Der Dieselskandal hat den Blick der Öffentlichkeit wieder auf Schadstoffe in der Luft gelenkt. Aber nicht erst seit der Affäre um die geschönten Abgaswerte ist bekannt: Die unter anderem von Dieselmotoren emittierten Stickstoffoxide gefährden die Gesundheit.
Mehr als 10.000 Menschen, schätzte die Europäische Umweltagentur in einem vor zwei Jahren veröffentlichten Bericht, sollen 2012 in Deutschland gestorben sein, weil sie Stickstoffdioxid (NO2) ausgesetzt waren.
Laut Umweltbundesamt werden "bei hohen NO2-Konzentrationen (...) mehr Menschen wegen Atemwegserkrankungen ins Krankenhaus eingewiesen".
Auch eine "hohe Zunahme der Herz-Kreislauf-Erkrankungen und der Sterblichkeit" könne beobachtet werden.
Stickstoffdioxid greift Atemwege an
Doch was macht diese Mischung aus Stickstoff und Sauerstoff eigentlich so gefährlich? Kurz erklärt: NO2 ist ein Reizgas und greift als solches die Atemwege an.
"Wegen seiner geringen Wasserlöslichkeit gelangt der überwiegende Anteil des eingeatmeten NO2 bis tief in die Lunge, wo es mit den Oberflächenzellen in Kontakt kommt und absorbiert wird", erklärte der Humanökologe Hans-Guido Mücke vom Umweltbundesamt unserer Redaktion.
Die dadurch entstandenen Verbindungen greifen dann die Zellwände an. Die Folgen können von akutem Husten über eine höhere Anfälligkeit für eine Bronchitis bis hin zu akuter Atemnot reichen. Für Letzteres muss allerdings viel Stickstoffdioxid in der Luft sein.
"Dies wurde bisher nur bei akuter Exposition gegenüber sehr hohen NO2-Konzentrationen zwischen 10 bis 20 Milligramm pro Kubikmeter Luft festgestellt", so Hans-Guido Mücke.
Sind die Grenzwerte zu hoch?
Zum Vergleich: Die Grenzwerte, die innerhalb der Europäischen Union gelten, liegen bei 40 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft. Die oben erwähnte gefährliche Konzentration liegt beim 250- bis 500-Fachen dieses Wertes.
Der Einstundenmittelwert von 200 Mikrogramm, der 18-mal im Jahr überschritten werden darf, ist immer noch "nur" ein Hundertstel – dennoch halten viele Wissenschaftler diese Grenzwerte noch für zu hoch.
"Laut derzeitigem Wissensstand gibt es keine gesundheitliche Wirkungsschwelle von NO2", sagt Myriam Tobollik, Gesundheitswissenschaftlerin beim Umweltbundesamt. "Das heißt, dass auch Konzentrationen zum Beispiel unterhalb des Einstunden-Grenzwertes die Gesundheit gefährden und zu Atemwegserkrankungen führen können."
Auch die Epidemiologin Annette Peters vom Helmholtz Zentrum München sagt, dass schon Belastungen unterhalb der Grenzwerte Auswirkungen auf die Gesundheit hätten.
Vor allem Asthmatiker und Allergiker seien betroffen. Bei Asthmatikern habe man etwa festgestellt, dass sie mehr Beschwerden hätten, wenn zum Beispiel zu einer Pollenbelastung auch noch eine Belastung durch Stickstoffdioxid hinzukomme.
Bei Allergikern wirkt sich die NO2-Belastung eher indirekt aus: In Experimenten, so Peters, habe man zeigen können, dass mit Stickstoffdioxid belastete Pollen stärkere Allergien auslösten als unbelastete.
Kinder haben ein höheres Asthma-Risiko
Neben Allergikern und Asthmatikern sind Personen mit chronischer Bronchitis, ältere Menschen mit Herz-, Stoffwechsel- oder Atemwegserkrankungen und Kinder besonders gefährdet.
"Das hat damit zu tun, dass sie relativ gesehen mehr atmen und Schadstoffe aufnehmen als Erwachsene. Und dass sie kleiner sind und damit näher an den Auspuffen der Autos", erklärt Michael Barczok vom Lungenzentrum Ulm unserer Redaktion.
Es gelte als erwiesen, dass das Lungenwachstum von Kindern durch Stickstoffoxide beeinträchtigt werde und Kinder häufiger Asthma entwickelten, wenn sie in Verkehrsnähe wohnten. "Das Asthmarisiko steigt bei einer um zehn Mikrogramm pro Kubikmeter höheren Belastung um 15 Prozent."
Gesunde Menschen reagieren indes auf eine kurzfristige erhöhte Belastung mit Stickstoffdioxid kaum.
Was zum Teil auch erklärt, dass es für Arbeiter, etwa in einer Metallfabrik, deutlich höhere Grenzwerte gibt - nämlich bis zu 950 Mikrogramm pro Kubikmeter.
"Grenzwerte für allgemeine Umweltbelastungen gelten für die gesamte Bevölkerung, vom Kind bis zur älteren Person und bei einer 24-stündigen Belastung", erklärte Simone Peters vom Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), gegenüber dem BR - und nicht für gesunde Erwachsene an einem Acht-Stunden-Arbeitstag.
Auch Zusammenhang zu Diabetes?
Langfristig können jedoch auch gesunde Menschen von der schlechten Luft krank werden.
Menschen, die an stark belasteten Wohnorten lebten, hätten zum Beispiel ein erhöhtes Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben, sagt Annette Peters vom Helmholtz Zentrum.
Neuere Studien zeigten zudem einen Zusammenhang zwischen NO2-Belastung und dem Risiko, Diabetes zu bekommen.
Zu den wichtigsten NO2-Produzenten zählen Dieselfahrzeuge, Kraftwerke und Industrieanlagen. "Produzenten" deshalb, weil Stickstoffdioxid hauptsächlich durch Verbrennung entsteht, aus Stickstoff und Sauerstoff, bei hohen Temperaturen.
Da der Dieselmotor bei höheren Temperaturen verbrennt als ein Benziner und zudem mit einem Luftüberschuss arbeitet, stoße er auch mehr NO2 aus, schreibt das Umweltbundesamt.
Es gibt Ansätze, um die Dieselabgase NO2-ärmer zu machen (Stichwort "Adblue"), allerdings ist das Konzept noch nicht ausgereift.
Wer übrigens wissen will, wie hoch die Stickstoffdioxid-Konzentration in seiner Stadt oder Region gerade ist, kann sich die aktuellen Werte auf den Karten des Umweltbundesamtes ansehen.
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