Der Untergang des Frachtschiffs Ourang Medan in der Südsee ist eins der unheimlichsten maritimen Rätsel des 20. Jahrhunderts. Schon bevor das Schiff in Flammen aufgeht und sinkt, sind alle Menschen an Bord tot. Was ist passiert?

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Überall auf den Decks und im Maschinenraum sind Leichen verstreut. Die Offiziere befinden sich im Steuer- und Kartenraum, der tote Kapitän liegt auf der Brücke. Alle Mitglieder der chinesischen Besatzung des Dampfschiffs Ourang Medan sind gestorben. Mysteriös: Ihre Gesichter sind voller Angst und Entsetzen, Augen und Münder sind weit aufgerissen, ihre Arme ausgestreckt und bereit zur Verteidigung.

Das ist der Anblick, der sich einem amerikanischen Suchtrupp im Juni 1947 bietet. Noch seltsamer für die Männer vom Schiff Silver Star: Keine einzige Leiche weist Kampfspuren auf, auch Blut ist nicht zu sehen. Der Finger des Bordfunkers berührt immer noch den Telegraphen, von dem aus er Notrufe gesendet hat.

SOS von der Ourang Medan

Denn die Silver Star registrierte zuvor einen Morsecode, der von dem holländischen Frachtschiff stammte: "S. O. S. von der Ourang Medan * * * Wir treiben. … Wahrscheinlich gesamte Besatzung tot. * * * Ich sterbe." Das Unglücksschiff befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Meerenge von Malacca zwischen Indonesien und Malaysia.

Daraufhin ändert die Silver Star ihren Kurs und findet die Ourang Medan. Zehn Mann schickt der Kapitän zur Untersuchung an Bord. Der Funkspruch erweist sich als wahr: Leichen überall. Aber der Suchtrupp entdeckt die Ursache für das Massensterben nicht. Auch ein Schaden am Schiff kann nicht festgestellt werden. Und das Logbuch ist nicht da. Seltsamerweise fehlt aber das Rettungsboot – und auf dem Schiff riecht es merkwürdig.

Doch plötzlich sind mehrere Explosionen zu hören, das Dampfschiff beginnt zu brennen. Der Suchtrupp kann sich von Bord retten, doch Stunden später sinkt der Frachter. Er nimmt seine Geheimnisse mit in 5000 Meter Tiefe.

Waren es Schmuggler?

Der Kapitän der Silver Star hat keine Erklärung für das Geschehen auf der Ourang Medan. In seinem Logbuch vermutet er, dass das Schiff wohl Sprengstoff, Munition oder Chemikalien geladen habe. Aber was ist wirklich passiert? Dazu gibt es zahlreiche Spekulationen.

Einige Historiker unterstützen die These des Kapitäns. Sie nehmen an, dass die Besatzung des Frachters in Schmuggelei verstrickt war. Dafür spricht, dass er wenig befahrene Routen gefahren ist, außer Reichweite der Behörden. Aber eines Tages tritt womöglich Meerwasser in den Frachtraum ein.

Durch das Aufeinandertreffen von chemischer Fracht und Salzwasser werden giftige Gase freigesetzt. Die Crew erstickt an den Dämpfen. Chemische Reaktionen lösen auch die anschließenden Explosionen aus.

Aber welche chemische Fracht könnte sich an Bord befunden haben? Einige Forscher glauben, es habe sich um japanisches Nervengas gehandelt. Das Militär des Landes soll es im Zweiten Weltkrieg in China zwischengelagert und nach Kriegsende an die USA übergeben haben. Um keine Spuren zu hinterlassen, muss für den Transport ein nicht registriertes Schiff her - eben die Ourang Medan. Beweise dafür sind aber nie aufgetaucht.

Kohlenmonoxid-Vergiftung oder Alien-Angriff?

Vielleicht ist die Erklärung für die Katastrophe auf hoher See auch viel einfacher. Ein unentdecktes schwelendes Feuer oder eine Fehlfunktion im Dampfkessel-System könnten Kohlenmonoxid freigesetzt und die Mannschaft vergiftet haben.

Anfang der 1950er Jahre vermuten manche sogar, dass ein paranormales Phänomen Schuld am Unglück ist. Die Besatzung könnte demnach von Außerirdischen angegriffen worden sein. Das würde erklären, warum die Toten entsetzt aussahen und keine natürliche Todesursache festgestellt werden konnte. Hatten sie die Arme ausgestreckt, um auf einen übernatürlichen Feind zu zeigen?

Der einzige Zeuge

Oder sind auf dem Schiff gar nicht alle Besatzungsmitglieder gestorben? Immerhin vermisst der Suchtrupp ja das Rettungsboot. Eine noch mysteriösere Erklärung für das Geschehen auf der Ourang Medan liefert ein Missionar von der Insel Taongi. Er berichtet von dem Offizier Jerry Rabbit, der in einem Boot angespült worden ist. Der Missionar rettet und pflegt ihn, doch der Mann stirbt wenige Tage danach an Erschöpfung.

Vorher erzählt er aber noch eine rätselhafte Geschichte: Sieben Besatzungsmitglieder des Unglücksschiffes sind heimlich mit dem Boot geflohen. Drei Wochen rudern sie ohne Wasser und Proviant über das Meer. Alle Männer sterben – bis auf Jerry Rabbit.
Ohne Papiere sei er zuvor in Shanghai vom Kapitän angeheuert worden.

In der Nacht vor dem Auslaufen nimmt das Schiff 7.000 Kisten mit unbekanntem Inhalt auf. 80 Seemeilen weiter südlich werden weitere 8.000 Kisten an Bord geladen. Rabbits Vermutung: Es handelt sich um Schmuggelware.

Der erste Tote an Bord

Nach zehn Tagen auf See erkranken die ersten Männer, ein Heizer stirbt. Der Kapitän erklärt, das Opfer habe einen Hitzschlag erlitten. Doch Rabbit zweifelt das an. Noch misstrauischer wird er, als in den nächsten Tagen Crew-Mitglieder im Maschinenraum über Magenkrämpfe klagen.

Rabbit forscht nach und entdeckt in den Schiffspapieren Informationen zur Ladung. Demnach hat die Ourang Medan 15.000 Kisten mit Schwefelsäure und Zyankali sowie 20 Kanister mit Nitroglycerin an Bord. Rabbit vermutet, dass einige Kisten undicht sind und giftige Blausäure gebildet haben. Als der Kapitän Rabbits Bitte nach einem Notruf ablehnt, kapert der Offizier das Rettungsboot mit anderen Männern und flieht.

Nur ein Geisterschiff?

Doch ob diese Geschichte der Wahrheit entspricht, ist ebenfalls nicht bewiesen. Womöglich haben der Missionar oder der Offizier gelogen? Weil von dem Unglücksfrachter keine offiziellen Unterlagen existieren und er nirgendwo registriert war, glauben manche, dass die ganze Katastrophe eine Erfindung gelangweilter Matrosen ist.

Die US-Küstenwache geht dagegen davon aus, dass die Ourang Medan tatsächlich als Geisterschiff übers Meer gefahren ist. Erhellend wären die Aussagen des Suchtrupps von der Silver Star gewesen. Doch keiner hat sich je öffentlich zu dem gruseligen Ereignis geäußert.

Vielleicht haben ja auch Verschwörungstheoretiker Recht: Sie spekulieren darüber, dass Regierungen ihre Finger im Spiel und Beweise vertuscht haben – womöglich, weil sie dunkle Geschäfte gemacht hatten, die nicht ans Licht kommen sollten.

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