Es ist der Albtraum aller Eltern: Ihr Baby wird im Krankenhaus vertauscht und sie merken es erst viel später - wie zwei Familien in Vietnam, die sich gerade um ihre sechs Jahre alten Zöglinge streiten. Reinhold Altendorfer, Professor für Medizinrecht an der Münchner FOM Hochschule, erklärt, ob so etwas auch in deutschen Kliniken passieren kann.

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Herr Professor Altendorfer, wie oft werden Babys in Deutschlands Kliniken vertauscht?

Prof. Reinhold Altendorfer: Nicht oft. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Verwechslung vorkommt, ist vor der Zahl der Geburten in Deutschland verschwindend gering.

Leider gibt es weder verlässliche Zahlen, noch Studien oder Daten, die sich mit dieser Thematik beschäftigen. Das liegt daran, dass Geburtskliniken größtes Interesse haben, derartige Fälle nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen.

Wie alle Krankenhäuser in Deutschland buhlen auch Geburtskliniken um Patienten. Ein solcher Fall würde die Belegungszahlen für lange Zeit drastisch zum Sinken bringen.

Vor zehn Jahren führte die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) unter 481 Kliniken eine Umfrage durch. Hierbei wurden zwölf Verwechslungen genannt, wobei jede Mutter noch während des Aufenthalts im Krankenhaus ihr leibliches Kind wiederbekam und die Fälle teilweise schon lange zurücklagen.

Wie groß ist das Risiko einer Verwechslung in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern?

Das Verwechseln von Babys in Geburtsabteilungen ist nie mit hundertprozentiger Sicherheit auszuschließen - egal in welchem Land. Im Rahmen des Krankenhaus Risk Managements versucht man in Deutschland jedoch, auf geburtshilflichen Stationen Verwechslungen aktiv vorzubeugen.

Je größer die Abteilung, desto größer ist auch die Gefahr einer Verwechslung. In kleineren Geburtshäusern verlässt ein Säugling üblicherweise nicht das Zimmer ohne Beisein eines Angehörigen – die Gefahr einer Verwechslung ist damit äußerst gering. In Kliniken mit vielen Hunderten oder Tausenden Geburten steigt aber das Risiko.

Was wird alles getan, damit so etwas nicht passiert?

In viele Krankenhäusern wird das System der Doppelmarkierung praktiziert. Neugeborene werden zur Sicherheit an zwei Stellen, an beiden Handgelenken oder an Hand- und Fußgelenk, mit Namensbändchen markiert.

So soll vorgebeugt werden, dass sich eine Markierung löst. Rechtliche Vorgaben zur Prophylaxe einer Verwechslung bestehen nicht.

Gibt es eine standardisierte Vorgehensweise, wenn es bei uns zu einer Verwechslung kommt?

Gegenwärtig haben Eltern bei Zweifelsfragen einzig und allein die Möglichkeit, einen Gentest bei ihrem Kind vornehmen zu lassen. Dies impliziert aber auch die Gefahr, dass Kuckuckskinder entdeckt werden.

Was passiert, wenn die einen Eltern ihr leibliches Kind zurückhaben, die anderen es aber behalten wollen, wie beim aktuellen Fall in Vietnam?

Die Frage, ob ein ehelich geborenes, aber verwechseltes Kind von den leiblichen Eltern nach Jahren zurückgefordert werden kann, ist in Deutschland aufgrund fehlender Urteile kaum rechtssicher zu beantworten.

Denn dabei geht es um wesentliche und komplexe juristische Fragen. Nach § 1591 Abs. 1 BGB ist ein Kind ehelich, wenn es nach der Eheschließung geboren wird und die Frau es vor oder während der Ehe von ihrem Mann empfangen hat.

Dies gilt auch, wenn die Ehe für nichtig erklärt wird. Ein Kind ist nicht ehelich, wenn es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, dass die Frau das Kind von dem Mann empfangen hat.

Ein weiteres Problem sind erbrechtliche Fragen. Denn im deutschen Recht folgt die Erbfolge der Blutsverwandtschaft. Das heißt: Ein verwechseltes Kind kann also Erbe seiner leiblichen Eltern werden.

*Prof. Dr. iur. Dr. med. Reinhold Altendorfer hat Jura und Medizin studiert, lange als Hausarzt praktiziert und lehrt nun am Hochschulzentrum FOM in München, wo er auch eine Kanzlei für Medizinrecht betreibt
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