Seit zwei Wochen ist der neue und alte Premier Griechenlands im Amt. Für Verzögerungen im Reformplan, den Alexis Tsipras im Gegenzug für weitere Milliardenhilfen erfüllen muss, ist jetzt keine Zeit mehr. Der Druck, der auf ihm lastet, scheint größer denn je.

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Sein Wahlerfolg birgt zugleich ein großes politisches Risiko. Seit der alte und neue griechische Premier Alexis Tsipras vor zwei Wochen in seinem Amt bestätigt wurde, ist seine Aufgabe kein bisschen leichter geworden. Denn das Votum hat der 41-jährige Chef des Linksbündnisses Syriza mit dem Versprechen gewonnen, die Auswirkungen des Sparprogramms mit einem Parallelprogramm abzufedern. Gleichzeitig legte der Premier einen Haushaltsplan vor, der sich streng an die Vorgaben der Geldgeber hält. Noch vor acht Monaten, als Tsipras zum ersten Mal gewählt wurde, versprach er hingegen das Ende des Spardiktats von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) – inzwischen ist auch der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) als vierte Partei hinzugekommen. "Das Phänomen seiner Unterstützung liegt in der Überzeugung der Griechen, dass er der Einzige ist, der die einstige Troika konfrontiert", erklärt der Griechenlandexperte Pawel Tokarski von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Doch genau damit muss nun Schluss sein: Denn Tsipras hat er sich gerade erst im Namen seines Landes für ein weiteres Paket verpflichtet: Bis zu 86 Milliarden Euro kann Athen in den nächsten drei Jahren bekommen – wenn es im Gegenzug Reformen umsetzt. 13 Milliarden haben die europäischen Geldgeber Griechenland bereits im August überwiesen. Weitere drei Milliarden Euro können im Lauf dieses Monats ausbezahlt werden – wenn Tsipras den durch die Wahlen in Verzögerung geratenen Reformplan wieder aufnimmt. Die Erwartungen sind enorm.

Überstunden für neue Gesetze

Bis zum 31. Oktober muss der griechische Regierungschef nicht weniger als 48 Gesetzesvorschläge durch sein Parlament bringen. Einige der Reformen waren bereits für September vorgesehen, konnten nach Tsipras' Rücktritt und den nachfolgenden Neuwahlen aber nicht umgesetzt worden. "In den nächsten Monaten steht eine Menge Arbeit an", mahnte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem. Am Montag war die Runde der 19 Finanzminister in Luxemburg zusammengekommen, um, wie es der französische Kassenwart Michel Sapin formulierte, "die Temperatur der neuen Regierung zu fühlen".

Man wollte wissen, ob Tsipras mit seiner knappen Mehrheit im Parlament (155 von 300 Sitzen) die nächsten Reformen zügig wird umsetzen können. Zwar hat sich in der Zwischenzeit einiges getan: So hat die Regierung die bislang von der erhöhten Mehrwertsteuer ausgenommen Ägäis-Inseln nun ebenfalls mit dem Satz von 23 Prozent belegt. Doch die nun anstehenden Gesetzesvorhaben bergen Konfliktpotenzial: Neben der Anhebung des Renteneintrittsalters und der endgültigen Einschränkung von Frührenten sind weitere Einschnitte bei den Bezügen geplant. Außerdem muss Tsipras ein glaubhaftes Konzept zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung vorlegen – andernfalls bleibt jede Erhöhung des Obolus ohne Effekt. Zudem sollen Dienstleistungen künftig liberalisiert werden, bei den sogenannten "geschlossenen Berufen" wie Taxifahrer oder Touristenführer die Zugangsbeschränkungen fallen.

Vieles davon ist allerdings nicht neu: Fast die Hälfte der Vorhaben verlangten die Geldgeber bereits von der Vorgängerregierung unter Antonis Samaras während des zweiten Hilfspakets. Der Konservative hatte die Reformen zugesagt – aber nie umgesetzt. Das könnte auch unter Tsipras passieren. Zwar geht Experte Tokarski davon aus, dass "die Koalition alle von den Institutionen geforderten Maßnahmen einführen wird" – allerdings nur, um Ende des Jahres eine positive Bewertung des laufenden Programms zu erhalten. "Es könnte gut sein, dass die Reformen hauptsächlich auf dem Papier stattfinden", warnt Tokarski.

Dem will die EU-Kommission mit einer Prüfung vorbeugen. Sie soll vor Ende November abgeschlossen sein, kündigte der EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici an. Von ihrem Ergebnis wird abhängen, ob der IWF sich überhaupt finanziell am dritten Hilfspaket beteiligt. Und davon, ob Griechenland die am 13. Oktober fällige Rate über 450 Millionen Euro – eine Rückzahlung, die noch aus dem ersten Hilfspaket von 2010 stammt – pünktlich bezahlt. Doch selbst dann ist eine Beteiligung des Washingtoner Fonds noch nicht sicher: Denn dort fordert man deutliche Schuldenerleichterungen für Griechenland. Tsipras hat sie zu seinem erklärten Ziel seiner zweiten Amtszeit gemacht. Nach den Reformen wolle er sich für eine Minderung der griechischen Milliardenlast einsetzen, kündigte der Premier bei seiner Regierungserklärung an.

Konflikt mit Geldgebern droht erneut

Doch nur, wenn sich der Syriza-Chef an den Fahrplan der Geldgeber hält, werde man die Debatte darüber überhaupt eröffnen, machte die Eurogruppe am Montag deutlich. "Ich bezweifle, dass Tsipras mehr als verlängerte Laufzeiten und niedrige Zinsen bekommen wird", betont Politikwissenschaftler Tokarski. Das aber wäre für den griechischen Regierungschefs nur schwer hinnehmbar, fürchtet der Experte – und könnte zu neuen Konflikten mit den Geldgebern führen.

Ein weiterer Stolperstein birgt der derzeit von der EZB initiierte Stresstest der vier größten griechischen Banken. Das Ergebnis des Tests wird am 25. Oktober erwartet. Doch schon bis Mitte Dezember müssen die Banken laut Fahrplan der Geldgeber saniert sein. Dafür hat der ESM bereits zehn Milliarden Euro bereitgestellt. Weitere 15 Milliarden Euro bedürfen der Zustimmung der Eurofinanzminister. Sie fordern im Gegenzug weitere Reformen, die Tsipras vor noch größere Herausforderungen stellen dürften: Denn dann müssen auch die Steuervorteile für Landwirte aufgehoben werden, die Rentenkassen eine glatte Bilanz vorweisen (also nicht mehr ausgeben, als sie einnehmen) und der öffentliche Dienst von seinen überhöhten Vergütungen befreit werden.

Gleichzeitig stehen die Prognosen für Griechenland denkbar schlecht: In diesem Jahr wird ein Konjunktureinbruch von 2,3 Prozent erwartet, für 2016 prognostiziert das hellenische Finanzministerium noch ein Minus von 0,5 Prozent. Erst 2017 rechnet man mit neuem Wachstum. Gleichzeitig dürften die Staatsschulden des Landes 2016 die 200-Prozent-Marke durchbrechen. "Die Debatte um einen Grexit ist endgültig Vergangenheit", gab sich Tsipras bei seiner Regierungserklärung nichtsdestotrotz optimistisch. "Es scheint, als wollten Frankreich und Deutschland Griechenland mindestens bis 2017 in der Eurozone halten, wenn in beiden Ländern gewählt wird", meint hingegen Politikwissenschaftler Tokarski: "Das wird aber keinesfalls leicht werden."

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