• Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung, die eine nie dagewesene Anstrengungen aller Staaten der Welt erfordert.
  • Angesichts der riesigen Aufgaben fühlt sich der Einzelne oft allein und handlungsunfähig. Das kann die psychische Gesundheit gefährden.
  • Die Psychologin Amelie Schomburg und die Politikwissenschaftlerin Friederike Schomburg erklären im Interview, wie man mit Angst und Frust umgehen kann und warum Resilienz die Kernkompetenz der Stunde ist.
Ein Interview

Redaktioneller Hinweis: Dieses Gespräch wurde bereits im Februar, kurz vor Ausbruch des Kriegs in der Ukraine, geführt. Diese psychisch zusätzlich sehr herausfordernde Situation findet daher an dieser Stelle keine Erwähnung.

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Wenn man Klimawandel und Psychologie hört, geht es oft um die Frage, warum wir so viel über den Klimawandel wissen und gleichzeitig so wenig tun. Sie beschäftigen sich dagegen mit den Auswirkungen der Klimakrise auf die psychische Gesundheit. Wie würden Sie diesen Zusammenhang beschreiben und wie steht es um die Verfassung der deutschen Bürgerinnen und Bürger in dieser Hinsicht?

Amelie Schomburg: Die Auswirkungen der Klimakrise auf die psychische Gesundheit sind unzureichend erforscht. Es gibt noch keine wirklich belastbaren Daten. Es gibt aber immer mehr Umfragen, in denen gefragt wird, ob den Menschen der Klimawandel Angst macht. Und da sieht man, dass das Thema immer mehr Menschen Sorgen bereitet. Zukunftsängste sind gerade bei jüngeren Generationen ein Thema. Aber die konkreten psychischen Auswirkungen sind noch relativ unklar. Was ist beispielsweise mit Kindern, die in der jetzigen Situation, in der das Klimathema und die Gefahr, die davon ausgeht, so präsent sind, aufwachsen? Was bedeutet das für die Entwicklung dieser Kinder? Hier können wir natürlich ein wenig mutmaßen.

Was könnte das zum Beispiel sein?

A. Schomburg: Wir wissen ziemlich genau, was passiert, wenn Menschen eine Klimakatastrophe mitbekommen, wie beispielsweise Überschwemmungen oder Wirbelstürme. Stress, posttraumatische Belastungsstörungen und auch Depressionen sind gängige Folgen. Aber die konstante Bedrohung des Klimawandels und die damit einher gehende beständige Angst sind neu. Wenn wir auf die Folgen blicken, die Stress in anderen Situationen nach sich zieht, kann man hier natürlich auch mutmaßen: körperliche Symptome, Depressionen, Burnout. Der Unterschied zu herkömmlichem Stress, den wir im Alltag haben, ist, dass der aus Situationen resultiert, die zeitlich begrenzt sind. Einen stressigen Job kann man beispielsweise auch kündigen. Aber in der Klimakrise können wir als Einzelperson nicht viel tun und wir wissen auch nicht, ob es überhaupt einen Zeitpunkt geben wird, an dem sie vorbei ist. Wir wollen also auch darauf aufmerksam machen, dass das ein großes Problem werden kann und dass wir in diesem Bereich mehr Forschung und mehr Unterstützungsangebote brauchen.

Sie haben bereits junge Leute angesprochen, die von den Folgen des Klimawandels potenziell stärker betroffen sein werden. Steht die Forschung hier tatsächlich blank da?

A. Schomburg: Es gibt ein paar einzelne Studien, bei denen wir sehen können, dass, wenn Kinder sich bedroht fühlen oder sie dieses Klimathema extrem im Kopf haben, zwanghaftes Verhalten resultieren kann. Also beispielsweise, dass Kinder zwanghaft jedes Stückchen Müll auf der Straße aufsammeln, weil sie wissen, dass das schlecht für die Umwelt ist. Zur Einwirkung von Stress auf die Entwicklung von Kindern gibt es auch Theorien, dass Stress oder Angst die Entwicklung des Hirns stören können. Gerade in jungen Jahren, wenn sich das Hirn noch entwickelt, können dauerhafter Stress oder dauerhafte Angst also sehr negative Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern haben.

Friederike Schomburg: Was man hier ergänzen kann, ist, dass der Begriff "Klimaangst", ja noch kein ausgearbeiteter Begriff ist. Noch gibt es auch keine Diagnose "Klimaangst". Es ist keine Angststörung in dem Sinne.

A. Schomburg: Genau. Wir nutzen das als Sammelbegriff, um einige Dinge zu subsummieren. Da gehört nicht nur Angst dazu, es kann auch Trauer sein, um das, was durch den Klimawandel kaputt geht. Es kann auch Wut sein, vielleicht auf vergangene Generationen, die zu wenig getan haben. Auch die ganzen Sorgen und Gedanken, die dazukommen und sich auf die Zukunft beziehen. Wenn ich beispielsweise in dem Alter bin, in dem meine Freunde langsam anfangen Kinder zu bekommen und ich mich frage: "Kann ich es eigentlich noch verantworten, ein Kind in die Welt zu setzen?"

Der Begriff "Klimaangst" subsumiert also verschiedene psychologische Effekte. Ein sehr bekannter psychologischer Mechanismus ist die sogenannte Selbstwirksamkeitserwartung, also die Annahme, mit eigenem Handeln etwas bewirken zu können - oder eben gerade nicht. Wie kann ich mit dem Frust und der Hilflosigkeit, die daraus resultieren können, umgehen?

F. Schomburg: Das ist eine sehr wichtige Frage, die wir uns auch gestellt haben. Was der Einzelne tun kann, können wir weder über- noch unterschätzen. Wir als Einzelne können das Problem nicht lösen, denn natürlich sind ganz große Maßnahmen gefragt. Trotzdem ist es für das eigene psychische Wohlbefinden sehr wichtig, dass man sagt: "Ich will mich diesem Problem nicht einfach ausgesetzt fühlen und ich will da jetzt etwas dagegen tun." Das kann auch sehr hilfreich sein. Hier muss man sich sehr genau überlegen: "Was ist mein Handlungsspielraum und wo kann ich ansetzen? Wo kann ich beispielsweise in meinem eigenen Leben nachhaltiger sein?" Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, wie beispielsweise auf Demos zu gehen oder Ähnliches. Aber wir dürfen die Wirkung dieser Maßnahmen auch nicht überschätzen.

A. Schomburg: Ich sollte also den Druck rausnehmen, dass ich als Einzelperson verantwortlich bin für die Klimakrise. Politik und Wirtschaft haben es aber gut geschafft, den Druck auf Einzelpersonen abzuwälzen, anstatt große politische und wirtschaftliche Veränderungen voranzutreiben, die wir eigentlich bräuchten. Man muss für sich selbst genau das erkennen, dass man selbst die Klimakrise eben nur zu einem kleinen Teil lösen kann. Man muss dann eine klare Grenze ziehen und sage: "Gut, ich kann eben nicht die gesamte Verantwortung auf meine eigenen Schultern legen." Den Mittelweg zu finden zwischen, "ja, ich möchte etwas beitragen und das tut mir gut und hilft gegen meine Angst" und "ich erkenne, es gibt Grenzen und ich kann nicht alles machen, ohne mich selbst aufzuopfern", das ist die große Aufgabe.

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Ihre Diagnose ist also auch: Die Politik hat es geschafft, aus einem Top-Down-Prozess einen Bottom-Up-Prozess in der Wahrnehmung der Leute zu machen. Vor diesem Hintergrund – Sie hatten ja bereits von Demos gesprochen: Wie wichtig sind Aktivistinnen und Aktivisten, beispielsweise von Fridays for Future? Wie wichtig ist so etwas wie die vegane Bewegung, bei der tatsächlich eine wahrnehmbare Auswirkung in Supermärkten unter anderem im Milchregal zu sehen ist?

A. Schomburg: Auf jeden Fall wichtig. Wir glauben, dass das "Selbst-Aktiv-Werden" hilft, mit der Angst und den Emotionen umzugehen. Und es hilft auch gegen den Kontrollverlust, den wir bei diesem riesigen Thema spüren. Wir sollten für uns versuchen einen Weg zu finden, dass man persönlich guckt, nicht zu viel Negatives beizutragen und im Alltag weitestgehend umsichtig und nachhaltig zu leben. Dass man zum Beispiel nicht so viel Fleisch isst oder weniger Auto fährt. Aber man muss auch wissen und sich sagen: "Ich kann nicht alles machen." Wichtig dabei ist immer zu fragen: "Welche Maßnahmen sind für mich selbst alltagstauglich?" Für den einen ist es eben vegetarische Ernährung, für den anderen der Einkauf im Unverpacktladen und der Dritte sagt sich dann: "Ok, der Laden ist zu weit weg, ich trage etwas anderes bei." Die Alltagstauglichkeit für sich selbst abzustecken, ist sehr wichtig.

F. Schomburg: Um noch einmal auf die Demos, die ich vorher angesprochen hatte, einzugehen: Das kann sehr helfen, weil wir merken, dass wir mit dem Problem nicht allein sind. Da gehen teilweise Tausende Menschen auf die Straßen, die ihren Unmut mit der Klimapolitik kundtun. Das kann etwas total Befreiendes haben, wenn man die Menschenmengen sieht, die mit einem auf die Straße gehen. Das kann auch überfordernd sein, wenn man sich zu viel engagiert, aber man sieht jedenfalls, dass man nicht allein ist.

Sie betonen, dass jeder für sich selbst und seinen Alltag eine passende Vorgehensweise finden sollte. Was kann man tun, wenn man in seinem Umfeld auf Unverständnis stößt? Davon wissen Leute, die beginnen, sich vegetarisch zu ernähren, ein Lied zu singen.

A. Schomburg: Ich lebe selbst seit 2014 vegan, da war das noch etwas komplett Neues und klar, da muss man sich einige Sprüche anhören. Insofern kann ich die Frage gut nachvollziehen. Was wir schwierig finden, ist, wenn man mit dem Finger auf andere zeigt. Der Versuch, andere zu bekehren, funktioniert meistens nicht. Da stößt man meist auf Reaktanz. Also dass die Person dann sagt: "Jetzt mach ich es erst recht anders, als du es mir sagst." Wir glauben, der beste Weg ist, etwas einfach vorzuleben und ein Beispiel zu geben. Oft fangen die Menschen im Umfeld dann an zu gucken und vielleicht einmal nachzufragen. Es kommt aber natürlich auch immer drauf an, in welchem Umfeld man sich befindet. Es kann auch Situationen geben, in denen man manche Themen besser komplett vermeidet. Wenn man beispielsweise Klimawandel-Leugner in der Familie hat, dann ist es besser, das Thema zu vermeiden. Alternativ sollte man sich, wenn man Redebedarf hat, Leute suchen, mit denen man sich zu dem jeweiligen Thema gut austauschen kann.

Sie haben die Leugnung des Klimawandels bereits angesprochen. Aus der Psychologie gibt es Forschung zu Verschwörungsideologien oder beispielsweise auch Sektenforschung. Kann man daraus etwas schlussfolgern?

A. Schomburg: Die Leugnung der Klimakrise und die Prozesse, die dahinterliegen, sind natürlich noch einmal ein riesiger Komplex für sich. Für die psychische Gesundheit gesprochen: Es ist verschwendete Zeit und verschwendete Mühe, jemanden von etwas zu überzeugen, was er einfach nicht glauben will. Leugner kann man nur in den seltensten Fällen mit Fakten überzeugen. Diese Zeit und Mühe können wir für wichtigere Dinge aufbringen.

Sie betonen besonders den Blick auf die eigene psychische Gesundheit im Hinblick auf den Klimawandel. Einmal angenommen, ich fahre einen SUV, ernähre mich aber vegetarisch, weil ich finde, dass die Klimakrise ernst genommen werden sollte. Hier entsteht kognitive Dissonanz. Wie kann oder sollte ich damit umgehen?

A. Schomburg: Sie sollten den SUV loswerden. (lacht) Nein, aber man muss natürlich immer abwägen, ob man klimaschädliche Dinge macht, weil sie einem auf andere Art und Weise wichtig sind. Fliegen ist unser persönliches Beispiel, weil wir gerne durch die Welt reisen. Natürlich kommt da dann auch das schlechte Gewissen. Da muss man für sich selbst wieder einen Mittelweg finden, mit dem man gut leben kann. Weil ich beispielsweise für mich selbst weiß: "Reisen ist mir sehr wichtig. Das ist ein wichtiger Wert, aber ich schaue, dass ich das so klimaneutral wie möglich mache." Wer Familie im Ausland hat, fliegt dort logischerweise hin. Wenn ich nach der Arbeit wenig Zeit habe, meine Kinder abzuholen, dann nehme ich eben das Auto, obwohl es eine kurze Strecke ist. Wichtig ist in diesem Fall eben, dass die Kinder versorgt werden. Man muss sich für sich selbst klar machen: Was sind all die Dinge, die mir in meinem Leben wichtig sind? An welchen Stellen kann ich klimaneutral oder klimafreundlich handeln? Und wo ziehe ich für mich die Grenze und sage, dass mir etwas anderes wichtiger ist und ich klimatechnisch Abstriche mache.

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Im Zusammenhang mit individuellen Strategien für die psychische Gesundheit hört und liest man immer wieder vom Begriff der sogenannten "Resilienz". Dieses Konzept wollen Sie auch betont wissen.

A. Schomburg: Ja. Resilienz lässt sich mit mentaler Stärke, Widerstandskraft oder Schutzschild der Seele, wie manche es nennen, übersetzen. Damit ist gemeint, dass wir mit stressigen Situationen oder mit Schicksalsschlägen relativ gut umgehen können. Das heißt nicht, dass wir nie wieder Stress spüren und uns alles egal ist. Natürlich nehmen wir noch Stress wahr, aber es geht auch darum, dass wir uns schneller davon erholen können. Um mit Klimaangst umgehen zu können, ist es also wichtig, dass es uns erst einmal generell gut geht. Dann können wir mit dem äußeren Stress der Klimakrise besser umgehen.

Und wie geht das?

A. Schomburg: Dazu gehört, dass man weiß, wie man mit Emotionen – vor allem negativen – richtig umgeht, dass man Emotionen wahrnimmt und nicht verdrängt. Dazu gehört zu wissen, wie man mit Sorgen und Ängsten umgehen muss. Wie kann ich beispielsweise aus einer negativen Gedankenspirale ausbrechen? Hier gilt es das Umfeld zu suchen, soziale Kontakte zu suchen, sich aktiv mit einer positiven Grundhaltung auseinanderzusetzen, auch wenn das gerade in der Klimakrise natürlich schwierig ist. Solche Dinge sind teilweise in der Kindheit angelegt, aber man kann sie auch üben und trainieren und darum geht es. Die Grundidee hinter unserem Buch ist: Wie kann ich mich selbst stärken, damit ich mit dem äußeren Stress der Klimakrise besser umgehen kann?

Da Sie gerade die Sozialisierung ansprechen: Wenn ich mir Gedanken mache, dass mein Kind in Zukunft mit der Klimakrise umgehen muss - was kann ich ihm als Erziehender mit auf den Weg geben? Zumal die Klimakrise wohl auch nicht die einzige Krise bleiben wird.

A. Schomburg: Es ist ganz wichtig, Kindern zuzuhören und sie ernst zu nehmen, wenn sie sich Sorgen machen. Wenn Kinder beispielsweise ein Umfeld haben, in dem die Klimakrise nicht ernst genkommen wird, sich Kinder aber Sorgen machen, weil sie die Krise in der Schule oder von Freunden mitbekommen, dann kann das negative Konsequenzen für die Kinder haben. Die Devise lautet: zuhören, ernst nehmen, versuchen so kinderfreundlich wie möglich aufzuklären und auch Emotionen zuzulassen. Diese Emotionen haben wir Erwachsene auch und wir müssen Sie bei Kindern entsprechend begleiten. Am wichtigsten und grundlegendsten: Für die Kinder da sein.

F. Schomburg: Auf politischer Ebene gibt es natürlich auch noch ganz viel zu sagen. Die Klimakrise ist eben ein riesiges gesellschaftliches Thema. Wir müssen uns als Gesellschaft klar überlegen, wie gehen wir mit der Klimakrise um. Zentral dabei ist: Wie schaffen wir es, dass nicht die ganze Last dieser Krise auf den Schultern der Kinder liegt, die jetzt gerade geboren werden. Das wird eine gewaltige Aufgabe für die Zukunft.

Über die Expertinnen:
Amelie Schomburg ist studierte Psychologin. Nach ihrem Masterstudium der Sozialpsychologie in London und ein paar Jahren in einer Unternehmensberatung arbeitet sie nun als selbstständige Trainerin für Stressmanagement, mentale Stärke und Positive Psychologie in Hamburg.
Friederike Schomburg studierte eine Mischung aus Politik, Wirtschaft, Recht und Philosophie in den Niederlanden, Polen und Bremen und arbeitet aktuell an ihrer Masterarbeit.
Am 28. März 2022 erscheint ihr gemeinsames Buch "Klimaangst", in dem sich die beiden Autorinnen mit dem Zusammenhang zwischen Klimakrise und mentaler Gesundheit auseinandersetzen und praktische Tipps aus der Psychologie geben, um mit Schuldgefühlen, Angst, Frust und Hilflosigkeit umzugehen.

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