Am 21. Juli 1969 um 3:56 Uhr deutscher Zeit betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond. Dieses Jahrhundertereignis war das Ergebnis eines beinahe unvorstellbaren technologischen Kraftakts. Wir haben uns mit Dr. Walther Pelzer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt über die Herausforderungen und Gefahren der "Apollo 11"-Mission unterhalten - und darüber, warum es nach wie vor wichtig ist, Menschen ins Weltall zu schießen.

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Dr. Pelzer, wenn man bedenkt, dass wir bis in die Achtziger hinein noch Telefone mit Wählscheibe benutzt haben: Wie muss man sich die technologische Herausforderung einer Mission wie der "Apollo 11" vor dem Hintergrund der Gegebenheiten im Jahr 1969 vorstellen?

Walther Pelzer: Das muss man sogar im Kontext der Zeit sehen, in der die Mission angekündigt wurde: Das war 1961, als Präsident John F. Kennedy bekannt gab, dass man einen Astronauten zum Mond und auch lebend wieder zurück bringen wolle.

Bis dahin war die größte Leistung der Amerikaner, dass sie erstmalig einen Astronauten ins All geschickt hatten, aber das war suborbital. Das heißt, er hat noch nicht einmal die Erde umrundet. Und jetzt wollten sie auf einmal ein Raumschiff bauen, das mehrere Astronauten zwei Wochen lang in einer menschenunfreundlichen und unbekannten Umgebung am Leben erhält.

Es musste ein Gefährt sein, mit dem man bis zum Mond fliegen kann, das auf der Mondoberfläche landet. Anschließend von dort auch wieder abhebt, zurückkommt und beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre Temperaturen aushält, die im Plasmabereich heißer sind als die Sonnenoberfläche.

Wenn man sich dann in die damalige Zeit versetzt - Sie haben vorhin das Beispiel mit der Wählscheibe genannt - kann man davon ausgehen, dass das damals fast unvorstellbar war. Computer füllten ganze Zimmer und konnten trotzdem nicht mit der Rechenleistung eines heutigen Smartphones mithalten. Das, wovon Präsident Kennedy da gesprochen hatte, war für die meisten Menschen wie Science-Fiction.

Es heißt, US-Präsident Richard Nixon habe zwei unterschiedliche Reden zum Abschluss der Mission vorbereitet. Neben der, die er tatsächlich gehalten hat, auch eine für den Fall, dass die Astronauten nicht lebend zurückkehren. Es muss also auch menschlich eine enorme Herausforderung gewesen sein.

Es heißt – aber das ist nicht gesichert –, man ging davon aus, dass die Astronauten eine Chance von 50:50 hatten, lebend zurückzukommen. Die Astronauten, ursprünglich Testpiloten, sind ein enormes Risiko eingegangen. Das waren Menschen, die eine gewisse Affinität dazu hatten, ihr Leben für die Erprobung neuer Technologien einzusetzen.

Die Mondlandung war eine Leistung, die kaum hoch genug bewertet werden kann. Wenn man in 500 oder 1.000 Jahren auf unsere Zeit zurückblickt, wird man über sehr wenig sprechen. Eine Leistung wird aber wohl mit Sicherheit genannt werden: Es war die Zeit, als die Menschen zum ersten Mal die Erde verlassen haben, um einen anderen Himmelskörper zu betreten. Das ist, glaube ich, das Eindrucksvollste, was wir – auf Jahrhunderte oder Jahrtausende gesehen – gemacht haben.

Bei den "Apollo"-Missionen ging es ja hauptsächlich darum, Menschen zum Mond zu befördern, um damit die eigene technologische Überlegenheit zu demonstrieren. Haben die Flüge dennoch einen praktischen Nutzen gebracht?

Die Missionen damals haben nichts mit der Raumfahrt zu tun, die wir heute machen. Heute dient Raumfahrt vor allem dem Nutzen der Menschheit. Damals war das ein Wettrennen vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, bei dem die Amerikaner nach der Erfahrung des "Sputnik-Schocks" von 1957 einfach zeigen wollten, dass sie den technologischen Vorsprung der Sowjetunion nicht nur einholen, sondern überholen können. Das war der eigentliche Grund.

Die Mission hat wissenschaftlich dennoch riesig eingeschlagen, allein schon aufgrund des Mondgesteins, das die Astronauten mitgebracht hatten. Damit konnte man zum ersten Mal analysieren, woher der Mond kam und wie er entstand. Auch die technologischen Entwicklungen, die daraus entstanden, sind enorm.

Allein dafür hätten die Amerikaner aber nicht die unglaublichen Mittel zur Verfügung gestellt. Damals lag ganz klar der Fokus auf der Demonstration der Überlegenheit eines politischen Systems gegenüber einem anderen.

Nach den "Apollo"-Missionen war das Interesse am Mond ja für lange Zeit augenscheinlich erloschen. Woran lag das?

Zunächst sind die Budgets signifikant nach unten gegangen. Und zweitens gab es einen Paradigmenwechsel. In den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung der Raumfahrt rückten die Wissenschaft und die kommerzielle Nutzung von Erkenntnissen, die man mit der Mikrogravitationsforschung erhalten konnte.

Man hat angefangen, Raumstationen zu bauen. Erst die Saljut, dann die Mir und das Skylab, das war alles noch in Ost und West getrennt. Aber dann kam die ISS. Die ISS ist für mich auf der einen Seite eine ingenieurtechnische Meisterleistung. Auf ihr wurden wissenschaftlich und technologisch beeindruckende Erkenntnisse gewonnen. Unser Gespräch würde eine Stunde dauern, wenn ich Ihnen erzähle, was Sie alles regelmäßig nutzen, was seinen Ursprung in der Weltraumforschung hat.

Aber was mich darüber hinaus begeistert, ist die Tatsache, dass der erste Mensch auf dem Mond ein Ergebnis des Kalten Krieges war. Die ISS ist ein Ergebnis von Zusammenarbeit und des Überwindens der früher verfeindeten Blöcke. Russen, Amerikaner, Europäer, Japaner, Kanadier, alle arbeiten auf der ISS zusammen und das völlig ungeachtet der Probleme, die wir auf der Erde haben. Im Weltraum stehen wir darüber. Wir haben mit der Raumfahrt einen Raum geschaffen, der zeigt, dass Menschen in der Lage sind, trotz Differenzen konstruktiv und im Sinne der Menschheit und dem Wohle aller zusammenzuarbeiten.

Das ist für mich neben dem riesigen wissenschaftlichen Wert, den wir aus der ISS ziehen, ein politischer Wert, den man nicht hoch genug schätzen kann. Vom Weltraum aus sieht man sehr viel, was uns hilft, die Erde zu verstehen, Lösungsbeiträge zu den gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klimawandel und Migration zu liefern und dauerhaft nachhaltiger zu werden. Das Einzige, was man von dort oben nicht sieht, sind Grenzen.

Inzwischen gibt es ja wieder mehrere Initiativen, die bemannte Missionen zum Mond planen. Warum müssen wieder Menschen dorthin fliegen? Haben wir nicht inzwischen hochentwickelte Sonden und Roboter, die das leisten können?

Es geht hier nicht um entweder Mensch oder Maschine, sondern um die ideale Kombination von Mensch und Maschine. Und da sind wir heute mit künstlicher Intelligenz und Robotern auf dem Weg dahin, dass wir eine wirklich gute Zusammenarbeit hinbekommen. Die Raumfahrt stellt hier ein ideales Testfeld dar.

Um nur ein Beispiel zu nennen: DLR, Airbus und IBM haben erst kürzlich mit CIMON den Deutschen Innovationspreis gewonnen. Das ist ein robotischer Begleiter, der die Astronauten unterstützen soll. Sie können sich CIMON wie einen Volleyball vorstellen, der in der Schwerelosigkeit auf der ISS schwebt und auch in der Lage ist, zu manövrieren. Mittels Spracherkennung kann er unterscheiden, welcher Astronaut ihn ruft und aus welcher Richtung er gerufen wird. CIMON kann die Astronauten bei der Durchführung der Arbeiten unterstützen, indem er dokumentiert oder Informationen zur Verfügung stellt. In Summe macht CIMON die Astronauten unabhängiger von anderer Hilfe und bereitet somit die Basis, um zum Beispiel älteren Menschen auf der Erde länger ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Abgesehen davon sind Roboter natürlich in der Lage, in Regionen zu gehen, in die der Mensch nicht hingehört. Auf den Mars sind bereits einige Lander und Rover mit unterschiedlichsten Instrumenten gelandet. Die führen die vorbereitenden Untersuchungen aus, um die Landung des ersten Menschen vorzubereiten.

Menschen werden gebraucht, um mit ihrer Kreativität, Entscheidungsfähigkeit und mit dem Herstellen von Zusammenhängen Schlussfolgerungen zu ziehen. Erkenntnisse erreichen uns Menschen oft erst dann, wenn sie mit Emotion gepaart werden – die mitreißenden Botschaften, die Alexander Gerst von der ISS gesendet hat, wären als "Datensalat" einer Maschine unbeachtet verpufft.

Ist der Mond aber aktuell nur deshalb interessant, weil er quasi ein Sprungbrett zum Mars darstellt?

Das stimmt nur zum Teil. Zuerst einmal hat man auf dem Mond Wasser entdeckt – das eröffnet völlig neue Möglichkeiten. Zusätzlich gibt es ein großes wissenschaftliches Interesse am Mond selbst.

Aber es ist schon richtig: Wenn man sich zum Mars begeben möchte, was der nächste große Schritt für die Menschen sein wird, muss man zunächst Technologien testen. Und die ISS ist mit 400 Kilometern noch relativ nah an der Erde. Der Mond ist schon weiter weg [mittlere Entfernung zur Erde: 384.400 Kilometer; Anm.d.Red.] und eignet sich zum Testen der Technologien, die wir für die lange Reise zum Mars benötigen.

Zweitens ist ein Start vom Mond zum Mars sehr viel leichter als von der Erde. Das ist sehr viel ökonomischer. Das Wasser auf dem Mond kann dabei als Basis zur Produktion von Sauerstoff und Treibstoff genutzt werden.

Über den Experten: Dr.-Ing. Walther Pelzer ist Vorstandsmitglied des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und zuständig für das Raumfahrtmanagement.

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