Essen macht nachweislich glücklich. Wer damit aber Stress und negative Gefühle bekämpft, kann auf Dauer unglücklich und krank werden. Deswegen ist es wichtig, sich auch andere Strategien gegen Belastungen zu überlegen.

Mehr Ratgeber-Themen finden Sie hier

Viele Menschen kennen den Impuls, zu Schokolade oder Junkfood zu greifen, wenn es stressig wird. Denn, so haben es nicht wenige von uns durch Erfahrung gelernt: Essen beruhigt.

Vor allem Nahrungsmittel mit vielen Kohlenhydraten und Fett haben diesen Effekt. Nudeln, Chips, ein Stück Sahnetorte: Sie alle versprechen eine Ausschüttung von Serotonin, einem Hormon, das die Stimmung hebt.

Vor allem Nudeln und andere Eierwaren enthalten viel Tryptophan, eine Aminosäure, die dabei hilft, Serotonin zu bilden. Die darin vorhandenen Kohlenhydrate sorgen zudem dafür, dass das Tryptophan schnell ins Gehirn gelangt.

Manche essen bei Stress mehr, andere weniger

"Einige Menschen regulieren mit Essen Gefühle, die für sie sonst schwer auszuhalten wären, etwa Traurigkeit, Stress, Angst, Einsamkeit, Leere", sagt die Diplompädagogin Sigrid Borse, die das Frankfurter Zentrum für Essstörungen leitet.

Aus ihrer täglichen Arbeit kennt sie einige Beispiele dafür. Es gibt auch Zahlen dazu. "Etwa 40 Prozent der Menschen essen durch Stress mehr", sagte André Kleinridders vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag.

Weitere 40 Prozent reagierten aber genau anders herum: Sie verspüren bei Stress weniger Appetit und essen deswegen auch weniger. Rein physiologisch ist das auch die "normale" Reaktion, denn Adrenalin reduziert das Hungergefühl - ein sehr ursprünglicher Mechanismus, der dazu diente, dass der Mensch sich auf das Kämpfen oder Fliehen vorbereiten konnte.

Essen als einzige Bewältigungsstrategie

Heutzutage haben viele Menschen diesen Mechanismus aber offenbar überwunden. "Stress mindert eigentlich die Verdauungsaktivität, man hat also eigentlich keinen Appetit", schrieb vor einigen Jahren auch ein Team um den Neurobiologen Gerald Hüther im Ärzteblatt.

Aufgrund von Lernprozessen reagierten aber nicht wenige Erwachsene heutzutage genau umgekehrt. Sie haben sich also quasi antrainiert, sich von Essen beruhigen zu lassen.

Im Prinzip, sagen Experten, ist dagegen auch nichts einzuwenden. "Aus meiner Sicht ist es eine gute Reaktion, weil alles, was uns hilft, unser Wohlbefinden zu stärken, erstmal dazu beiträgt, unsere Gesundheit zu stärken", sagte etwa die Ernährungsexpertin Karin Mauritz dem Deutschlandfunk. Schwierig wird es, wenn der oder die Betroffene über keine anderen Mittel mehr verfügt, mit negativen Gefühlen umzugehen, als zu essen.

Übergewicht macht noch mehr schlechte Gefühle

"Erstmal löst das Essen ja das Versprechen ein, den Stress zu regulieren", so Sigrid Borse im Gespräch mit unserer Redaktion. "Bei Menschen, die das häufig tun und dadurch vielleicht sogar an Übergewicht leiden, kommen aber nach dem Essen meist das schlechte Gewissen und das Gefühl, die Kontrolle verloren zu haben." Dies kann wiederum in eine unheilvolle Spirale führen: Mehr negative Gefühle bedeuten mehr Kompensation durch Essen.

Um die Kontrolle über das eigene Essverhalten wieder zu erlangen, sollten Betroffene sich zunächst die Frage stellen, warum sie genau jetzt essen. "Sie sollten sich also fragen, ob sie im Moment wirklich hungrig sind. Lautet die Antwort nein, sollten sie sich fragen: Warum esse ich dann? Bin ich gestresst? Oder traurig?", so Sigrid Borse.

Andere Glücksbringer finden

Sind die Gefühle identifiziert, sollten als nächstes die Gründe dafür herausgefunden werden: Sind es die Kollegen in der Arbeit? Stresst der Chef oder die Chefin? Bin ich in meiner Beziehung unglücklich? Fühle ich mich einsam? Solche Fragen für sich zu beantworten, kann einige Zeit dauern.

Deswegen ist es wichtig, Strategien zu entwickeln, um das unmittelbare Hungergefühl zu bekämpfen. "Auch dafür muss man sich intensiv mit sich selbst beschäftigen und herausfinden, was man sich - außer zu essen - Gutes tun könnte", sagt Sigrid Borse. Aus ihrer Erfahrung sind das zum Beispiel: Musik, Singen, Spaziergänge, Gespräche, Yoga oder bestimmte Entspannungstechniken.

Denn dass viel zu essen nicht der einzige Glücksgarant ist, weiß jeder, der schon einmal gefastet hat. Auch hier steigt nämlich die Serotoninkonzentration im Gehirn - und das bedeutet eine bessere Stimmung.

Dennoch fällt es natürlich gerade in stressigen Zeiten schwer, Impulse wie Hunger zu unterdrücken. Die US-Psychologin Susan Albers hat zwei ganz konkrete Tipps für akute Hungerattacken, die auf emotionalen Stress zurückzuführen sind.

Der eine lautet: Hinsetzen, Nacken und Schultern entspannen, tief einatmen und durch gespitzte Lippen langsam ausatmen. Das zwei bis drei Minuten lang wiederholen, bis das Hungergefühl hoffentlich wieder weg ist.

Der andere lautet: Die Gefühle aufschreiben, die einen gerade dazu drängen, etwas zu essen. Fünf bis zehn Sätze aufzuschreiben soll schon helfen, die Gedanken ans Essen zu vertreiben.

Natürlich sollte so nicht jedes Hungergefühl weggeatmet oder weggeschrieben werden. Wer an sich selbst aber beobachtet, dass er oder sie zu viel isst oder vor allem negative Gefühle damit bekämpft, könnte es durchaus mal mit einer dieser Methoden versuchen.

Verwendete Quellen:

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.