• Ein Mann war Jahrzehnte blind und kann nun wieder Objekte sehen.
  • Geholfen hat ihm ein spezielles gentherapeutisches Verfahren, in das Medizinerinnen und Mediziner große Hoffnungen setzen.
  • Die Optogenetik könnte auch bei anderen Erkrankungen helfen.

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Erstmals haben Mediziner einem blinden Patienten mit einer optogenetischen Therapie das Sehen ermöglicht. Für diesen Machbarkeitsnachweis behandelte das internationale Team einen 58-jährigen Mann, der durch die Netzhauterkrankung Retinitis pigmentosa seit Jahrzehnten blind war.

Nach der Gentherapie konnte der Patient mithilfe einer Spezialbrille im Labor Gegenstände erkennen und greifen. Im Alltag registrierte er etwa ein Telefon, eine Tür und einen Zebrastreifen, wie das Team um José-Alain Sahel von der University of Pittsburgh School of Medicine und Botond Roska von der Universität Basel im Fachblatt "Nature Medicine" schreibt.

Experten bewerten Studie als Durchbruch

Experten bewerten die Studie einhellig als Durchbruch. "Zum ersten Mal hat eine therapeutische Intervention, die auf Optogenetik beruht, eine Art des Sehens ermöglicht", sagt Stylianos Michalakis von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), der nicht an der Arbeit beteiligt war. "Das ist eine Mauer, die erstmals durchbrochen wurde." Bei Retinitis pigmentosa käme eine solche Therapie, falls sie eines Tages zugelassen wird, jedoch nur für Patienten im Spätstadium infrage, betont der Leiter der Arbeitsgruppe "Gentherapie von Augenerkrankungen".

Retinitis pigmentosa (RP) umfasst eine Gruppe von Erkrankungen, bei denen durch verschiedene Erbgut-Mutationen die Lichtrezeptoren der Netzhaut - der Retina - zugrunde gehen. Bislang sind mehr als 70 Gene bekannt, bei denen Mutationen die Krankheit verursachen können. Weltweit sind den Forschern zufolge etwa zwei Millionen Menschen betroffen, in Deutschland schätzt Michalakis die Zahl auf bis zu 40.000.

Bei Retinitis pigmentosa degenerieren die Lichtrezeptoren

Bei der fortschreitenden Erkrankung degenerieren die Lichtrezeptoren in der oberen Schicht der Netzhaut und sterben schließlich ab - die Patientinnen und Patienten erblinden. Als einzige kurative Behandlung ist in Europa seit 2018 eine Gentherapie mit dem Mittel Luxturna zugelassen. Die über 800.000 Euro teure Behandlung hilft jedoch nur Menschen mit Mutationen des Gens RPE65, die die Erkrankung im Frühstadium haben - also wenn die Lichtrezeptorzellen noch nicht abgestorben sind. Das betrifft nach Angaben von Michalakis weniger als ein Prozent der RP-Patienten.

Der nun vorgestellte Ansatz ist dagegen mutationsübergreifend. Er soll jenen Patienten, die bereits erblindet sind, wieder ein zumindest rudimentäres Sehen ermöglichen. In der Studie, die zunächst Sicherheit und Wirksamkeit des Ansatzes prüfen sollte, wollten die Forscher das Verfahren eigentlich an 15 Menschen testen. Wegen der Corona-Pandemie beendete jedoch vorerst nur der 58-jährige Franzose die Untersuchung.

Forscher schleusen mit Viren Informationen in die Zellen

Bei der Optogenetik geht es grundsätzlich darum, genetische Informationen für bestimmte, durch Licht aktivierbare Funktionen in Zielzellen zu schleusen. In der Studie injizierte das Team in das schwerer betroffene Auge des Mannes einmalig Viren, die den Bauplan für ein lichtempfindliches Protein trugen. Dieses aus Mikroalgen stammende Protein - ein sogenanntes Kanalrhodopsin namens ChrimsonR - bildet in bestimmten Zellen der unteren Netzhaut einen Ionenkanal. Damit erzeugen die Zellen aus einfallendem Licht elektrische Signale, die sie an das Sehzentrum im Gehirn weiterleiten.

Da die Zellen eine besondere Wellenlänge des Lichts benötigen, musste der Patient zudem eine spezielle Brille tragen. Sieben Monate nach Aufnahme des Trainings mit der Brille berichtete der Mann von visuellen Eindrücken, allerdings nur, wenn er die Spezialbrille trug. In verschiedenen Tests konnte er damit Gegenstände, die vor ihm auf einem weißen Tisch lagen, recht zuverlässig erkennen und greifen. Auch konnte er etwa auf einem Zebrastreifen die Zahl der Streifen zählen.

Experten warnen vor überzogenen Hoffnungen

Es bleibt die große Frage, ob das Sehvermögen der Pateinten noch weiter gesteigert werden kann. Hier warnen die Autoren der Studie jedoch vor überzogenen Hoffnungen. Derzeit sei nicht zu erwarten, dass Patienten nach einer solchen Therapie etwa Gesichter erkennen oder gar lesen könnten, betonten sie auf einer eigens anberaumten Pressekonferenz. Dennoch ermögliche das Verfahren eine deutliche Steigerung der Lebensqualität - zumal der 58-Jährige nur mit einer niedrigen Dosis behandelt worden sei.

Auf die Frage, wann dieser Ansatz mehr Patienten zur Verfügung stehe, antwortete Studienleiter Sahel, zunächst seien weitere Studien mit mehr Teilnehmern nötig: "Es ist schwierig vorherzusagen, wie viel Zeit das erfordert." Möglicherweise könne der Ansatz innerhalb von fünf Jahren mehr Menschen angeboten werden, doch zunächst müsse seine Sicherheit abgeklärt werden. (dpa/mgb)

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