mund-Nasen-Schutzes unterrichten zu wollen - was von "Querdenken" im Nachhinein als absichtlich lancierte Falschmeldung bezeichnet wurde, wie der WDR berichtete.

Zum anderen erzählte ein Polizist, er habe bei den "Querdenken"-Demonstrationen den starken Eindruck, Kinder würden gezielt dazu eingesetzt, die Polizeiarbeit zu stören. "Wenn die Aufrufe, die ich im Netz gelesen habe, keine Fake News sind, wurden bewusst Kinder mitgenommen, um den Polizeieinsatz zu erschweren", sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, dem Deutschlandfunk.

Es seien da Aufrufe gelaufen wie: Dort wo die roten Herzen als Luftballons sind, sind Kinder, und dort werden die Wasserwerfer nicht eingesetzt werden. "Sie merken also, dass hier auch bewusst mit dem Kindeswohl eine Provokation der Sicherheitskräfte einhergeht", sagte Radek.

Einfluss der Eltern, mäßige Medienkompetenz

Die Psychologin Elisabeth Raffauf sieht all das durchaus als eine Art Missbrauch. "Die Eltern benutzen ihre Kinder für ihre Zwecke; die wollen was ganz Bestimmtes durchdrücken und benutzen die Kinder dafür", sagte Raffauf dem Westdeutschen Rundfunk. Sie mache sich "richtig Sorgen um diese Kinder", die "mit Falschinformationen ihrer Eltern, also ihrer eigentlich größten Vertrauenspersonen, gefüttert werden".

Bei Jugendlichen liegt die Sache etwas anders. Je nach Alter sind sie dem, was ihre Eltern sagen, nicht ganz so hilflos ausgeliefert. "Ein Stück weit sind diese Jugendlichen schon für sich selbst verantwortlich", sagt Maya Götz.

Bevor sie auf eine Bühne gehen, hätten sie ja bereits diverse Kämpfe ausgetragen und einiges an Konfrontation ausgehalten. Sie müssen also durchaus wissen, dass die Mehrheitsmeinung eine andere ist als die, die sie oder ihre Eltern vertreten.

Dass über solche Auftritte berichtet wird, findet die Medienpädagogin folglich richtig - auch wenn es sich um Minderjährige handelt. "Schließlich ist es wichtig, dass dieses Problem wahrgenommen wird, damit man präventiv dagegen tätig werden kann", sagt Götz.

Verschwörungstheorien im Unterricht

Prävention heißt hier vor allem: die Medienkompetenz zu fördern. Denn in Studien zeigt sich immer wieder, dass vor allem 13- bis 16-Jährige zwar häufig glauben, Fake News und Werbung im Internet zuverlässig zu erkennen, es in Wirklichkeit aber nicht tun.

Maya Götz ist deswegen dafür, solche Themen im Schulunterricht mehr zu besprechen: „Man könnte zum Beispiel erarbeiten: Wie werden Menschen zu Corona-Leugnern? Warum können diese Gruppen große Busse für ihre Veranstaltungen anmieten? Wer gibt ihnen das Geld dafür?“

Im Geschichtsunterricht könnten zudem Verschwörungstheorien besprochen werden - und welche schlimmen Auswirkungen manche von ihnen hatten. Am wichtigsten aber ist aus ihrer Sicht, dass Kinder und Jugendliche lernen, wie sie sich glaubwürdige Informationen beschaffen können.

Denn wenn Kinder oder Jugendliche irgendwann herausfinden, dass bestimmte Dinge, die ihnen als Fakten vermittelt wurden, doch unwahr sind, kann das eine große Verletzung zur Folge haben. "Es ist die Verletzung zu erkennen, dass man benutzt wurde", sagt Götz.

Hinzu komme die große Scham, all das vor einem so großen Publikum, auch im Internet, gesagt zu haben - und möglicherweise Schuldgefühle, wenn durch das Verweigern von Masken und anderen Hygienemaßnahmen womöglich doch jemand gesundheitlich zu Schaden gekommen ist.

Verwendete Quellen:

  • Telefoninterview mit Dr. Maya Götz, Medienwissenschaftlterin und Medienpädagogin sowie Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen IZI und des Prix Jeunesse International
  • Deutschlandfunk: Interview mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek
  • WDR 5 Morgenecho: Interview mit der Kölner Psychologin Elisabeth Raffauf
  • SWR: Wie Kinder und Jugendliche von Corona-Leugnern instrumentalisiert werden
  • Studie von Sophie Menner und Michael Harnischmacher (Universität Passau): Ich sehe was, was Du nicht siehst, und das ist fake. Die Herausforderung der kritischen Beurteilung von Onlinequellen durch Kinder und Jugendliche
  • WDR: Wie "Querdenken" mit eigenen Fakenews Medienschelte betreibt
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