Im Wald spazieren gehen, verlängert das Leben, meint zumindest ein 97-jähriger Leser in einem Leserbrief. Was steckt dahinter? Unsere Autorin hat es ausprobiert und war Waldbaden. Eine Kolumne.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Elena Matera (RiffReporter) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Vor zwei Jahren hat mir ein 97-jähriger Leser in einer E-Mail sein Geheimnis für ein langes Leben verraten: Einerseits sei es die Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern. Und dann wäre da noch der Wald, genauer: das Spazieren im Wald. Er wohnt, wie ich, in Berlin in einem Randbezirk.

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Das Gute an Randbezirken ist: Der Wald ist nicht fern. Jeden Morgen gehe er mit seiner Frau zwei Stunden im Wald spazieren – langsam und mit Pausen. Er meinte, dass der Wald ihn gesund halte, seiner Psyche und seinem Körper guttue. Und er habe sich fest vorgenommen, hundert Jahre alt zu werden. "Die zweieinhalb Jahre schaffe ich auch noch", schrieb er noch.

Ich habe den Leser auch einmal persönlich getroffen. Er erzählte mir, dass es ihn traurig mache, dass es dem Wald nicht gut gehe, gerade auch aufgrund des Klimawandels. Bei jedem seiner Spaziergänge würde er die Veränderungen sehen. Den Bäumen gehe es immer schlechter, die Kronen seien deutlich gelichtet.

Waldbaden wirkt sich positiv auf Psyche und Körper aus

Dass es dem deutschen Wald so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr geht, zeigt auch der letzte Waldzustandsbericht. "Man sollte doch das schützen, was man liebt", sagte der Leser zum Schluss des Gesprächs und riet mir, mit dem Waldbaden anzufangen. Also: In den Wald zu gehen, ihn zu spüren, in ihm zu baden. Erst wenn man den Wald zu schätzen wisse, könne man ihn auch schützen.

Und klar, nach dem Gespräch konnte ich nicht anders, als mich näher mit dem Thema zu beschäftigen. Waldbaden wird in Japan "Shinrin Yoku" genannt und ist dort als Therapie anerkannt. Japanische Studien belegen, dass sich der Wald positiv auf Psyche und Körper auswirkt. Der Grund: ätherische Öle, die von den Bäumen abgegeben werden. Sie sollen unter anderem den Blutdruck senken.

Das Gedankenkarussell abschalten

Es gibt sogar Waldbaden-Kurse für Anfänger – ich habe mich aus Neugier bei einem dieser Kurse angemeldet. Ein paar Monate nach dem Gespräch mit dem 97-Jährigen stand ich dann also neben Sigrid im Wald. Sigrid ist 62 Jahre alt und Entspannungspädagogin, die regelmäßig anderen Menschen erklärt, wie man eigentlich genau im Wald badet. Neben mir war an diesem Tag nur eine weitere Teilnehmerin mit von der Partei, die Rentnerin Karin.

Nach einem kurzen Gespräch ging es also los durch den Wald – für mich war es gefühlt im Zeitlupentempo. Was ich schnell bemerkte: Beim Waldbad ist es wichtig, ruhig und vor allem langsam zu sein. "Wir wollen wahrnehmen und das Gedankenkarussell abschalten", wisperte Sigrid mir zu.

Waldbaden folgt keiner festen Regel

Während des dreistündigen Waldbads betrachteten wir Knospen, Blüten und Bäume. Wir beobachteten Eichhörnchen, lauschten den Vögeln. Und ja, wir haben auch Bäume angefasst – aber nicht umarmt. Wir haben Moos und Blätter berührt. Und zugegeben: So ganz konnte ich mich nicht fallen lassen. Normalerweise spaziere ich mit Musik in den Ohren herum oder gehe zügiger den Weg entlang. Langsam und achtsam durch den Wald zu gehen, ist mir daher schwergefallen.

Aber das Gute ist: Waldbaden folgt keiner festen Regel. Auch Sigrid machte nur Vorschläge, wie: "Kopf hoch! Schau in die Baumkronen." Sie versuchte auch, unsere Sinne zu schärfen: "Was hörst du? Was siehst du? Was fühlst du?"

Die Geräusche, die man im tiefen Wald hört, sind natürlich, nicht menschengemacht: Vogelgesang, der Wind, das Rascheln der Blätter – all das löst oft positive Emotionen aus, sagen Wissenschaftler. Wie und warum die Natur diesen Effekt hat, welche Hirnregion dabei stimuliert wird, ist bislang allerdings noch nicht geklärt.

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Ein Besuch im Grünen gegen Depressionen

Was man auf jeden Fall sagen kann: Der Wald wirkt sich positiv auf die Psyche aus, etwa bei Stress. Forschende aus Finnland haben etwa nachgewiesen, dass ein Besuch im Grünen die Wahrscheinlichkeit senkt, dass Menschen zu Medikamenten gegen Depressionen greifen. Eine andere Studie zeigt, dass es genügt, sich nur 20 Minuten in Parks, im Wald oder auf anderen Grünflächen aufzuhalten, um weniger Stress zu empfinden. Und wer in der Stadt lebt und Vögeln zuhört, auf Pflanzen schaut, soll sich sogar weniger einsam fühlen.

Schon auf dem Balkon zu sitzen und Bäume zu betrachten, kann zur Stressreduktion führen, negative Emotionen abmildern. Selbst Zimmerpflanzen können diese Wirkung haben, zeigen weitere Forschungsergebnisse.

Einige werden in der Natur kreativ, andere emotional

Nach gut zwei Stunden im Wald trennten wir uns für eine halbe Stunde. Jede sollte für sich sein, den Wald wahrnehmen, fühlen. Sigrid erklärte mir später, dass es diese Stille, die Momente des Innehaltens seien, die sie so am Waldbaden schätze. "Einige werden kreativ, wenn sie alleine in der Natur sind, andere emotional", sagte sie. Ich habe in der Zeit über alles Mögliche nachgedacht, war aber weder kreativ noch emotional. Einmal mehr habe ich festgestellt, dass es mir schwerfällt, mich vollständig auf den Moment einzulassen. Übrigens bereitet mir auch das Meditieren Schwierigkeiten. Die Gedanken zur Ruhe zu bringen – das möchte ich noch lernen.

An einer Buche ließ Sigrid dann das Waldbad ausklingen. "Die Buche beschützt uns, die Bäume beschützen uns, der Wald beschützt uns. Wir müssen ihn respektieren – denkt daran", sagte sie uns zum Abschied und ich musste in dem Moment auch stark an den 97-jährigen Leser denken, der auch davon sprach, dass wir den Wald schützen müssen – auch für uns selbst. Weil er uns guttut.

Naturkontakt führt zu mehr Klima- und Umweltschutz

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass mehr Naturkontakt dazu führt, dass auch mehr Klima- und Umweltschutz angewandt wird, dass mehr Naturräume erhalten bleiben, von denen Menschen auch gesundheitlich profitieren können. Die zunehmende Zerstörung der Natur führt gleichzeitig auch dazu, dass es uns psychisch schlechter geht. Am Ende hilft der Schutz der Natur, der Wälder also nicht nur dem Klima, sondern uns Menschen – ein Grund, mehr Leute für das Waldbaden zu begeistern.

Für mich persönlich habe ich festgestellt, dass ich wahrscheinlich doch eher die Spaziergängerin im Wald bin, als jemand, der im Wald badet. Dennoch: Ich bin seit dem Waldbaden-Erlebnis tatsächlich achtsamer und bemerke unterwegs all die Moose und Flechten, die auf Bänken oder an Wänden entlang wachsen. Vorher ist mir das nicht aufgefallen. Ich gehe jetzt auch öfter ohne Musik spazieren und höre hin, wenn Vögel zwitschern oder die Äste unter meinen Füßen knacken.

Jeden Tag zwei Stunden im Wald zu spazieren, schaffe ich dann zeitlich aber doch nicht. Vor ein paar Tagen wollte ich dem Leser schreiben, dass ich seinem Tipp gefolgt bin und jetzt endlich Waldbaden war. Leider habe ich dann erfahren, dass er nur wenige Monate nach unserem Gespräch verstorben ist. Er ist 98 geworden. Und manchmal, wenn ich in die Baumkronen schaue, muss ich an ihn denken.

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Verwendete Quellen

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