Im aktuellen Lockdown zur Eindämmung der Cornona-Pandemie könnte es Familien deutlich entlasten, wenn Kitas und Schulen wieder geöffnet würden. Virologe Christian Drosten diskutiert in der neuesten Ausgabe des NDR-Podcasts "Coronavirus-Update", welche Möglichkeiten es dafür gibt, Kinder unterschiedlicher Altersstufen wieder in Gruppen zu betreuen und zu unterrichten, ohne den Verlauf der Pandemie deutlich zu verschlechtern.

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Kurzarbeit, Schulschließungen, Verschiebung notwendiger medizinischer Eingriffe: Dass die aktuelle Situation nicht allzu lange aufrechterhalten werden kann, ist offensichtlich. Doch welche Maßnahmen können zeitnah aufgehoben werden, welche Regeln kann man vielleicht kreativ umgestalten, um auch die negativen Folgen des Corona-Lockdowns zu begrenzen?

Coronakrise: Kapazitäten in Krankenhäusern freigeben

Christian Drosten geht in der aktuellen Folge seines NDR-Podcasts zunächst auf die Situation in deutschen Krankenhäusern ein. Um die Kapazitäten für die Behandlung von Covid-Patienten freizuhalten, werden zum Teil auch wichtige Behandlungen anderer Erkrankungen und Vorsorgemaßnahmen – teils von den Einrichtungen, teils von den Patienten selbst – aufgeschoben.

Gleichzeitig sind in Deutschland viele Intensivbetten momentan leer. Angesichts dessen könnte man laut Drosten darüber nachdenken, Kapazitäten für andere Behandlungen als die mit Covid-19 verbundenen freizugeben. "Man muss aber sicherstellen, dass man auch wieder in die andere Richtung gehen kann, wenn sich die epidemiologischen Kenngrößen wieder verändern", betont er.

Christian Drosten: Rolle von Kindern in der Pandemie

Ein anderer Bereich, der für die Bevölkerung aktuell besonders wichtig ist, ist die Frage, wie schnell Kinder wieder zurück in die Kitas und Schulen können. Momentan sei die wissenschaftliche Faktenlage jedoch sehr dünn, um das zu beantworten.

Nach der aktuellen Studienlage seien bei der Ansteckung von Kindern keine Besonderheiten zu erkennen. Vermutlich würden sie sich auf ähnliche Weise wie Erwachsene infizieren. Ob sie die Krankheit aber genauso weitergeben wie Erwachsene, sei schwieriger zu beantworten.

Wenn man bei der verfügbaren Datenlage betrachtet, welche Mitglieder das Virus in einen Haushalt einbringen, seien das vor allem junge Erwachsene im Alter von 30 bis 45 Jahren. Analysen von Übertragungsketten zeigten, dass Kinder am Ende der Infektionskette stünden. Auch eine Studie des Nationalen Instituts für Gesundheit in den Niederlanden würde zeigen, dass relativ wenige Kinder zu den Abgebenden der Infektion gehörten.

Laut Drosten sind jedoch nicht ausreichend Daten vorhanden, um diese Beobachtungen belastbar zu bestätigen. Durch die aktuellen Kontaktbeschränkungen ist es auch nicht möglich, epidemiologische Studien durchzuführen. Es lässt sich nicht feststellen, wie schnell Kinder das Virus untereinander weitergeben, wenn diese gar nicht in Gruppen zusammenkommen.

Wie ansteckend sind Kinder?

Drostens Institut an der Berliner Charité gehe daher einem anderen Ansatz nach und ermittle die Viruskonzentration im Rachen von Kindern. Die Hypothese wäre, dass Kinder weniger infektiös sind, je geringer die Viruskonzentration ist. Der Virologe räumt jedoch ein, dass auch für diese Untersuchung die Datenlage nicht üppig ist.

Andere Faktoren bleiben bei der ausschließlichen Betrachtung der Viruskonzentration im Rachen außen vor. Wie Drosten erklärt, haben kleine Kinder auch ein relativ kleines Lungenvolumen. Beim Atmen, Husten oder Schreien geben sie deshalb weniger Viren ab. Außerdem verläuft Covid-19 bei Kindern häufig symptomlos. Wenn sie nicht husten, geben sie ebenfalls weniger Viren ab.

Welche Rolle spielt das Alter von Kindern?

Während ältere Schuljahrgänge aus medizinischer Sicht wie Erwachsene betrachtet werden könnten, sei eine Abschätzung der Lage bei kleineren Kindern schwieriger. Es gäbe bislang kaum Informationen. "Wir wissen natürlich ganz klar, man kann Kleinkindern jetzt nicht sagen, ihr müsst eine Maske tragen und 1,5 Meter Abstand voneinander halten."

Um entscheiden zu können, ob Kitas geöffnet werden, müsste man feststellen, wie hoch die Viruskonzentration ist, die ein infiziertes Kind tatsächlich an die Umwelt abgibt. "Wenn sie so viel Virus wie ein Erwachsener von sich geben, dann muss man einfach sagen, Erwachsenen würde man das nicht erlauben, was die Kinder da machen in der Kita – so nah beieinander zu sein für Stunden", betont Drosten.

Bei Grundschulkindern bewertet Drosten die Situation wieder anders, da diese schon in der Lage sind, Regeln zu verstehen. Mögliche Maßnahmen im Schulbetrieb wären, dass Pausen ausschließlich draußen und zeitversetzt stattfinden, so dass nur ein Teil der Schülerschaft gleichzeitig auf dem Schulhof ist.

Spielplätze zu öffnen, wäre gute Maßnahme

Überhaupt sei es sinnvoll, so viel Aktivität wie möglich nach draußen zu verlagern. Nach dem aktuellen Kenntnisstand gäbe es einen gewissen Anteil an Aerosol-Übertragung, also der Ansteckung über die Atemluft. Das käme dort vor, wo sich viele Menschen in einem geschlossenen Raum ansammeln. Infizierte gäben das Aerosol ab und es könnte längere Zeit in der Luft stehen bleiben, wenn diese sich nicht bewege.

"Deswegen ist es eben so gut, diesen Sommereffekt zu nutzen, draußen sein zu können. Denn diese ganze Aerosolkomponente, die wird dann sozusagen weggeblasen oder herausverdünnt." Deshalb gibt es laut Drosten "eine Maßnahme, bei der man am ehesten ein gutes Gewissen haben kann, und das ist, die Spielplätze wieder zu öffnen".

Draußen würden kleinere Kindergruppen zusammenkommen und sie spielten dort relativ weit voneinander entfernt. Außerdem gäbe es ausreichend Luftbewegung. Die Bedingungen seien deshalb besser als in geschlossenen Räumen in der Kita.

Risiko durch Mundschutz

Bei Schulkindern besteht die Gefahr, dass sie unbekümmert mit einem Mundschutz umgehen – dass sie diesen häufig anfassen, auf- und absetzen oder damit spielen. Vom Bauchgefühl her sei viel draußen sein und Abstand halten sinnvoller als das Verhindern einer Tröpfcheninfektion mit Masken.

Eine bessere Maßnahme als Mund und Nase zu bedecken, sei es, die Klassenzimmer gut zu lüften "mit einem offenen Fenster und einem Ventilator in dem Fenster, der die Luft nach außen bläst und die Tür der Schulklasse ist offen, so dass im Prinzip ständig ein leichter Luftzug ist in der Klasse."

Immunität nach überstandener Infektion?

Darauf angesprochen, dass es Zweifel daran gibt, ob ein Mensch nach einer überstandenen Infektion tatsächlich immun gegen Covid-19 ist, sagt Drosten: "Ich gehe weiter vollkommen davon aus, dass es eine Immunität gibt. Die mag nach zwei Jahren oder so – vielleicht noch etwas länger, dann mag die nachlassen." Doch ein positiver Antikörpertest sei in der Konsequenz schon so zu bewerten, dass ein gewisser Schutz besteht.

Das bedeute zwar nicht, dass man nie wieder infiziert werden könne. Aber mögliche Infektionen nach längerer Zeit würden oft milder verlaufen und man sei weniger infektiös für andere.

Die Tatsache, dass die WHO davon abrät, Menschen einen Immunitätsausweis auszustellen, wenn diese über Antikörper verfügen, hat laut Drosten vermutlich einen anderen Hintergrund. Es könnte darum gehen, denkbare negative soziale Folgen zu verhindern. "Das kann ja so weit gehen, dass ich eine Stelle ausschreibe als Arbeitgeber und ich lasse mir den Immunitätsausweis zeigen und ich stelle nur Leute ein auf diese Stelle, die schon immun sind", erklärt er.

Kommunikation über Wirkstoffentwicklung problematisch

Wie viele andere Einrichtungen arbeitet auch Drostens Institut an Medikamenten zur Behandlung von Covid-19. Beispielsweise werde momentan untersucht, ob das bereits seit langer Zeit existierende Bandwurmmittel Niclosamid das Virus hemmen kann.

Dadurch, dass dieses Medikament bereits zugelassen ist, kann man viele Schritte bei der Entwicklung von Wirkstoffen überspringen und direkt an Menschen testen, ob es gegen Covid-19 wirksam ist. Doch Drosten betont, dass er über die frühen Stufen solcher Untersuchungen ungern Auskunft gibt.

Eine zu frühe Berichterstattung könne etwa dazu führen, dass falsche Hoffnungen erweckt werden, noch bevor feststeht, ob die Substanz überhaupt etwas bringt. Außerdem müssten die bestehenden Lagerbestände geschützt werden, damit die weitere Erforschung überhaupt möglich bleibt. "Wir müssen aufpassen, dass Studien diese Lagerbestände benutzen können und nicht irgendwer sich das irgendwie in der Apotheke bestellt und sich ins Nachtschränkchen legt", so Drosten.

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Drohungen gegen Drosten

Drosten hatte kürzlich geäußert, dass er viel Kritik ausgesetzt ist und sogar Morddrohungen erhalten habe. Zum Abschluss des Podcasts geht er auf die Frage ein, warum er seine Arbeit trotzdem weiterführen will.

Deutschland habe ganz viel dadurch gewonnen, dass mit Hilfe der Diagnostik sehr früh eine Lageeinschätzung möglich war und entsprechende Maßnahmen eingeleitet wurden. "Ich finde es so schlimm und so schade, dass nicht verstanden wird, dass wir etwas verhindert haben, was uns sonst garantiert genauso heimgesucht hätte wie andere Länder auch", sagt Drosten.

Weltweit schauten viele Länder mit Wertschätzung und Lernbereitschaft nach Südkorea und Deutschland. "Und ich sehe es nicht ein, dass wir das jetzt über Bord schmeißen. Das ist der Grund, warum ich weitermache", so Drosten.

Professor Dr. Christian Drosten ist Leiter des Instituts für Virologie an der Berliner Charité und einer der führenden Virus-Forscher Deutschlands. Der 48-Jährige gilt als Mitentdecker des SARS-Virus. Unmittelbar nach dem Ausbruch SARS-Pandemie 2003 entwickelte er einen Test auf das neu entdeckte Virus, wofür er 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. In der aktuellen Coronakrise ist der gebürtige Emsländer ein gefragter Gesprächspartner, täglich gibt er Auskunft zur aktuellen Lage.
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