Die Terror-Miliz IS schließt offenbar ein gefährliches Bündnis. In Syrien soll sie sich mit der Al-Kaida-nahen Gruppe Al-Nusra zusammengetan haben. Experten warnen: Ein Bündnis mit Al-Kaida würde zur Globalisierung des Terrors unter dem Banner des IS führen - und könnte bald andere Länder erreichen.

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Der Islamische Staat (IS) scheint sich mit der bisher verfeindeten Terrorgruppe Al-Kaida zu verbrüdern. So wurde bekannt, dass sich der IS offenbar mit der in Syrien operierenden Al-Nusra-Front verbündet hat. Sie ist eng mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida verstrickt.

Medienberichten zufolge trafen sich sieben militante Führer der Terror-Gruppen am 2. November in Nordsyrien und beschlossen, gemeinsam gegen ihre Gegner zu kämpfen. Experten halten das für möglich und sehen in einem solchen Bündnis eine große Gefahr.

Terror gewinnt an Schlagkraft

Für den Islamwissenschaftler Christoph Günther ergibt ein solches Terror-Bündnis strategisch gesehen einen Sinn. "Denn der IS gerät durch das Bombardement durch die US-Streitkräfte immer mehr unter Druck", sagt der Experte. Inwiefern das Bündnis aber belastbar ist, werde sich zeigen.

Zwischen den Gruppen gibt es vor allem ideologische Unterschiede. In der Vergangenheit habe sich gezeigt, dass sich ähnliche Bündnisse allein aus strategischer Notwendigkeit heraus nicht bewährt haben. "Als lokales Phänomen werden beide Gruppen jedoch an Schlagkraft gewinnen", meint Günther.

Terror-Experte Rolf Tophoven sieht das ähnlich. "Wenn die Berichte stimmen, dass sich der IS und Al-Nusra in Syrien verbündet haben, dann stärkt das den militanten Islamismus und damit den IS." Seiner Einschätzung zufolge würde ein solches Bündnis die terroristische Schlagkraft erhöhen.

Globalisierung des Terrors unter dem Banner des IS

Eine große Gefahr sieht Tophoven in der weltweiten ideologischen Vernetzung der Al-Kaida-Terroristen. "Diese Art Brüdergemeinde reicht vom südasiatischen Raum bis nach Afrika und Europa. Ein Bündnis von Al-Kaida mit dem Islamischen Staat würde eine Globalisierung des Terrors unter dem Banner des IS bedeuten."

Nach Einschätzung Tophovens würde der IS in einem Bündnis mit Al-Kaida seine Führungsrolle behaupten. "Die schwer nachvollziehbare Attraktivität der Terror-Miliz würde sich dadurch erhöhen, eine Aufwertung erfahren." Die Dschihadisten schaffen es, in eroberten Städten und Gebieten Anhänger zu finden. Es gelinge ihnen, dort administrative Strukturen aufzubauen. "Auch das erhöht seine Attraktivität", sagt Tophoven.

Nach Recherchen der "Süddeutsche Zeitung" (SZ), des NDR und WDR hat die Terrororganisation offenbar bereits weitgehende staatliche Strukturen errichtet. Das sollen interne IS-Dokumente belegen, die den Medien vorliegen. So gebe es innerhalb der Terrororganisation eine Krankenversicherung, Heiratsbeihilfen und Unterstützungszahlungen für die Familien getöteter oder inhaftierter Kämpfer. Zudem sollen IS-Provinzen über eigene Etats verfügen und sich durch eine Art Länderfinanzausgleich helfen, berichtet die "SZ" in ihrer Wochenendausgabe.

IS ist große Gefahr für Staaten des arabischen Frühlings

Eine besondere Gefahr besteht auch für die Länder des Arabischen Frühlings. In einer am Donnerstag aufgetauchten Tonaufnahme soll IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi eine Ausdehnung des "Islamischen Staates" angekündigt haben – unter anderem auf Algerien, Libyen und Ägypten. Kampfesunwilligen drohte er harte Strafen an.

Dass sich der IS auch in diesen Ländern festsetzt, halten die Experten Tophoven und Günther für möglich. "Aus dem Arabischen Frühling ist ein bitterer Winter geworden. Die Gefahr, dass terroristische Nester in solch fragilen Staaten ihren Platz finden, ist groß. Eine Solidarisierung der Dschihadisten in diesen Ländern mit den militanten IS-Terroristen halte ich durchaus für möglich." Auch der Libanon könnte früher oder später mit hineingezogen werden, sagt Günther. Für Tunesien und Marokko sieht er dagegen keine Gefahr.

Die Gründe für eine Ausbreitung der Islamisten liegen zum einen im Feindbild. "Der IS spricht einen nahen Feind an: die aktuellen, meist prowestlich orientierte Regime. Für die Al-Kaida unter Osama bin Laden war es immer der ferne Feind: die USA", sagt Tophoven.

Islam-Experte Günther sieht zudem in der Glorifizierung des Islamismus einen wichtigen Grund. "Die Terror-Gruppen schaffen es, den Menschen eine Antwort auf ihre Fragen und Nöte zu geben. Die erreichen auf geschickte Art und Weise, sich zu legitimieren"

Obama zur Strategie-Änderung gezwungen

Ein Terror-Bündnis zwischen Al-Kaida und dem IS könnte der US-Strategie einen schweren Schlag im Kampf gegen die Extremisten versetzen. Experten halten eine rein militärische Strategie für nicht ausreichend, um das Problem in den Griff zu bekommen. Islam-Experte Günther ist der Auffassung, dass man den IS und Al-Kaida vor allem von "innen heraus ideologisch angreifen [muss] und zwar religiös fundiert." Dem pflichtet Oberstleutnant i. G. Oliver Tamminga von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin bei. "Die Luftangriffe verschaffen zunächst einmal Zeit. Sie schwächen die Kämpfer des IS", sagt Tamminga. Allerdings bedarf es "einer Gesamtstrategie im Kampf gegen den IS, die den Konflikt politisch, ethnisch und religiös löst."

Dazu seien auf jeden Fall Bodenoffensiven erforderlich. "Ich bin der festen Überzeugung, dass der Konflikt vor Ort nur durch Streitkräfte vor Ort zu lösen ist – allerdings nicht durch ausländische Truppen. Diese würden als Besatzer wahrgenommen", sagt Tamminga.

Auch Terror-Experte Tophoven hält eine Strategieanpassung für notwendig: "Die Luftangriffe wirken nur partiell. Um den flächenmäßigen Vormarsch der Terror-Miliz zu stoppen, muss eine Luft- und Bodenoffensive her. Sollte es wirklich zu einer Fusion des IS und Al-Kaida kommen, ist eine große US-Operation von Nöten – ob es Barack Obama passt oder nicht." Bereits jetzt seien zahlreiche US-Spezialkräfte im Irak und Syrien, die Jagd auf den IS -Chef Abu Bakr al-Baghdadi machen.

Der Hydra den Kopf abschlagen

"Ein wichtiger, ein symbolkräftiger Schlag gegen den IS wäre, den Terror-Chef al-Baghdadi außer Gefecht zu setzen. Das wäre zwar wie einer Hydra den Kopf abzuschlagen und andere neue Köpfe wachsen nach. Doch es würde die Miliz bis ins Mark treffen. Die Frage ist dann nur, ob al-Baghdadis Nachrücker eine ebensolche Strahlkraft hätten. Denn der selbsternannte Kalif al-Baghdadi ist für die Menschen in seinem IS eine nicht zu unterschätzende Symbolfigur." Es werde sicher keine zehn Jahre dauern, bis die Amerikaner den selbsternannten Kalifen zur Strecke bringen, vermutet Tophoven.

Die Experten:

Rolf Tophoven, Terror-Experte und Direktor des Instituts für Krisenprävention (IFTUS) in Essen

Dr. Christoph Günther, Islamwissenschaftler und Irak-Kenner, Universität Leipzig

Oberstleutnant i.G. Oliver Tamminga, Dipl. Pol., Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin

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