Kaffee ist aus dem Alltag vieler nicht wegzudenken – auch aus einem einfachen Grund: Koffein kann süchtig machen und Entzugserscheinungen hervorrufen. Ein Suchtexperte erklärt, ab wann der Konsum kritisch wird und wie der Entzug gelingt.

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Ohne Kaffee kann für viele der Tag nicht beginnen. Und auch das Mittagstief lässt sich mit Kaffee viel leichter überwinden. Kurzum: Die meisten Menschen hängen an der Tasse. Vier davon trinken die Deutschen im Durchschnitt täglich, wie aus einer Markterhebung des Deutschen Kaffeeverbandes hervorgeht, und damit mehr als die Nachbarn in Österreich und der Schweiz mit je drei Tassen pro Tag.

Kaffee – Genussmittel oder Suchtmittel?

Auch die britische Sängerin Adele gehörte zu den Kaffee-Vieltrinkern, bis sie sich kürzlich zum Entzug entschied – mit unangenehmen Folgen. Seitdem plagen die Sängerin schlimme Migräneanfälle. Der Kaffee-Verzicht sei schwieriger, als mit dem Rauchen aufzuhören, sagte Adele gegenüber "The Sun". Doch kann ein harmloses Alltagsgetränk wie Kaffee tatsächlich so starke Entzugserscheinungen hervorrufen?

"Koffein kann süchtig machen und es können Entzugserscheinungen auftreten."

Wolfgang Beiglböck, Psychotherapeut und Suchtexperte

Zwar gilt Kaffee allgemein nicht als Suchtmittel, doch das darin enthaltene Koffein ist die am meisten konsumierte psychoaktive Substanz weltweit – und kann tatsächlich abhängig machen. "Kaffee ist ein Genussmittel, das zum Suchtmittel werden kann", sagt Psychotherapeut und Suchtexperte Wolfgang Beiglböck, der auch ein Buch zum Thema Koffein geschrieben hat. "Koffein kann süchtig machen und es können Entzugserscheinungen auftreten", bestätigt der Experte.

Üblicherweise treten die ersten Entzugserscheinungen zehn bis zwölf Stunden nach der letzten Koffeinzufuhr auf. Eine klassische Kaffee-Entzugserscheinung sei der Wochenendkopfschmerz, erklärt Beiglböck. Da wir an Samstagen und Sonntagen für gewöhnlich länger schlafen, verschiebt sich auch der erste Morgenkaffee zeitlich nach hinten.

"Man wacht mit Kopfschmerzen auf, die aber nach der ersten Tasse Kaffee verfliegen", sagt der Experte. Koffein sorgt dafür, dass sich die Blutgefäße in unserem Körper verengen. Lässt die Dosis nach, weiten sich die Gefäße wieder und es strömt mehr Blut in den Kopf als gewohnt. Das kann einen migräneartigen Kopfschmerz auslösen.

Entzugserscheinungen von Koffein können massiv sein

Ob der Entzug von Koffein, wie von Adele berichtet, tatsächlich schlimmer ist, als der von Nikotin, kann Beiglböck nicht pauschal beantworten. "Was schlimmer ist, ist natürlich sehr subjektiv und hängt immer davon ab, von welchem Niveau wir ausgehen", sagt der Experte. Also je nachdem, wie viel Kaffee oder Zigaretten der Einzelne täglich konsumiert.

Dass die Entzugserscheinungen von Kaffee massiv sein können, stimme jedoch. "Im klinischen Bereich habe ich schon sehr schwere Fälle von Koffein-Entzugserscheinungen mit massiver Schläfrigkeit, Reizbarkeit und Niedergeschlagenheit erlebt", sagt Beiglböck. Nach drei bis vier, spätestens nach neun Tagen, sollten die Entzugserscheinungen aber abklingen.

Koffein aktiviert das Belohnungszentrum

Dass solche massiven Entzugserscheinungen auftreten, hängt auch damit zusammen, dass Koffein als psychoaktive Substanz auf unser Nervensystem wirkt. Darin liegen auch die vielen gewünschten Eigenschaften von Koffein begründet: Koffein hebt die Stimmung, macht uns leistungsfähiger und hält uns wach, obwohl wir längst Ermüdungserscheinungen zeigen müssten. Wenn wir körperlich oder geistig tätig sind, entsteht im Körper der Botenstoff Adenosin, der sich an entsprechende Zell-Rezeptoren bindet und den Zellen damit signalisiert: Ihr werdet müde, hört auf zu arbeiten.

"Das Koffein ist in seinem chemischen Aufbau dem Adenosin sehr ähnlich und blockiert diese Rezeptoren", erklärt Beiglböck. Weil das Adenosin dank Koffein nicht mehr an die Rezeptoren binden kann, bleibt das Signal "Müdigkeit" aus - und der Körper fährt nicht mehr herunter. "Koffein ist also kein Aufputschmittel im eigentlichen Sinn - es verhindert, dass unsere Zellen müde werden", sagt Beiglböck.

Da Koffein die Blut-Hirnschranke überwinden kann, setzen hohe Dosen Koffein auch im Belohnungszentrum unseres Gehirns an. Dort kommt ähnlich wie bei Alkohol, Nikotin und anderen Drogen zur Freisetzung des Glückshormons Dopamin, was uns ein gutes Gefühl gibt – ein mächtiger Antrieb, uns mehr davon zuzuführen. "Mit der Zeit setzt auch eine Dosis-Steigerung ein", erklärt Beiglböck weiter. Um noch eine Wirkung zu erzielen, braucht es immer mehr.

Koffein-Überdosis: Im Extremfall tödlich

Doch wie viel Koffein ist zu viel? Tatsächlich kann man Koffein überdosieren – und im Extremfall sogar daran sterben. Die tödliche Dosis liegt im Bereich von mehreren Gramm Koffein, erklärt der Experte. Das allein mit Kaffee zu erreichen, sei aber kaum möglich. "Durch Kaffee kommt es häufiger zu Koffein-Intoxikationen, die sich durch extreme Unruhe, Nervosität und zitternden Händen äußern." Solche Vergiftungserscheinungen könnten bereits auftreten, wenn man in kurzer Zeit zu viel Kaffee trinke.

Gesunde Erwachsene sollten laut Empfehlung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nicht mehr als 400 Milligramm Koffein pro Tag zu sich nehmen. Das entspricht in etwa vier bis fünf Tassen Kaffee. In der Schwangerschaft sollte die tägliche Koffeindosis 200 Milligramm nicht überschreiten. Die Angaben in Tassen und Milligramm sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, denn es gibt große Unterschiede – beim Kaffee, aber auch bei den Konsumenten.

"Es gibt Menschen, die genetisch bedingt empfindlicher auf Koffein reagieren. Da reichen unter Umständen schon 100 Milligramm Koffein täglich, damit Entzugserscheinungen drohen", sagt Beiglböck. Auch bei zu hohem Blutdruck, Inkontinenz oder anderen Suchterkrankungen kann Koffein-Konsum problematisch sein und sollte mit einem Arzt abgeklärt werden. Und natürlich kommt es auch ganz entscheidend darauf an, wie stark der Kaffee zubereitet ist, ob ein Filter verwendet wurde, wie fein der Kaffee gemahlen und wie dunkel er geröstet ist. "Es macht auch einen Unterschied, ob überwiegend Arabica- oder Robusta-Bohnen verwendet werden, da Robusta mehr Koffein enthält", sagt Beiglböck. "Das spielt da alles mit hinein."

Wie viel Koffein steckt drin?

  • Espresso (50 ml): 50 - 60 mg Koffein
  • Filterkaffee (125 ml): 80 - 120 mg Koffein
  • Cola (200 ml): 30 – 70 mg Koffein
  • Energydrink (250 ml): 80 mg Koffein
  • Vollmilchschokolade (100 g): 15 – 20 mg Koffein
  • Zartbitterschokolade (100 g): 10 – 80 mg Koffein

Um zu testen, wie es um die eigene Koffein-Abhängigkeit steht, empfiehlt Beiglböck den Morgenkaffee am Wochenende einmal auf später zu verschieben und zu beobachten, was passiert. Treten Kopfschmerzen auf? Ist das Verlangen nach Kaffee sehr groß? Und kann ich das aushalten? "Das gibt schon einen guten Hinweis darauf, ob ich süchtig bin oder nicht", sagt Beiglböck.

Wie der Kaffee-Entzug schonend gelingt

Wer seinen Koffein-Konsum gleich ganz einstellen oder zumindest reduzieren möchte, sollte den Entzug möglichst schonend gestalten. Ansonsten kann der Vorsatz schnell an auftretenden Entzugserscheinungen scheitern. Dazu empfiehlt Beiglböck über ein paar Tage genau zu dokumentieren, wie viel Koffein tatsächlich konsumiert wird. "Da sprechen wir nicht nur über Kaffee: Koffein ist auch in Cola- und Energy-Getränken, Kakao und Schokolade enthalten - 100 Gramm sehr dunkle Schokolade haben fast so viel Koffein wie eine Tasse Espresso." Auch dass in den immer beliebter werdenden Guarana-Getränken und manchen Schmerzmitteln Koffein enthalten sei, werde gerne vergessen.

Sobald die tägliche Koffeindosis genau analysiert ist, kann sie langsam verringert werden. Ideal ist, den Konsum alle ein bis zwei Tage zehn bis 20 Prozent zu reduzieren, sagt Beiglböck. Dann sollten auch keine Entzugserscheinungen auftreten. Wem der ritualisierte Morgenkaffee oder der Kaffee am Nachmittag fehle, könne das auch gut mit entkoffeiniertem Kaffee kompensieren. Das hilft, die psychische Abhängigkeit in Schach zu halten. So macht es im Übrigen auch Adele.

Zur Person:

  • Dr. Wolfgang Beiglböck ist klinischer Psychologe und Psychotherapeut mit Erfahrung in der Behandlung von Suchterkrankungen. Zudem ist er Autor wissenschaftlicher Artikel und Bücher zum Thema Suchterkrankung und Suchtforschung. In seinem Buch "Koffein: Genussmittel oder Suchtmittel", das 2016 beim Verlag Springer Nature erschienen ist, hat er sich eingehend mit aktuellen Forschungsergebnissen zum therapeutischen Nutzen und den Gefahren von Kaffee- und Koffeinkonsum beschäftigt.

Verwendete Quellen:

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