• Seit der Corona-Pandemie haben Online-Bestellungen deutlich zugenommen. Doch das Einkaufen im Internet gilt bei vielen als Klimasünde.
  • Viele Unternehmen werben mit dem Label "klimaneutral" für Produkte und Versand; kann man also doch mit gutem Klima-Gewissen online shoppen?
  • Wir erklären, was hinter den Labels steckt, wo die Probleme des Online-Handels liegen und worauf klimabewusste Verbraucher bei der Bestellung achten können.

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In der Vorweihnachtszeit herrscht bei Online-Shops und Versanddienstleistern Hochbetrieb: 2021 wurden im November und Dezember fast neun Millionen Pakete pro Tag an private Empfänger ausgeliefert, wie der Bundesverband Paket und Expresslogistik errechnet hat. Ein Rekord!

Kein Wunder, es ist ja auch so herrlich einfach: Ein Klick, Bestellung gesendet, wenige Tage später wird die Ware an die Haustür geliefert. Doch kann man in Zeiten zunehmender Bedrohungen durch den Klimawandel überhaupt mit gutem Gewissen online bestellen?

Klimaneutral bestellen: Geht das überhaupt?

Jede Form von Konsum hinterlässt Spuren in der Klimabilanz: Bei der Produktion und dem Transport von Waren lassen sich klimaschädliche Emissionen in Form von CO2 bestenfalls reduzieren, aber kaum völlig vermeiden. Viele Händler und Versanddienstleister werben dennoch mit Begriffen wie "klimaneutral" oder "CO2-neutral" - doch mit echter Klimaneutralität im Sinne von Null Emissionen hat das meist wenig zu tun.

Hinter dem Begriff "klimaneutral" stecken häufig Kompensationsmodelle: Unternehmen kaufen CO2-Zertifikate von Klimaschutzprojekten, damit ihre Klimabilanz - rein rechnerisch - am Ende bei null steht. Die Emissionen entstehen trotzdem. Aber sie werden kompensiert, so zumindest das Versprechen. Bei den Angaben sind Verbraucher auf die Unternehmen angewiesen, denn ein offizielles Label gibt es nicht.

"Begriffe wie "klimaneutral" wiegen Verbraucherinnen und Verbraucher in einer falschen Sicherheit", sagt Agnes Sauter von der Deutschen Umwelthilfe e. V. Dadurch werde der Eindruck vermittelt, dass alle negativen Folgen des Konsums kompensiert seien. "Das ist eben nicht der Fall."

Wirkung vieler Kompensationsprojekte zweifelhaft

Die Wirkung vieler Kompensationsprojekte sei zweifelhaft und der Zertifikatehandel gesetzlich völlig unreguliert. Häufig sei nur unzureichend nachgewiesen, dass die angebliche Kompensation auch tatsächlich stattgefunden habe oder der Klimaschaden langfristig tatsächlich ausgeglichen werden könne. Generell gelte: Reduktion ist besser als Kompensation. "Nur eine eingesparte Tonne CO2 bringt uns dem Klimaschutz näher", betont Sauter.

Besonders kritisch bewertet sie die Kompensationswirkung von Wald- und Wiederaufforstungsprojekten. "Mit fortschreitender Erderhitzung steigt das Risiko für Waldbränden, Dürren und Überschwemmungen – und damit wächst die Gefahr, dass die Bäume nur ein geringes Lebensalter erreichen." Doch bis aufgeforstete Wälder große Mengen CO2 binden können, kann es Jahrzehnte dauern. Zudem seien viele derartige Projekte mit Landnutzungskonflikten verbunden, da die lokale Bevölkerung häufig nicht in die Projekte eingebunden werde.

Ist Online-Shopping klimafreundlicher als der Einkauf im stationären Handel?

Das Problem mit dem Label "klimaneutral" betrifft alle Produkte - egal, ob sie online oder im Laden verkauft werden. Aber was ist aus Klimasicht die besser Alternative: Online-Bestellungen oder der Einkauf im stationären Handel? Eine Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2020 kommt zu dem Schluss, dass Online-Shopping gegenüber dem Gang ins Ladengeschäft aus ökologischer Sicht von Vorteil sein kann.

Ganz so einfach lässt sich diese Frage aber nicht beantworten, wie Oliver Buttler vom Verbraucherschutz Baden-Württemberg erklärt. "Pauschal zu behaupten, dass der Versandhandel klimaneutraler sei, halte ich für absurd.". Ein wichtiges Kriterium bei dieser Frage sei die "letzte Meile", also, wie der Weg vom Laden oder Zielpaketzentrum zum Verbraucher zurückgelegt wird. "Wenn ich zu Fuß oder mit dem Rad in die Stadt gehe, ist das sicher ökologischer als jeder Versandbestellung", sagt Buttler.

Auch wer ein ÖPNV-Ticket besitze und nach Feierabend noch schnell in der Stadt ein Geschäft aufsuche, werde kaum zusätzliches CO2 generieren. "Wenn aber in der Vorweihnachtszeit jeder vier oder fünf Mal in seinem privaten Pkw in die Stadt fährt, bis er ein Geschenk kauft, dann ist die Bilanz natürlich deutlich schlechter als bei einer gezielten Online-Bestellung."

Dieser Einschätzung teilt auch Agnes Sauter von der Deutschen Umwelthilfe. Transportiert würden die Pakete meist von einem überalterten Fuhrpark, der zumeist aus Dieselfahrzeugen bestünden, sagt Sauter. Tatsächlich setzen die meisten Versanddienstleister in ihren Logistikketten mehr auf Kompensation als auf aktive Vermeidung von CO2, wie eine Auflistung der Nachhaltigkeitsplattform "Utopia.de" zeigt.

Sauter kritisiert am Online-Handel zudem die häufige Zerstörung von Retour-Sendungen sowie eine unzureichende Rücknahme von Elektroaltgeräten. "Solche Umweltprobleme sind nach unserer Kenntnis bei der Studie des Umweltbundesamtes nicht berücksichtigt worden", erklärt Sauter.

Die größten Klima-Sünden des Online-Handels

Durch den kostenlosen Rückversand kommt es im Onlinehandel häufiger zu Mehrfachbestellungen. Was nicht passt oder nicht gefällt, wird einfach zum Nulltarif zurückgeschickt. Bei Kleidungsbestellungen kann die Retourenquote laut dem Bundesverband E-Commerce und Versandhandel sogar bei über 50 Prozent liegen. Allein durch Retoursendungen entstehen in Deutschland rund 400 Tonnen CO2-Emissionen jährlich.

Hinzu kommt, dass viele retournierte Waren vernichtet werden, obwohl sie noch voll funktionsfähig sind. Das ist für die Unternehmen billiger, als sie erneut für den Verkauf aufzubereiten. "Es ist davon auszugehen, dass im stationären Handel deutlich weniger Retouren getätigt werden, weil man sich die Ware vorher ansehen und anprobieren kann", sagt Agnes Sauter.

Ein weiteres Problem beim Online-Handel seien die überdimensionierten Verpackungen. Laut Expertenangaben bestünden Versandpakete im Schnitt zu zwei Drittel aus Luft und Füllmaterial – auch das führt zu höheren Klimaemissionen beim Transport. Und selbst wenn die Verpackungen aus Papier und Kartonagen bestehen, werden für ihre Herstellung Ressourcen verbraucht; recycelt werden sie in aller Regel nicht.

Doch nicht nur wie, sondern auch von wo ein Paket verschickt wird, ist für den Verbraucher meist nicht ersichtlich. "Online-Shops stellen sich häufig als deutsche oder europäische Firma dar, aber lassen aus China direkt versenden; das kann ich als Verbraucher nicht wissen", gibt Oliver Buttler vom Verbraucherschutz Baden-Württemberg zudem zu bedenken. Und selbst wenn: Es sei nicht transparent, ob es per Luftfracht, per Schiff oder über den Landweg versendet werde. "Das spielt für die Klimabilanz natürlich eine Rolle."

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Worauf sollten Verbraucher beim Online-Shopping achten?

Wer trotzdem nicht völlig auf Online-Shopping verzichten möchte, kann einiges beachten, um die Klimabilanz nicht zusätzlich zu verschlechtern. Vor jeder Anschaffung sollte immer die Frage stehen, ob ein Kauf überhaupt notwendig ist. Alles, was nicht gekauft wird, schont die Umwelt.

Hat man sich für einen Kauf entschieden, sollte man immer nur bestellen, was man wirklich braucht – und nicht Retoursendungen von vornherein in Kauf nehmen. Damit das Paket nicht eine zweite Runde im Versandtransporter zurücklegt, sollte auch jemand zu Hause sein, wenn es geliefert wird. Oder es wird direkt an eine Packstation geschickt.

Und muss es unbedingt immer Neuware sein? "Gebrauchte Waren sind in der Regel umweltfreundlicher", erklärt Agnes Sauter. Mittlerweile kann man Second-Hand-Produkte über zahlreiche Plattformen kaufen, was nicht nur die Umwelt, sondern auch den Geldbeutel schont. Generell sollte man bei Anschaffungen darauf achten, dass Produkte möglichst nachhaltig produziert wurden, langlebig sind und sich reparieren lassen. Damit lassen sich baldige Neuanschaffungen von vornherein vermeiden.

Besser lokal kaufen als online bestellen

Regionale Produktion sei ebenfalls ein wichtiger Umweltaspekt, ergänzt Sauter. Da hilft es nur, sich genau über den jeweiligen Händler oder Online-Shop zu informieren. Von wo stammen die Ressourcen für das Produkt? Wo wird produziert, in Europa oder Übersee? Mit welchen Projekten werden die CO2-Emissionen kompensiert? Welche Informationen stellen die Händler darüber zur Verfügung? Und sind diese Informationen für mich nachvollziehbar?

"Amazon, Zalando und Co., die ganzen große Plattformen, können nicht klimaneutral sein", sagt Buttler. Unter den großen Namen reihten sich meist viele kleine Untershops ein, für Verbraucher ist oft nicht ersichtlich, wer was von wo verschicke. "Es ist in jedem Fall besser, bei einem kleinen Händler lokal zu bestellen, als über große Plattformen." Aber auch diese sollte man vorher genau unter die Lupe nehmen.

Über die Experten:
Oliver Buttler ist Abteilungsleiter Telekommunikation, Internet und Verbraucherrecht bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
Agnes Sauter ist Leiterin des Bereichs Ökologische Marktüberwachung bei der Deutschen Umwelthilfe e.V.

Verwendete Quellen:

  • Deutsche Umwelthilfe: Werbeversprechen Klimaneutralität: Wie sich Unternehmen ein grünes Image kaufen
  • BIEK: Versorgungsaufgabe mit Bravour gemeistert
  • Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e. V.:bevh-Retourenkompendium
  • Utopia: Klimaneutraler Versand: Wer bietet ihn an? Was bringt er?
  • Umweltbundesamt: Die Ökologisierung des Onlinehandels: Neue Herausforderungen für die umweltpolitische Förderung eines nachhaltigen Konsums
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Der online Handel in Deutschland boomt, aber damit auch die Menge der Retouren. Laut einer Studie wurden im Jahr 2021 in Deutschland für Rücksendungen allein fast 800.000 Tonnen CO2 verbraucht.
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