Geruchs- und Geschmacksstörungen zählen zu den ersten Symptomen von COVID-19. Häufig verschwinden sie, doch manchmal verbleiben sie über Monate. Spätfolgen von SARS-CoV-2 können Immunsystem, Gehirn und Nerven betreffen. Ein Überblick.

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Seit längerem ist bekannt, dass das Coronavirus SARS-CoV-2 nicht nur der Lunge, sondern auch weiteren Organen wie Nieren und Herz zusetzen kann. Und je länger die Pandemie andauert, desto häufiger beobachten Ärzte Spätfolgen einer überstandenen Infektion.

Viele Patienten klagen noch lange über Müdigkeit, Gelenkschmerzen oder Kurzatmigkeit. Auch kehrt der durch das Virus verlorene Geschmacks- und Geruchssinn in einigen Fällen vorerst nicht zurück.

Von solchen Spätfolgen sind nicht nur stationär behandelte Patienten betroffen. "Das Auftreten von Beschwerden nach einer COVID-19-Erkrankung ist prinzipiell nicht an die Krankheitsschwere gebunden", sagt Tobias Welte, Direktor der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Er schätzt, dass sie nach der eigentlichen Erkrankung bei ein bis drei Prozent aller Patienten auftreten. "Das ist jedoch durch Studien nicht belegt", betont der Experte.

Neurologische Folgen auch bei zuvor gesunden Patienten

Hinweise darauf, wie häufig durch SARS-CoV-2 verursachte Spätfolgen auftreten, gibt eine auf dem Portal der Fachzeitschrift "Journal of the American Medical Association" (JAMA) veröffentlichte Studie aus Italien. Hierfür wurden Patienten beobachtet, die mit schweren COVID-19-Verläufen im Krankenhaus behandelt wurden.

Die Studie ergab, dass in 87 Prozent der Fälle nach der Entlassung noch Beschwerden vorlagen. Mehr als 50 Prozent litten unter anhaltender Müdigkeit, mehr als 40 Prozent unter Atemnot. Jeder Zehnte hatte noch Kopfschmerzen oder Geschmacksstörungen und fünf Prozent klagten über regelmäßigen Schwindel.

Als Folgen einer schweren COVID-Erkrankung beobachten Ärzte zudem neurologische Erkrankungen wie Psychosen, Lähmungen oder Entzündungen am Gehirn und der Hirnhaut.

In Einzelfällen tritt auch das Guillain-Barré-Syndrom auf. Dabei handelt es sich um eine entzündliche Erkrankung der Nerven, die zu Lähmungen an Beinen, Armen, am Rumpf, aber auch bei der Atmung führen kann. Zu diesen Problemen kommt es nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Neurologie nicht nur bei Patienten, die der Risikogruppe angehören, sondern auch bei solchen, die vor ihrer Infektion vollkommen gesund waren.

Studien zu "Neuro-COVID" laufen

Die beschriebenen Beschwerden wurden von Ärzten mittlerweile als "Neuro-COVID" klassifiziert und in verschiedene Schweregrade unterteilt. Wie häufig das Krankheitsbild tatsächlich auftritt, muss noch untersucht werden.

"Bislang handelt es sich bei den Studien um rückblickende Beobachtungen. Was wir brauchen, um valide Aussagen treffen zu können, sind Registerstudien, in denen Patienten mit COVID-19 schon in dem Moment, in dem sie diagnostiziert werden, entsprechend untersucht und im Verlauf der Erkrankung begleitet werden", sagt Peter Berlit, Neurologe und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

"Solche Register gibt es mittlerweile europaweit, auch in Deutschland. Die DGN fördert eines zu neurologischen Manifestationen von COVID-19", erläutert Berlit. Man gehe davon aus, bis zum Ende des Jahres vernünftige und belastbare Daten über den Verlauf von COVID-19 zu haben.

So schädigt SARS-CoV-2 Gehirn und Nerven

Dafür, wie die Erkrankung die Nerven schädigt, gibt es verschiedene Erklärungen. Zwar kann das Coronavirus über die Nase den Riechnerv schädigen und auf diese Weise ins Gehirn gelangen. Dabei kommt es aber nur in seltenen Fällen durch das Virus zu einer direkten Entzündung im Nervensystem, erklärt Berlit.

Vielmehr sieht er drei Ursachen verantwortlich für das Entstehen neurologischer Schädigungen bei COVID-19-Patienten: "Zum einen kann es durch eine schwere Lungenentzündung zu einem massiven Sauerstoffmangel kommen, der das Gehirn schädigt", sagt der Neurologe.

Zweitens könne es zu einer stark gesteigerten Immunantwort des Körpers als Reaktion auf das Virus kommen. "Diese führt zur Bildung von Antikörpern, die sich nicht nur gegen das Virus, sondern auch gegen körpereigene Gewebe richten", sagt Berlit.

Dabei ist das Nervensystem besonders empfindlich. "Es kann zu Schäden an den Nervenzellen im Gehirn sowie an den peripheren Nerven kommen." Durch eine solche Reaktion des Immunsystems kann aber auch der Herzmuskel geschädigt werden, wie die Deutsche Herzstiftung informiert.

Drittens kann es durch die Infektion mit SARS-CoV-2 zu einer Steigerung der Gerinnung kommen. "Die Folge ist eine deutlich erhöhte Thrombose-Neigung, die wahrscheinlich einen Teil der Schlaganfälle in Zusammenhang mit COVID-19 erklärt", sagt Berlit. Diese hinterlassen häufig dauerhafte Schäden wie Lähmungen, Sprach- oder Bewusstseinsstörungen.

Durch die Gerinnungssteigerung werden zudem Thrombosen und Gefäßverschlüsse wie ein Herzinfarkt wahrscheinlicher. Bei solchen Erkrankungen drohen immer auch bleibende Schäden.

Geruchs- und Geschmacksverlust nach COVID-19-Erkrankung

Patienten, die nach der überstandenen Infektion unter Geruchs- und Geschmacksstörungen leiden, will Berlit die Hoffnung auf das Verschwinden der Symptome noch nicht nehmen.

"Wir wissen, dass sich das Problem bei 90 Prozent der Patienten in vier bis fünf Wochen zurückbildet. Bei den restlichen zehn Prozent wissen wir, dass es über Monate bestehen bleiben kann", sagt Berlit. Ob es dauerhaft sei, werde man erst nach einem Jahr sagen können.

"Wir kennen das Problem auch von der Influenza, da kann es bis zu einem Jahr dauern, bis das Riechen wieder funktioniert", erklärt der Experte. Er nimmt deshalb an, dass es sich bei COVID-19 ähnlich verhält. "Man sollte nicht zu früh sagen, dass es sich um einen Dauerschaden handelt."

COVID-19: Dauerhafte Schädigung der Lunge?

Die besondere Schwere einer COVID-19-Erkrankung macht häufig eine Lungenentzündung aus, die zu Atemproblemen führt. Während der Infektion kann die Lunge massiv geschädigt werden.

Die Uniklinik Augsburg veröffentlichte Bilder von obduzierten Lungen nach Corona-Infektionen mit Todesfolge. Vielfach war das Organ stark geschädigt. Zwar können auch durch die künstliche Beatmung Schäden am Gewebe bleiben. Die Augsburger Ärzte sahen die Defekte in der Lunge aber vielmehr als Folge des Virus SARS-CoV-2.

Auch nach einer überstandenen Infektion kann es noch zu Atembeschwerden kommen: "Insgesamt klagen ein bis drei Prozent aller COVID-19 erkrankten Patienten über Beschwerden nach Heilung der Erkrankung, etwa die Hälfte über Belastungsluftnot", sagt Welte. "Wirklich strukturelle Veränderungen an der Lunge sind eher selten. Sie treten bei maximal fünf bis zehn Prozent der Patienten mit Luftnot auf, je schwerer die COVID-Erkrankung war, umso häufiger."

Ob es bleibende Veränderungen gebe, wisse man noch nicht, sagt Welte. Die meisten Patienten besserten sich jedoch von Untersuchung zu Untersuchung weiter. Generell hat die Lunge ein großes Regenerationspotenzial. Wie lange Kurzatmigkeit und Atemlosigkeit bei eigentlich als genesen geltenden Patienten bestehen bleiben, müssen weitere Studien zeigen.

Eine Infektion mit COVID-19 kann bei leichten wie schweren Verläufen langanhaltende Schäden mit sich bringen. Wann und ob sie wieder abklingen, muss weiter beobachten und erforscht werden. Die Mehrheit der Infizierten erholt sich jedoch vollständig.

Über die Experten: Professor Dr. Peter Berlit ist Neurologe und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Professor Dr. Tobias Welte ist Direktor der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Verwendete Quellen:

  • Gespräche mit Professor Dr. Peter Berlit und Professor Dr. Tobias Welte
  • Angelo Carfì, MD1; Roberto Bernabei, MD1; Francesco Landi, MD, PhD1; et al: Persistent Symptoms in Patients After Acute COVID-19
  • Lungenärzte im Netz: Mediziner sind wegen möglicher Corona-Spätfolgen alarmiert
  • Aravinthan Varatharaj, MRCP, Naomi Thomas, MRCPCH, Mark A Ellul, MRCP, Nicholas W S Davies, PhD, Thomas A Pollak, MRCP Elizabeth L Tenorio et al.: Neurological and neuropsychiatric complications of COVID-19 in 153 patients: a UK-wide surveillance study
  • Universität Augsburg: Obduktionen zeigen schwere Lungenschädigungen
  • Deutsche Herzstiftung: Herzschädigungen bei COVID-19. Kann SARS-CoV-2 eine Herzmuskelentzündung verursachen?
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