In einem heftig diskutierten Artikel der "Bild" vom Montag wurden die Ergebnisse einer Studie von Professor Christian Drosten und seinem Team als "grob falsch" bezeichnet. Im NDR-Podcast "Coronavirus Update" bezieht der Virologe dazu ausführlich Stellung. Außerdem: Drosten hält ein Modell ohne größere Beschränkungen - wie in Thüringen angedacht – unter Umständen für durchführbar.

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Seit Monaten steht Professor Christian Drosten extrem im Fokus der Öffentlichkeit.

Als einer der weltweit führenden Experten für SARS-Viren ist er ein gefragter Gesprächspartner. Der Virologe wird fast täglich von verschieden Medien interviewt und in unzähligen Texten und Beiträgen thematisiert. In der Coronakrise trat Drosten zunächst auch als Berater der Politik auf.

Dadurch gewann Drosten schnell an Popularität, was ihm von Anfang an aber ein wenig unangenehm zu sein schien - auch, weil er von den Gegnern der verhängten Maßnahmen teilweise für diese verantwortlich gemacht wurde.

Mit seiner Darstellung in den Medien war Drosten ebenfalls nicht immer glücklich. Mehrfach fühlte er sich falsch zitiert, oder er sah seine Ausführungen verkürzt dargestellt. Vorläufiger Höhepunkt war nun am Montag ein öffentlicher Schlagabtausch mit der "Bild". Drosten warf der Zeitung via Twitter "tendenziöse Berichterstattung" vor.

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Vergleich mit einem Gartenhäuschen

Die "Bild" hatte Drosten ihrerseits in einem am Montag veröffentlichten Text "fragwürdige Methoden" vorgeworfen und die Ergebnisse einer Studie über die Ansteckungsgefahr bei Kindern als "grob falsch" bezeichnet. Am Dienstag nutzte Drosten nun den NDR-Podcast "Coronavirus Update", der seit Beginn der Coronakrise sein Sprachrohr ist, um sich in ruhigerer Atmosphäre nochmals ausführlich zu der Thematik zu äußern.

"Ins Alltagsleben übersetzt, ist das vielleicht so, wie wenn man sich in seiner Freizeit ein Gartenhäuschen hochmauert. Dann kommt vielleicht ein Maurermeister und sagt: 'Sie hätten eine bessere Kelle verwenden können, dann wären die Fugen schöner geworden'", führte der entspannt wirkende Drosten aus.

"Dann ist das bis dahin völlig berechtigt. Wenn aber dann von außen jemand angelaufen kommt und sagt: Das ist überhaupt kein Haus, weil der Maurermeister sich darüber beschwert hat, dann sind wir vielleicht ein bisschen dort, was da gerade in der Öffentlichkeit passiert", sagte der Viren-Experte mit Blick auf den heftig diskutierten "Bild"-Artikel, ohne die Zeitung beim Namen zu nennen.

Drosten hat Verständnis für die wissenschaftliche Kritik

Zurück in den wissenschaftlichen Kontext übertragen bedeutet dies, dass Drosten absolut Verständnis für die Kritik hat, die andere Wissenschaftler vorbringen, und dass er diese sogar begrüßt. Die Art und Weise, wie deren Zitate und Reaktionen auf die Vorveröffentlichung der Studien zitiert wurden, passen jedoch weder Drosten noch seinen zitierten Kollegen.

"Man kann sich jetzt natürlich aus Twitter und Pre-Prints zusammenbauen, was man daraus zitieren will. Aber damit hat man nicht verstanden, was diese Wissenschaftler an unserer Studie kritisieren", erläuterte der Leiter des Institutes für Virologie an der Berliner Charité.

In der Studie, in der es um die Verteilung von Viruslasten in verschiedenen Altersstufen ging, hatte das Team um Drosten nach eigener Auskunft recht grobe statistische Methoden angewendet, um sich zunächst einen ersten Überblick über die ungefilterten, erhobenen Daten zu verschaffen und dann zu entscheiden, ob sich eine weitere Fortsetzung der Untersuchungen lohnt.

Statistiker hatten nun mit diesen groben Daten feinere Berechnungen angestellt und waren dabei teilweise zu anderen Ergebnissen als in der Drosten-Studie gekommen. Diese Ergebnisse wurden bei Twitter und in Vorveröffentlichungen publiziert und in dem "Bild"-Artikel zitiert.

Die zitierten Wissenschaftler distanzieren sich

"Alle vier Wissenschaftler haben sich mittlerweile sehr deutlich von der gesamten Berichterstattung distanziert, weil das inhaltlich so überhaupt nicht das ist, was sie gesagt haben", sagte Drosten. Deren Berechnungen seien zwar richtig, spielten aber für die medizinische Beurteilung keine große Rolle. "Wir bewegen uns hier im Prinzip auf einem Nebenschauplatz", sagte Drosten.

Dies alles sei "ein normaler, wissenschaftlicher Prozess, den vielleicht manche Medien so nicht verstehen oder nicht übertragen können, in eine verkürzte Berichterstattung. Dann kommen manchmal solche Dinge dabei raus", schloss der Virologe das Thema ab und widmete sich wieder seinem Spezialgebiet, dem Virus SARS-CoV-2 und dessen Verbreitung.

Drosten hält das Thüringen-Modell für umsetzbar

Und dabei hatte er durchaus gute Neuigkeiten. Denn die Wissenschaftler wissen immer mehr über das Virus und die Ansteckungswege. "Wenn man sich klar macht, dass vielleicht so 20 Prozent von den Infizierten in der Bevölkerung 80 Prozent der Sekundärfälle infizieren, muss man vor allem in diesem Bereich intervenieren", erzählte Drosten.

Superspreader-Ereignisse, wie zuletzt beispielsweise in der Baptistenkirche in Frankfurt, müssen verhindert werden. Wenn man hierbei konsequent vorgehe, "dann könnte man über solche Maßnahmen tatsächlich das Gesamtschicksal der Epidemie unter der Bevölkerung unter Kontrolle bringen", vermutete Drosten.

Selbst ein Modell wie das in Thüringen angedachte, fast ohne Beschränkungen, hält der Virologe in den nächsten Monaten durchaus für umsetzbar, wenn die neuesten Erkenntnisse konsequent umgesetzt würden. "Und das ist vielleicht das Allerwichtigste, was wir hier heute besprechen", sagte er.

Professor Dr. Christian Drosten ist Leiter des Instituts für Virologie an der Berliner Charité und einer der führenden Virus-Forscher Deutschlands. Der 48-Jährige gilt als Mitentdecker des SARS-Virus. Unmittelbar nach dem Ausbruch SARS-Pandemie 2003 entwickelte er einen Test auf das neu entdeckte Virus, wofür er 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. In der aktuellen Corona-Krise ist der gebürtige Emsländer ein gefragter Gesprächspartner, im "Coronavirus Update" gibt er zweimal die Woche Auskunft zur aktuellen Lage.
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