Hochspezialisierte, winzige Teilchen machen Lacke kratzfest, konservieren Öle, lassen Ketchup besser fließen und Salz besser rieseln. Nano-Partikel sind die Lieblinge der Industrie. Doch was macht sie so besonders und sind sie gefährlich?

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Unvorstellbar klein ist sie, die Welt der Nanos – mit dem menschlichen Auge nicht zu sehen. Und die Winzlinge leisten Erstaunliches. Denn Nano-Partikel sind hochspezialisiert.

Sie machen Zahnpasta und Dragees weißer, lassen Autolacke Schmutz abweisen und vollbringen Wunder in der Medizin. Die Hightechzwerge stecken aber auch in Instantsuppen und Gewürzen. Doch Größe und Können der Partikel bergen möglicherweise Risiken.

"Nanos haben einen Durchmesser von zehn bis 300 Nanometer", erklärt Professor Thomas Vilgis vom Mainzer Max-Planck-Institut für Polymerforschung im Gespräch mit unserer Redaktion. Ein Nanometer entspricht einem millionstel Millimeter. Zur Veranschaulichung: Das Verhältnis von einem Nanometer zu einem Meter ist vergleichbar mit dem eines Fußballs zum Durchmesser der Erde. Ein Virus misst 30 bis 50 Nanometer, ein rotes Blutkörperchen 7.000 Nanometer und ein menschliches Haar im Durchmesser 80.000 Nanometer.

Nano-Partikel sind nicht alle gleich. Es gibt natürliche und synthetische Gebilde. "Natürliche Nanos könne Proteinkomplexe sein, wie sie in der Milch vorkommen", sagt Vilgis. Kasein etwa.

Von der Natur abgeschaut

Was die Nanos für die Industrie so interessant macht, ist ihr Potenzial. "Sie haben die Eigenschaft, bestimmte Stoffe zu verpacken und zu transportieren", erklärt der Experte anhand der Sojabohne. Die Natur habe es so eingerichtet, dass in deren Samen Öl gespeichert wird – auch über Jahre hinweg.

"Das ist hochgradig kompliziert. Da legt sich die Natur gewaltig ins Zeug, damit diese Partikel stabil sind und auch in der getrockneten Bohne bleiben."

Aufgrund ihrer Größe verfügen Nanos über andere Eigenschaften als größere Teile des gleichen Stoffes. Physikalisch und chemisch reagieren sie anders und stellen Vilgis zufolge die Physik auf den Kopf.

"Nano-Partikel haben eine andere Bioaktivität. Statt einer volumendominierten haben wir es hier mit einer oberflächendominierten Physik zu tun", sagt Vilgis. Anders ausgedrückt: Im Gegensatz zu anderen Teilchen haben die Nanos eine stark vergrößerte Oberfläche im Vergleich zu ihrem Volumen. Diese Oberflächen sind mitunter sehr reaktionsfreudig.

"Deswegen ist es möglich, mit physikalisch-chemischen Tricks zu arbeiten", erklärt der Professor. Stoffe, die eine bestimmte Funktion erfüllen, lassen sich so anlagern. "Als Faustregel gilt: Je kleiner Nano-Partikel sind, desto stabiler sind sie."

Besonders für die Medizin sei das großartig. Denn Wirkstoffe können zielgenauer zum Einsatz kommen. Weil sie so klein sind, können sie Darmwand, Lungenbläschen und sogar Zellkernmembranen passieren.

Transporter im Tarnkappenmodus

Die Winzlinge fungieren dabei als eine Art Transporter im Tarnkappenmodus. Sie können so übliche Barrieren "durchdringen" und schleusen die Medikamente genau dorthin, wo sie wirklich gebraucht werden – etwa im Darm. "Die Wirkstoffe überstehen Schluckbewegungen und Magensäure unbeschadet. Das ist schon sehr trickreich", sagt der Experte.

Mediziner versuchen auch, Nanos über die Blutbahn auf Schleuserreise zu schicken. "Die Nano-Partikel müssen allerdings so gestaltet sein, dass sie in dieser salz-, protein- und zuckerreichen Umgebung – in der etwa Aminosäuren und Fettpartikel mittransportiert werden können – überstehen", erklärt er.

Für sinnvoll hält Vilgis den Einsatz von Nanos nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Kosmetik. "Das ist genial: Mit Nanos in einer Creme zum Beispiel lässt sich deren Wirkung steuern. So können die Nanos Pflanzenöl auf die Haut bringen und freisetzen, nachdem die Creme eingezogen ist."

Das heißt: Erst wenn das Wasser in der Creme abgetrocknet ist, kommt das Fett der Haut zugute. Mit Nanos ließe sich auch Sonnenschutz effektiver gestalten, sagt Vilgis – etwa durch reflektierende Elemente, die die Nanos auf die Haut bringen. Das erhöhe und verlängere die Schutzwirkung, und die Partikel dringen auch nicht in die tieferen Schichten der Haut vor und richten keinen Schaden an.

Im Essen seien die Nanos dagegen ein No-Go. Auf künstlich zugesetzte Nano-Partikel in Lebensmitteln sei niemand angewiesen, sagt Vilgis – insbesondere, wer sich gesund ernährt.

In Deutschland gibt es noch kein sogenanntes Nano-Food. Allerdings experimentieren Food-Designer an der Entwicklung von Superpartikeln im Essen. Sie basteln etwa an Nanos, die Milch verfärben lassen, sobald sie sauer ist.

Es gibt Vilgis zufolge auch Experimente, um bei Tiefkühlware zu erkennen, ob die Kühlkette unterbrochen wurde. "Diese Nano-Partikel in der Verpackung sind so konstruiert, dass sie auf Enzymaktivität oder winzige molekulare Veränderungen reagieren", erklärt der Experte.

Diese ist bei Minustemperaturen sehr gering und steigt mit höheren Temperaturen. Wird die Kühlkette unterbrochen, verfärben sich die Marker in der Verpackung blau, grün oder gelb.

Vilgis denkt aber nicht, dass sich Nanos in Lebensmitteln durchsetzen werden. Die Akzeptanz für derartige designte Produkte sei sehr niedrig. "Wenn auf den Verpackungen steht ‚angereichert mit nanoverpackten Partikeln', werden sicher viele Menschen die Produkte wieder ins Regal zurücklegen."

Nanomaterialien kommen jedoch als Lebensmittelzusatz, in Verpackungen sowie als Verarbeitungshilfe zum Einsatz. Nanos finden sich vor allem als Rieselhilfe (Siliziumdioxid) in Lebensmitteln. Die Winzlinge stecken im Kochsalz, Gemüse-, Molkepulver, Kaffee-, Ei- und Suppenpulver, Kaffeeweißer, Gewürzmischungen als auch Puderzucker.

Und auch abseits der Lebensmittelindustrie haben die Nanos ihren Weg in viele Produkte gefunden: in Cremes, Reiniger, Putztücher und Kleidung.

Risiken noch nicht weitreichend erforscht

Nur: Welche Folgen die Partikel für die Gesundheit haben, ist noch weitgehend unklar. Inwieweit sich die Winzlinge in Organen anreichern, ist bisher unzureichend erforscht.

"Wenn es sich um natürliche, abbaubare Proteine oder übliche Polysaccharide handelt, sind sie unbedenklich. Sie werden wieder abgebaut und ausgeschieden", sagt Vilgis.

Ob die Partikel Schaden anrichten können, hänge meist von deren Aufbau ab. Bei medizinischen Anwendungen habe man das gut unter Kontrolle – anders als zum Beispiel bei eingeatmeten Nano-Partikeln wie Feinstaub. "Sie dringen wegen ihrer Winzigkeit weit in die Bronchien vor und haben wegen ihrer großen, reaktiven Oberfläche unter Umständen durchaus großes Schadenspotenzial", sagt Vilgis.

Offenbar können Nanos auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden, die natürliche Schutzbarriere des Körpers. In der Medizin sei dies manchmal allerdings erwünscht, etwa bei inoperablen Gehirntumoren oder Erkrankungen des zentralen Nervensystems, betont Vilgis.

Die Frage ist auch, ob sich an die Kleinstpartikel unerwünschte Stoffe anlagern, wenn die Nanos erst einmal im Körper sind.

Wo sind Nanos enthalten?

Für die Verbraucher stellt sich auch die Frage, wo überall Nano-Partikel enthalten sind. Weder national noch auf EU-Ebene existiert ein Register für Produkte mit Nanomaterialien. Allerdings hat die Naturschutzorganisation BUND eine Datenbank aufgebaut.

Im Bereich Lebensmittel sind 47 Produkte gelistet, in der Kategorie Körperpflege sind es 185. Dem BUND zufolge gibt es keine Registrierungspflicht. Immerhin sind einige Produkte nach einer EU-Verordnung gekennzeichnet – aber nur, wenn es sich um Lebensmittel, Kosmetika oder Schädlingsbekämpfungsmittel handelt.

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