Nach der furchtbaren Schlacht von Shiloh im amerikanischen Bürgerkrieg 1862 leuchten die Wunden zahlreicher verletzter Soldaten blau auf. Weil diese Männer häufiger überleben als die anderen, gibt man dem rätselhaften Leuchten den Namen "Angel's Glow". 150 Jahre später liefert ein 19-Jähriger eine wissenschaftliche Erklärung für das mysteriöse Glühen.
3.500 tote Soldaten liegen nach der Schlacht von Shiloh auf dem Schlachtfeld, 23.000 weitere sind schwer verwundet. Es war ein heftiges Gemetzel während des amerikanischen Bürgerkriegs. Ärzte beider Konfliktparteien eilen zu Hilfe und trauen ihren Augen kaum. Denn je näher sie den Verletzten kommen, desto häufiger sehen sie etwas für diese Zeit Unfassbares und Unerklärliches: Die Wunden zahlreicher Männer leuchten blau.
Später stellt sich heraus, dass vor allem die Verletzten mit dem rätselhaften blauen Schimmer überleben. Eine Erklärung dafür gibt es im Jahr 1862 noch nicht. Ärzte, Soldaten und Bevölkerung glauben an das Wunder einer göttlichen Macht. Sie taufen das Leuchten auf den Namen "Angel's Glow", Engelsglühen. Aber woher kommt die seltsame Erscheinung wirklich?
Bakterien lieben Schlachtfelder
Mitte des 19. Jahrhunderts tobt in Nordamerika der Bürgerkrieg. Die Schlacht von Shiloh am 6. und 7. April 1862 im US-Staat Tennessee gilt als eine der verheerendsten. General Ulysses S. Grant berichtet später: "Es war möglich, über das ganze Schlachtfeld zu laufen, ohne den Boden zu berühren, so war das Schlachtfeld mit Leichen bedeckt."
Der Ort des Schreckens liegt größtenteils in einem dichten, sumpfigen Wald. 3.500 Menschen kostet die Schlacht sofort das Leben. Die, die überleben, harren tagelang in Dreck und Regen aus und hoffen auf Hilfe - insgesamt 23.000. Doch die Zeit läuft gegen sie.
Einerseits ist das Immunsystem der meisten Soldaten bereits sehr schwach: Seit Monaten marschieren sie durchs Land, werden ständig in Kämpfe verwickelt, bekommen aber nur wenig zu essen. Das macht sie sehr anfällig für Infektionen. Nun kommen die Wunden der Schlacht hinzu, offene Schuss- und Bajonett-Verletzungen - in einer extrem krankheitsfördernden, feuchten Umgebung.
Die Schnitte, Schusskanäle und abgetrennten Gliedmaßen kommen in Kontakt Dreck und entzünden sich. Dieses Paradies für Bakterien sollte eigentlich das Todesurteil für viele Verletzte sein, denn die geschwächten Männer können selbst nicht gegen die Mikroorganismen ankämpfen. Und Ärzte wissen nicht, mit was sie es hier zu tun haben, Penicillin wird erst 1928 entdeckt.
Doch dann kommt der "Angel's Glow". Die Wunden der Verletzten beginnen blau zu leuchten. Und trotz schwerster Wunden und Tagen im Morast auf dem Schlachtfeld überleben viele Soldaten nach ihrer Bergung ihre Verletzungen. Es ist für die damalige Zeit ein Wunder, göttliche Intervention.
Per Wurm in die Wunde
Eine einleuchtende Theorie zum "Angel's Glow" wird erst Anfang des 21. Jahrhunderts aufgestellt – und das auch nur durch Zufall. Der 17-jährige Bill Martin besucht mit seiner Mutter das Shiloh-Schlachtfeld, und sie rätseln über den merkwürdigen Schimmer, welcher die Soldaten angeblich rettete. Der Junge stellt die Theorie auf, dass leuchtende Bakterien dafür verantwortlich sein könnten. Später überprüft er seine Hypothese: Es zeigt sich, dass er recht hat.
Das Geheimnis ist die enge Bindung bestimmter kleiner Würmer und Keime. Im Fall der Soldaten mit den blau leuchtenden Wunden handelt es sich um ein besonderes Teamwork. Fadenwürmer namens "Nematoden" und die Keime "Photorhabdus luminescens" leben in einer symbiotischen Zweckbeziehung: Die Bakterien siedeln sich im Wurm an.
Auf dem Schlachtfeld gelangen mit dem Dreck die Nematoden-Würmer in die Wunden. Sie bilden so eine Art Taxi für das leuchtende Bakterium Photorhabdus luminescens. Das Bakterium scheidet in einem Fremdkörper Gifte aus, die antibakteriell wirken. Sie töten andere Erreger und Bakterien, die sich dort tummeln. Der Vorteil für Wurm und Photorhabdus luminescens: Sie haben den Wirt für sich alleine.
Kalte Temperaturen sind die Rettung
Was eklig klingt, war in Wahrheit wohl die Rettung für die verletzten Soldaten: Die Mikroorganismen befreiten die Wunden von gefährlichen Krankheitserregern. Nematode und die Leuchtbakterien sind im Vergleich zu diesen harmlos und schaden Menschen nicht.
Doch zunächst bleibt ein weiteres Mysterium bestehen: Für Photorhabdus luminescens ist die menschliche Körpertemperatur eigentlich viel zu hoch. Die Bakterien brauchen es kühl, um zu überleben. Aber auch dafür findet Bill Martin eine Erklärung: Der "Angel's Glow" kommt auf dem Schlachtfeld nur zum Vorschein, weil die äußeren Umstände perfekt sind. Zwei Tage lang liegen die Verletzten schutzlos im Freien, und das im kalten, regnerischen April. Würmer und Leuchtbakterien finden in den schmutzigen Wunden der unterkühlten Körper eine perfekte Unterkunft. Und retten so das Leben vieler Soldaten.
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