Ein europäisches Forschungsteam hat einen Weltrekord bei der Energiegewinnung mittels Kernfusion verkündet. Dennoch wird es noch sehr lange bis zum Einsatz dieser Technik dauern.

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Die europäische Kernfusionsanlage "Jet" hat einen Weltrekord bei der Energieerzeugung aufgestellt. Die Anlage Joint European Torus ("Jet") in Großbritannien habe aus 0,2 Milligramm Brennstoff 69 Megajoule Energie gewonnen, teilte das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München am Donnerstag mit. Das sei die größte Energiemenge, die je in einem Fusionsexperiment erreicht wurde. "Für die gleiche Energiemenge hätte es etwa zwei Kilogramm Braunkohle gebraucht – also rund zehn Millionen Mal so viel", schreibt das IPP, das an dem Projekt beteiligt ist.

Auch bei diesem Rekord sei jedoch keine positive Energiebilanz entstanden. Es sei rund dreimal mehr Energie hineingesteckt worden als herausgekommen sei, sagte Athina Kappatou vom IPP. An der Fusionsanlage "Jet" sind neben Deutschland und Großbritannien zahlreiche weitere europäische Länder beteiligt. Damit sollen grundlegende Erkenntnisse zum Bau von Fusionskraftwerken gewonnen werden.

Einfaches Prinzip - komplizierte Umsetzung

Das Prinzip ist einfach: Wie in der Sonne werden bei großer Hitze Wasserstoffatome zu Helium verschmolzen. Die bei der Sonne dabei freiwerdende Energie versorgt etwa die Erde mit Licht und Wärme. Ein Fusionskraftwerk soll einmal ebenfalls Energie liefern. So verheerende Unfälle wie in Kernkraftwerken, in denen Atome gespalten werden, sind nicht möglich. Im Falle einer Störung in Fusionsanlagen würde die Temperatur fallen und daraufhin die Reaktion abbrechen.

In der Praxis ist die Energiegewinnung komplex: Grundlage sind Wasserstoffatome mit unterschiedlichem Gewicht, sogenannte Wasserstoffisotope. Im "Jet" werden die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zu einem extrem heißen Plasma erhitzt. Darin sind die Bestandteile der Atome, die positiv geladenen Kerne und die negativ geladenen Elektronen, voneinander getrennt. Aufgrund der Ladungen kann das Plasma durch ein sehr starkes Magnetfeld in einem ringförmigen Reaktor in der Schwebe gehalten werden. Das ist wichtig, damit es nicht in Kontakt mit den Gefäßwänden kommt und abkühlt. Im Zentrum des Plasmas können rund 150 Millionen Grad herrschen.

Die extrem hohen Temperaturen sind nötig, damit die zwei positiv geladenen Atomkerne genügend Energie haben, um ihre Abstoßung zu überwinden und zu verschmelzen. Bei der Fusion werden neutrale Teilchen (Neutronen) frei, die sehr viel Energie enthalten. Damit soll bei einem Fusionskraftwerk einmal Wasser erhitzt werden, so dass dessen Dampf eine Turbine antreiben kann - eine Stromproduktion wie bei vielen anderen Kraftwerken auch.

"Tatsächlich ist ein 'Energiegewinn' physikalisch mit Jet und allen anderen derzeitigen Magnetfusionsexperimenten weltweit nicht möglich", schreibt das IPP. "Denn für eine positive Energiebilanz müssen diese Fusionsanlagen eine bestimmte Größe überschreiten." Dies sei erst bei der im Bau befindlichen Anlage "Iter" (International Thermonuclear Experimental Reactor) in Südfrankreich der Fall. Dabei machen unter anderem China, die EU, Russland und die USA mit.

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Rekord-Experiment war gar nicht geplant

Rekordentladung von Jet
Aufnahme der Rekordentladung von Jet. © dpa / Ukaea/Eurofusion/dpa

Der Weltrekord am "Jet" gelang bereits am 3. Oktober 2023. Damit hat "Jet" seinen 2021 aufgestellten Rekord von 59 Megajoule übertroffen. Der aktuelle Rekord sei ein Nebenprodukt und nicht geplant gewesen, erläuterte Kappatou. Es sei eher darum gegangen, verschiedene Fragen zu beantworten, die für "Iter" wichtig seien.

Das Rekord-Experiment war nach IPP-Angaben eines der letzten bei "Jet". Nach vier Jahrzehnten sei der Betrieb Ende 2023 beendet worden. "Die Arbeit für die Forscher geht aber weiter", sagte Kappatou. Die Fülle der bei "Jet" gesammelten Daten werde sie noch jahrelang beschäftigen. Zudem werde nun etwa noch untersucht, wie das Plasma mit dem Material der Innenwand reagiert hat.

"Wir wissen jedoch, was die Hürden sind. Sie können gelöst werden. Fusion ist kein unlösbares Problem."

Athina Kappatou vom IPP

Auch "Iter" wird eine Forschungsanlage werden. Für die aktuellen Energieprobleme ist die Kernfusion laut Kappatou noch lange keine Lösung. "Wir wissen jedoch, was die Hürden sind. Sie können gelöst werden. Fusion ist kein unlösbares Problem", meinte sie.

"Die Idee ist, dass wir in Jahrzehnten ein Demonstrationskraftwerk haben, das zeigt, wie man Strom produziert und ins Netz einspeisen kann", sagte Kappatou. "Dieses wird schon nutzbaren Strom produzieren, aber eventuell noch nicht die Leistung, wie sie eine ganze Großstadt braucht." Sobald dies funktioniere, sei zu erwarten, dass etwa private Firmen größere Anlagen planen und bauen, "die dann ähnliche Mengen wie heutige Kraftwerke produzieren können".

Ende 2022 hatten US-Forscher verkündet, mithilfe von Lasern in einer Fusionsanlage Energie gewonnen zu haben: Bei dem Experiment an der National Ignition Facility (Nif) in Kalifornien wurde - wie in der Forschung üblich - nur die Energiebilanz des Plasmas selbst angegeben. Dabei wird nicht berücksichtigt, wie viel Strom etwa in die Laser geflossen ist. Damaligen Angaben zufolge benötigte die US-Anlage etwa 300 Megajoule Energie, um zwei Megajoule Laserenergie zu liefern, die drei Megajoule Fusionsausbeute erzeugten. (Simone Humml, dpa/sbi)

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