Schon die Begriffe schrecken ab: Vorsorgevollmacht. Patientenverfügung. Wer beschäftigt sich schon gerne mit seiner eigenen Unselbstständigkeit? Doch das, was ohne Vorsorge passieren kann, entwickelt sich mitunter zum Alptraum.

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Plötzlich war Johann Walther* nicht mehr da. Seine Tochter Christine Bender* stand vor seinem leeren Bett, als sie vom Einkaufen nach Hause kam. Ohne ihr Wissen war ihr Vater von einem Krankenwagen abgeholt und in ein Pflegeheim gebracht worden. Nach seinem schweren Schlaganfall 2011 hatte Bender ihren Job aufgegeben und war bei ihrem Vater eingezogen, um für ihn da zu sein. Ein Jahr ist es jetzt her, dass der 74-Jährige gegen seinen Willen in ein Pflegeheim gebracht wurde. Veranlasst hatte das ein gesetzlicher Betreuer, den Benders Bruder bestellt hatte – ohne seine Schwester zu informieren. Bender leidet seitdem an Depressionen. Sie spricht nicht gerne über den Vorfall, zu groß sind der Schmerz, die Enttäuschung – und auch die Scham. Hatte sie nicht gut ausreichend für ihren Vater gesorgt? Die Motive ihres Bruders kann sie nicht nachvollziehen, bis heute hat Bender nicht mit ihm darüber gesprochen.

Es hätte nur ein Dokument gebraucht, und alles wäre anders gekommen. Doch Johann Walther hatte keine Vorsorgevollmacht, hat nicht festgelegt, wer in seinem Namen handeln darf, wenn er selbst nicht mehr entscheiden kann. Und auch nicht, wo er im Falle einer Pflegebedürftigkeit wohnen will.

Plötzlich nicht mehr handlungsfähig

Ein Dokument, das über Glück und Unglück entscheidet? "Eine Vorsorgevollmacht ist eine Generalvollmacht, die man einer Person seines Vertrauens ausstellt und die besagt, dass der Bevollmächtigte alle Angelegenheiten für einen regeln kann", sagt Michael Gutfried, Leiter des Zentralen Vorsorgeregisters der Bundesnotarkammer. "Das umfasst sowohl alle Vermögensangelegenheiten als auch persönliche Angelegenheiten – zum Beispiel Eingriffe in die persönliche Freiheit oder welche medizinischen Behandlungen vorgenommen werden sollen." Die Vorsorgevollmacht wird für den Fall erteilt, dass der Vollmachtgeber aufgrund von Krankheit oder Alter nicht mehr selbst handeln und entscheiden kann, und vermeidet die Bestellung eines Betreuers durch ein Gericht. Wichtig ist eine Vorsorgevollmacht auch, wenn sich ein Ehepaar ein gemeinsames Vermögen aufgebaut oder zusammen Immobilien gekauft hat. Denn ohne ein solches Dokument kann der gesunde Partner nicht für den anderen agieren und zum Beispiel die Immobilie verkaufen.

Eine Patientenverfügung hingegen legt nur medizinisches Vorgehen fest, etwa die Verweigerung von lebenserhaltenden Maßnahmen. Sie regelt jedoch nicht, wer dafür sorgen soll, dass der Wille des Ausstellers umgesetzt wird. Es gibt auch die Möglichkeit, eine Betreuungsverfügung auszustellen, in der eine Person als Betreuer vorgeschlagen wird. Sie ist jedoch nicht so umfangreich wie eine Vorsorgevollmacht.

Irrtum mit Folgen

2012 haben sich 336.874 Menschen in Deutschland für eine Vorsorgevollmacht entschieden, 251.007 davon in Verbindung mit einer Patientenverfügung. Wer eine Vorsorgevollmacht ausstellt, ist laut Bundesnotarkammer durchschnittlich 65 Jahre alt. Doch Vorsorge ist kein Thema für Rentner: Durch Unfall oder Krankheit können auch junge Menschen nicht mehr geschäfts- und entscheidungsfähig sein.

"Das Thema geht die gesamte Gesellschaft etwas an, doch wir verdrängen es kollektiv", sagt der Sozialarbeiter Claus Fussek. Seit 30 Jahren beschäftigt er sich mit den Themen Pflege und Vorsorge und gehört zu den bekanntesten Pflegekritikern Deutschlands. Wenn der Notfall eintrete, stehen die Leute mit leeren Händen da und seien verzweifelt. Dass so wenige Menschen vorsorgen, hängt mit einem Missverständnis zusammen: "Wenn mir etwas passiert, sorgen mein Ehepartner, meine Kinder oder Eltern für mich", glauben die meisten. Doch das ist falsch: "Der Ehegatte ist nicht automatisch berechtig, für den anderen Ehepartner zu sorgen. Für Volljährige gibt es keinen automatischen Vertreter. Das ist ein verbreiteter Rechtsirrtum", sagt Gutfried.

Fremden Händen ausgeliefert?

In Deutschland läuft das so ab: Kann eine Person aufgrund von Alter, Unfall oder Krankheit nicht mehr selbst entscheiden, bestellt das zuständige Gericht einen Betreuer, der die rechtlichen und persönlichen Angelegenheiten übernimmt. Das kann ein Angehöriger, Freund, oder aber ein Berufsbetreuer sein. "Sieht das Gericht einen Interessenskonflikt, bestellt es unter Umständen einen Fremden", so Gutfried. Berufsbetreuer kann jeder werden – und braucht dafür nicht mal eine spezielle Ausbildung. Für ihre Arbeit bekommen Betreuer eine Pauschale und einen bestimmten Prozentsatz des Vermögens des Betreuten. Das zuständige Gericht bestimmt den Umfang der Betreuung und kontrolliert den Betreuer.

Sozialarbeiter Claus Fussek hat gute und schlechte Erfahrungen mit Berufsbetreuern gemacht. Sie können zum Beispiel verhindern, dass ein pflegebedürftiger Mensch zum Spielball in einem Interessenskonflikt zwischen den Angehörigen wird, wie es bei Christine Bender der Fall war. "Wenn finanzielle Motive dabei sind, kann es schwierig werden", warnt Fussek. Es komme immer wieder vor, dass die Pflegebedürftigkeit von Angehörigen ausgenutzt werde, um alte Rechnungen zu begleichen.

Es sind auch aber Fälle bekannt, in denen der staatliche Betreuer ein Grundstück gegen den Willen der Angehörigen verkauft hat – an einen befreundeten Makler, zu einem sehr günstigen Preis. Oder dass Angehörige Hausverbot bekommen haben und ihre Eltern nicht mehr besuchen durften. "Es ist oft schwierig, nachzuweisen, was richtig und was falsch ist", sagt Fussek. "Vielen Familien geht in diesem Kampf dann die Kraft aus."

Max Auberger* will genau das verhindern. "Ich will nicht in fremde Hände fallen. Ich will meine Familie und mich vor einer möglichen Bevormundung durch die Behörden schützen", sagt der 63-Jährige. Der Frührentner stellt deshalb seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern eine Vorsorgevollmacht aus. Er schließt darin einen fremden Betreuer ausdrücklich aus. Auberger hat seinen Willen außerdem in einer Patientenverfügung festgehalten: "Ich will nicht, dass Leid unnötig verlängert wird – und möchte auch meinen Angehörigen nicht zur Last fallen." Man nehme so etwas nie ernst. Und wenn es ernst werde, sei es meist zu spät.

Vorsorgevollmacht: Kein großer Aufwand

Eine Vorsorgevollmacht ist nicht zwingend an eine bestimmte Form gebunden, sollte aber aus Beweisgründen schriftlich vorliegen. Noch sinnvoller ist es, das Dokument von einem Notar beurkunden zu lassen – vor allem, wenn eigene Immobilien vorhanden sind. Eine private, nicht beglaubigte Vorsorgevollmacht reicht dem Grundbuchamt nicht aus. Ein Notar, Rechtsanwalt oder Beratungsstellen können auch bei der Erstellung einer Vorsorgevollmacht helfen, denn sie muss sehr konkret formuliert sein – so eindeutig wie möglich. Im Internet gibt es auch Vordrucke, die bei der Formulierung helfen. Ist die Vorsorgevollmacht fertig, sollte sie beim Zentralen Vorsorgeregisters der Bundesnotarkammer registriert werden. Das Vorsorgeregister gibt den Gerichten Auskunft, ob eine Vorsorgevollmacht existiert oder nicht. So wird vermieden, dass auch nur für kurze Zeit ein fremder Betreuer bestellt wird. Es bringt also nichts, eine Vorsorgevollmacht anzufertigen und sie still und heimlich in der Schublade liegen zu lassen. Die Registrierung kostet einmalig maximal 18,50 Euro.

Natürlich gibt es immer ein gewisses Missbrauchsrisiko. "Eine Vorsorgevollmacht ist daher nur wertvoll, wenn man uneingeschränktes Vertrauen hat", sagt Gutfried. Es können auch mehrere Bevollmächtigte eingesetzt werden, die sich gegenseitig kontrollieren. Vorher muss jedoch eine Rangordnung festgelegt werden. Eine Vorsorgevollmacht ist jederzeit wiederrufbar – das Vernichten des Dokuments genügt. "Es kann sinnvoll sein, die Vollmacht erst mal bei sich zu behalten und dem Bevollmächtigten mitzuteilen, wo er sie im Notfall findet", so Gutfried. Sollte der Bevollmächtigte das Vertrauen dennoch missbrauchen und zum Beispiel das Konto des Vollmachtgebers leerräumen, begeht er eine Straftat und kann angezeigt werden.

Doch auch wenn es gute Vorsorgeinstrumente gibt: Claus Fussek ist der festen Überzeugung, "dass eine würdevolle Versorgung im Alter nur dann funktionieren kann, wenn die Familie intakt ist."

* Namen von der Redaktion geändert

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