Wie stabil ist der Eisschild der Ostantarktika wirklich? Fragiler, als lange geglaubt, sagen Forscher. Sollte das Eis der Gletscher rapide schmelzen, wären die globalen Auswirkungen dramatisch: Megametropolen wie New York und Mumbai wären bedroht.
Glitzerndes Eis, schroffes Gestein, funkelnder Schnee und kristallklare Luft bei klirrend kalten Temperaturen, das ist die Antarktis, der weiße Kontinent. Doch wie stark ist auch das "ewige Eis" vom Klimawandel bedroht? Neueste Forschungsergebnisse zeigen: Die unvergleichliche Welt der Antarktis ist fragiler, als lange geglaubt. Sie kann leicht aus dem Gleichgewicht geraten.
Dass die Arktis am Nordpol unter dem Klimawandel leidet, ist bekannt. Fast monatlich werden hier erschreckende neue Klimarekorde vermeldet und das Packeis schmilzt rapide. Von der Antarktis rund um den geografischen Südpol dachte man dagegen lange, dass sie dem Klimawandel mit ihren viel kälteren Temperaturen und den dicken Eisschichten besser trotzen kann. Doch auch hier sind Auswirkungen spürbar.
Steigt der Meeresspiegel durch das Abschmelzen des Eises an, sind Küstenstädte bedroht
Während Satellitendaten zeigten, dass die große Eisschmelze bei den Gletschern der südlichen und westlichen Antarktischen Halbinsel begonnen hat, hielt man die Gletscher der Ostantarktika mit Temperaturen von bis zu minus 95 Grad Celsius lange Zeit für stabil. Denn hier ist die Eisschicht mehr als zehnmal dicker als die im westantarktischen Teil.
Ein Trugschluss, wie der Bericht eines Forscherteams, der jüngst im Fachmagzin "Nature" veröffentlicht wurde, zeigt. Sollten die globalen Temperaturen bis zum Jahr 2100 um mehr als 2,5 Grad über das präindustrielle Niveau steigen, so ihre Berechnungen, wird sich der Meeresspiegel durch das Abschmelzen der Antarktis bis ins Jahr 2500 um fünf Meter anheben, wobei fast die Hälfte des Wassers aus Ostantarktika käme. In Kombination mit dem geschmolzenen Eis aus Grönland würde der Meeresspiegel um sieben Meter ansteigen und Küstenstädte wie Mumbai, New York und Shanghai bedrohen. Dass dies tatsächlich passieren könnte, dafür gibt es einige beunruhigende Anzeichen.
Wasser schmilzt das Eis von unten weg
Die Forscher um den Ozeanografen Stephen Rintoul von der University of Tasmania in Australien waren Anfang 2015 mit einem Eisbrecher erstmals zum Totten-Eisschelf, einer riesigen Eiszunge des größten Gletschers in Ostantarktika, vorgedrungen. Dort machten sie eine beunruhigende Beobachtung: Warmes Wasser vom umliegenden Ozean schmilzt das Eis der schwimmenden Gletscherzunge von unten weg. Da ein Großteil der Ostantarktika unterhalb des Meeresspiegels liegt, ist dieses Gebiet viel anfälliger für die Erwärmung des Ozeans, als bislang gedacht.
Auswertungen von Satellitenbildern aus den Jahren 1974 bis 2012 von der Küste Ostantarktikas zeigen: In den meisten Regionen ist das Eis stabil, doch im sogenannten Wilkes-Land, einem Gebiet größer als Grönland, in dem der Totten-Gletscher liegt, zogen sich drei Viertel des Gletschers in den Jahren 2000 bis 2012 zurück.
Ein 1.100 Kilometer langer Canyon beunruhigt die Forscher
Der Grund dafür wurde bei Forschungsflügen über den Totten-Gletscher entdeckt, bei denen die Wissenschaftler vom Imperial College London und vom Polar Research Institute of China in Shanghai mittels Radar sowie Gravitations- und Magnetsensoren durch das Eis hindurch blicken konnten: ein 1.100 Kilometer langer Canyon sowie Mulden, die sich vom Rand des Totten-Eisschelfs 125 Kilometer landeinwärts erstreckten und 2,7 Kilometer unter der Meeresoberfläche lagen.
Die wellige Landschaft könnte bewirken, dass das warme Meerwasser schneller zum Eis gelangt und es zum Schmelzen bringt. Tatsächlich ist das Wasser an der Gletscherzunge wärmer, als der lokale Gefrierpunkt. Erschwerend hinzu kommt, dass Seen unterhalb der Eisschicht immer wieder Wasser in Richtung Küste schicken und diese überfluten, was den Eisfluss beschleunigt. Insgesamt also eine fragile Lage. Schon bei geringer Erwärmung der Ozeane, so die Befürchtung der Glaziologen, könnte ein großes Stück Eis verloren gehen.
Wie sich die Dinge in der Antarktis letztlich tatsächlich entwickeln werden, ist auch für die Forscher noch ein Rätsel. Mit immer besseren Mess- und Auswertungsmethoden versuchen sie, ein genaueres Bild der Lage am weißen Kontinent zu erhalten. Begleitet von der Hoffnung, dass das befürchtete Worst-Case-Szenario, ein Abrutschen der Eisschicht, ausbleibt.
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